Wie souverän ist EUropa?
Die Iran-Krise wird zur Chefsache. Am Mittwoch ist in Sofia ein „Leader’s Dinner“ geplant, bei dem sich die 28 europäischen Staats- und Regierungschefs über den Streit mit den USA beugen wollen.
Über dem Treffen schwebt die Frage, wie souverän die EU sein kann bzw. will – vor allem in Bezug auf die USA. Deutschland und Frankreich haben dazu durchaus unterschiedliche Vorstellungen.
So forderte der französische Finanzminister Le Maire, die „wirtschaftliche Souveränität“ Europas zu verteidigen und die US-Sanktionen abzuwehren. „Wollen wir ein gehorsamer Vasall sein“, fragt Le Maire.
Während die Antwort aus französischer Sicht entschieden „Nein“ heißt, äußerte Bundeswirtschaftsminister Altmaier bereits öffentlich Zweifel daran, dass sich die EU tatsächlich schützen kann.
“Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen”, sagte er (siehe auch “Nicht abwehrbereit”).
Europäischen Gegen-Sanktionen, wie sie sogar in der “Financial Times” erwogen werden, erteilte der CDU-Politiker eine klare Absage. Berlin scheint eher zu Zugeständnissen an Washington bereit als Paris.
Wenn die Europäer es jedoch nicht schaffen, den Handel mit Iran vor US-Sanktionen zu schützen, so dürften sich die Unternehmen schnell zurückziehen – und die Iraner nach neuen Partner umsehen, etwa in Russland oder China.
Zudem fiele damit der Hauptanreiz für die Mullahs in Teheran weg, sich weiter auf die EU zu verlassen. Man darf gespannt sein, wie die Europäer dieses Dilemma lösen.
Eine Möglichkeit wäre, auf Russland zuzugehen und sich im Nahen Osten (dem “Vorhof” Europas) wirklich von den USA und ihrer verheerenden Politik zu emanzipieren – und nicht nur “ein Stück weit.”
Aber das traut sich bisher nicht einmal Frankreichs Staatschef Macron…
Siehe auch “Warum EUropa Putin braucht”
WATCHLIST:
- Altmaier in Moskau. Im Mittelpunkt des Besuchs soll der Umgang mit den US-Sanktionen gegen den Iran und die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen stehen. Berlin steht weiter hinter den Russland-Sanktionen, will zugleich aber die deutsch-russische Nord Stream-Pipeline vorantreiben – wie schizophren (oder egoistisch) ist das denn?
WAS FEHLT:
- Friede in Nahost. Nach mehr als 50 Toten und über 1000 Verletzten in Gaza herrscht Hochspannung – und die USA scheiden als Vermittler aus, denn sie haben sich auf die Seite Israels geschlagen. Dies wäre die Chance der EU, sich als ehrlicher Makler anzubieten (und von den USA loszusagen, siehe oben) – doch Brüssel schweigt betreten…
Siehe auch: “Nahost: Schweigend in die nächste Krise”
Peter Nemschak
15. Mai 2018 @ 08:15
Souveränität auf nationaler und internationaler Ebene hängt vom Ausmaß der Machtmittel ab, die ein Staat oder Bund von Staaten einsetzen kann. Mit Blick auf die Für die EU ist in der jetzigen Situation Realismus angebracht. Sollte der Atomdeal insgesamt scheitern und der Iran die Urananreicherung wieder aufnehmen, besteht die Möglichkeit, die entsprechenden Anlagen militärisch zu zerstören. Israel hätte den notwendigen Anreiz. Rückendeckung bekäme Israel von den USA. Russland würde zwar protestieren, hat aber seinerseits kein Interesse daran, in seiner Nachbarschaft eine weitere Atommacht aufkommen zu lassen – eine durchaus realistische Alternative. Was hat die EU bei einer Fortsetzung des Atomabkommens zu gewinnen? Unternehmen mit einem starken USA-Geschäft braucht man nicht, selbst wenn man es könnte, den Handel mit dem Iran zu verbieten. Sie werden im Eigeninteresse davon Abstand nehmen.
Ute Plass
15. Mai 2018 @ 10:55
“Was hat die EU bei einer Fortsetzung des Atomabkommens zu gewinnen?”
Die Aussicht, den bedrohten Weltfrieden mit stabilisieren zu können,
da von diesem letztlich unser aller Wohlergehen mit abhängt.
Peter Nemschak
15. Mai 2018 @ 14:15
Der bedrohte Weltfrieden war Dauerbrenner seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs und wird es auch bleiben. Regionale Konflikte in großer Zahl hat es gegeben und wird es weiter geben, ein Weltkrieg wie er von manchen an die Wand gemalt wird, erscheint hingegen eher unwahrscheinlich. Was Trump in Israel getan hat, widerspricht seiner Logik „America first“. Die USA sind mehr denn je im Mittleren Osten präsent, wenn auch nicht in der von der Weltgemeinschaft gewünschten Form, und füllen for the better or worse das geopolitische Vakuum, das Obama hinterlassen hat.