Wie (un)demokratisch ist die EU?
Der griechische Ex-Finanzminister Varoufakis ist wieder da. In Berlin, der Hauptstadt des deutschen EUropa, lanciert er seine Demokratie-Bewegung DIEM 25. Doch schon im Vorfeld gibt es Kritik aus dem Europaparlament.
Das hält sich nicht nur für demokratisch legitimiert (obwohl das Bundesverfassungsgericht daran erhebliche Zweifel hat), sondern auch für stark genug, die Demokratie in der EU selbst voranzubringen.
Der Schlüssel dazu sei eine kritische europäische Öffentlichkeit und mehr Transparenz, meint S. Giegold von den Grünen, der einst bei ATTAC aktiv war und mit Varoufakis im Ziel durchaus einig ist.
Allerdings nehme es der Pop-Ökonom mit Transparenz selbst nicht so genau, kritisiert Giegold. Außerdem sei es populistisch, zu behaupten, in Brüssel regierten “Bürokraten”. Rat und Parlament hätten ja auch was zu sagen.
Beim letzten Bailout in Griechenland wurde das Europaparlament allerdings glatt übergangen, im Rat hatten am Ende nur noch Kanzlerin Merkel und Frankreichs Hollande etwas zu melden.
Und nach der Wahl einer neuen Linksregierung in Portugal zeigt sich erneut, wie (un)demokratisch EUropa ist: Brüssel fordert die strikte Einhaltung der Budgetregeln, schon im März könnte es Strafen setzen…
Mehr zu Varoufakis’ Initiative hier (Website von DIEM25), zu Giegolds Sicht auf Europa hier, zu Portugal hier
P.S. Giegold sucht übrigens die Originalversion von Varoufakis’ Manifest. Wer sie kennt, möge sich bitte melden…
luciérnaga rebelde
9. Februar 2016 @ 20:12
Ein ganz konkretes Beispiel für diesen Mangel an Demokratie ist doch das TTIP-Abkommen, dessen Text geheim gehalten wird und von Parlamentariern nur unter ganz bestimmten, sehr einschränkenden Auflagen konsultiert werden kann…
Peter Nemschak
9. Februar 2016 @ 21:58
Aber es kann konsultiert werden. Soll Europa seine Verhandlungsposition schwächen, wenn es alles in der Auslage verhandelt? Wenn Sie den politischen Eliten nicht vertrauen, müssen Sie bei der nächsten Wahl anderen Ihre Stimme geben.
OXIgen
9. Februar 2016 @ 16:44
@ebo
Schon komisch, dass Herr Giegold das Manifest nicht finden kann…
Hier ist der Link:
http://www.europa-neu-begruenden.de/wp-content/uploads/2016/01/Final-Manifesto-1-1.pdf
GS
9. Februar 2016 @ 13:18
Giegold wieder…”kritische europäische Öffentlichkeit”, wo soll die denn herkommen? Nach dem Desaster bei der Nominierung der grünen Spitzenkandidaten zur Europawahl müsste doch auch ihm aufgegangen sein, wie leer solche Formeln sind.
S.B.
9. Februar 2016 @ 14:28
@GS: Leere Formeln sind der Lebensinhalt von Politikern, insbesondere auch von grünen. Jedenfalls, wenn es in Richtung der Wähler geht. Dann muss man sich nach der Wahl an nichts festmachen lassen. Wenn das mal kein prima Geschäftsmodell bar jeder Eigenverantwortung ist, dann weiß ich auch nicht…
Klaus
9. Februar 2016 @ 11:30
Die EU ist ein Staatenbund mit vergemeinschafteten Politikfeldern. Als solcher ist Demokratie nicht das politische Hauptanliegen, sondern ein funktionsfähiger Apparat für den Interessensausgleich der nationalen Regierungsapparate und ihrer ökonomischen Proteges. Der konstitutionelle EU Konsultationsmechanismus ist jedoch allein schon weltweit einmalig und mE ein Fortschritt. Er funktioniert solange die beteiligten Regierungen in der Lage sind das Wort “Interressensausgleich” zu buchstabieren. Das ändert sich gerade, wie auch das Posting von S.B. belegt.
Wenns auch schwer fällt: Mit jenen die im eigenen Nationalstaat die Demokratie abbauen läßt sich Europa nicht demokratisch erweitern. Sie müssen einen Lernprozess durchlaufen der ihnen den Wert des Interessensausgleiches wieder schätzen lehrt.
Peter Nemschak
9. Februar 2016 @ 12:38
Wer baut im eigenen Nationalstaat die Demokratie ab? Wenn sich manche Randgruppen nicht ausreichend durch die bestehenden Parteien vertreten fühlen, steht es ihnen frei neue Parteien zu gründen. Dies passiert immer wieder, ob man diese Parteien mag oder nicht. Wo ist dabei das Demokratiedefizit? Man darf persönlichen Frust nicht mit Demokratiedefizit verwechseln.
S.B.
9. Februar 2016 @ 09:55
Um es kurz zu machen: Die EU gibt sich mit dem Kasperle-Theater von Parlament, das nach wie vor nichts Wesentliches zu entscheiden hat, den Anschein einer Demokratie, Defacto ist die EU eine Diktatur. Nennen wir die EU also diplomatisch eine Scheindemokratie.
Leute wie Herr Giegold, die sich als EU-Parlamentarier vom Steuerzahler parasitär aushalten lassen, haben null Interesse an der Veränderung dieser Zustände, denn sie tragen ja – wie oben dargestellt – keinerlei Verantwortung. Jeder Bürger, der in diesem Irrenhaus noch seinen gesunden Menschenverstand bewahren konnte, muss sich fragen, wofür er diese Leute eigentlich (zwangs)bezahlt.
Peter Nemschak
9. Februar 2016 @ 10:38
Aus Ihrer Sicht ist der deutsche Bundestag im Vergleich zum EU-Parlament eine “echte” Demokratie. In dieser Logik wäre ein europäischer Bundesstaat mit europäischen Parteien auch eine “echte” Demokratie. Oder?
S.B.
9. Februar 2016 @ 11:35
@Peter Nemschak: Der Deutsche Bundestag sollte eigentlich eine “echte” Demokratie sein, ist es aber nicht mehr. Begründung: Zum einen werden von ihm inzwischen zum größten Teil Verordnungen aus Brüssel “umgesetzt”, die dort aber mangels demokratischer Beteiligung des EU-Parlamentes – insbesondere in wesentlichen Sachverhalten – nicht demokratisch zustande gekommen sind. Dem Bundestag verbleibt so inhaltlich ein immer kleinerer eigener Regelungsbereich. Zum anderen sitzen im Deutschen Bundestag zum allergrößten Teil nur noch Abnicker, die Angst um ihren überbezahlten Abgeordneten-Job haben und per Fraktionszwang alles durchwinken, was ihnen vorgesetzt wird. Schauen Sie sich die Lebensläufe dieser Nichtsnutze an. Die meisten würden draußen auf HartzIV leben müssen. Als Abgeordneter dürfen sie “die Gesellschaft gestalten”, was aber in der Realität die Parteispitzen machen, siehe Alleinherrscherin Merkel.
Zum europäischen Bundesstaat mit europäischen Parteien:
Theoretische wäre dies, wie in D eine echte parlamentarische Demokratie. Wie man an der parlamentarischen Demokratie in D aber nachvollziehen kann, entzieht sich diese aber schon im nationalen Rahmen zunehmend der demokratischen Kontrolle durch das Wahlvolk. Die Parteien (richtigerweise: die Parteioberen) machen, was sie ideologisch für richtig halten. Und dies muss noch lange nicht mit den Interessen der Wähler übereinstimmen, wie wir allenthalben feststellen müssen. Konkrete Beispiele erspare ich mir hier aufzuzählen.
Vor diesem Hintergrund erscheint mir eine europäische parlamentarische Demokratie völlig unpraktikabel. Zum einen ließen sich die vielfältigen, unterschiedlichen Interessen in den jeweiligen Nationen gar nicht europaübergreifend in entsprechenden Parteien abbilden. Man erkennt das jetzt schon am EU-Parlament, wo bspw. die Christdemokratische Fraktion in vielen Punkten nicht deckungsgleich mit den nationalen Entsprechungen ist. Eine europaweite CDU, müsste z.B. alle national-lokalen Interessen abdecken. Dies ist unmöglich. Nicht umsonst gilt im derzeitigen Staatenbund EU grundsätzlich das Subsidaritätsprinzip bezüglich der Regelungskompetenzen- Leider hält sich daran schon lange niemand mehr hält. Es gilt schlicht: Je mehr eine Institution regeln kann, umso mehr Macht übt sie aus. Und danach handelt die EU.
Es stellt sich aber grundsätzlich die Frage: Wozu überhaupt brauchen die Europäer mit ihren nicht homogenen Kulturen und Wirtschaften einen europäischen Bundesstaat? Dies erschließt sich mir bis heute nicht. Das typische Argument der Bildung einer Gegenmacht zu den Amis, den Russen und weiß ich nicht noch wem, kann ich nicht nachvollziehen. Ein Bundesstaat ist doch nicht allein deshalb eine Macht, weil er viele Menschen und ein großes Gebiet umfasst. Er ist eine Macht, wenn sich die darin verbundenen Staaten über wesentliche politische Ziele einig sind und grundsätzlich genauso gut wirtschaften. Beides ist bei den europäischen Ländern nicht der Fall. Deshalb plädiere ich auch dafür, dass die EU rückabgewickelt wird und “Wiedereinsetzung in den vorigen Stand” erfolgt. Die Länder treffen sich einfach an den Punkten, wo sie gleiche Interessen haben. Ansonsten macht jeder schlicht und einfach sein Ding. Das und nicht die angestrebte Gleichmacherei fördert die Vielfalt. Ich für meinen Teil gehe jedenfalls davon aus, dass es den Griechen, Spaniern, Portugiesen und Italienern ohne die EU heute besser ginge als mit. Die sozialistische Umverteilung per EU hat diese Länder schwer geschädigt, da sie auf fremden Kredit leben konnten und anstatt ihre Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, konsumiert haben. Nun, nachdem niemand mehr (ausreichend) Kredit gibt, offenbart sich das ganze Ausmaß der Katastrophe. Ich kann in all dem nichts Vorteilhaftes erkennen.
Peter Nemschak
9. Februar 2016 @ 09:01
Was ist an der Einhaltung der Budgetregeln undemokratisch? Die EU hat ein Mehrebenen-Governancesystem. Ein föderaler Bundesstaat wäre weniger komplex. Der geordnete Umgang mit kontroversiellen Interessen gehört da wie dort zum Markenzeichen einer Demokratie. Varoufakis braucht die Demokratie nicht neu zu erfinden. Es gibt sie schon. Mal schauen, ob sein Programm mehrheitsfähig ist. Protestwähler wird er sicher finden.