Wie Merkels Macht schwindet

Die gescheiterten Jamaika-Sondierungen werden Deutschlands Rolle in Europa schwächen. Das ergab eine Umfrage der Körber-Stiftung. Doch das Problem heißt nicht nur Jamaika oder FDP.


Das Problem heißt Merkel – und das System, das sie in Berlin, Brüssel und anderswo in EUropa geschaffen hat. Das gesamte, erfolgsverwöhnte deutsche Netzwerk läuft seit der Bundestagswahl ins Leere.

Wenn es dazu noch eines Beweises bedurfte, so liefert ihn nun ausgerechnet Merkels engster Vertrauter, Kanzleramtschef Altmaier. Wie ein Bittsteller spricht er bei Kommissionschef Juncker vor.

Dabei geht es um die Euro-Reform, die nicht nach deutschen Wünschen ausfällt. Junckers Pläne wurden zwar wie üblich in Merkels Netzwerk abgestimmt, u.a. mit Junckers Kabinettschef Selmayr.

Doch das Ergebnis ist aus Merkels Sicht so unbefriedigend, dass sie es am liebsten verhindert hätte. Doch so viel Macht hat die Kanzlerin nicht mehr – Altmaier kann nur noch versuchen, nachzubessern.

Keine Kraft für eigene Ideen

Auch mit den Vorstellungen von Frankreichs Präsident Macron ist die Kanzlerin nicht zufrieden. Doch sie hat nicht einmal mehr die Kraft, eigene Ideen dagegen zu stellen – wie sie noch im Herbst angekündigt hatte.

Stattdessen setzt die Kanzlerin ohne Mehrheit nun aufs Verzögern und Verwässern. Wenn ihr Plan aufgeht, wird die Bankenunion nie fertig gestellt, und die Euro-Reform kommt auch nicht wie versprochen.

Die geplante Beschlussfassung im Juni 2018 sei nicht in Stein gemeißelt, heißt es in Berlin. Dabei weiß man im Kanzleramt nur zu genau, dass danach nichts mehr geht – wg. des Brexits und der Europawahl 2019.

Nur zum Blockieren reicht es noch

Immerhin, die Macht zum Blockieren hat Merkel noch. Solange sie Nein sagt, wird es auch keine Bankenunion und keine Eurozonen-Reform geben, von einer „Neugründung der EU“ (Macron) zu schweigen.

Doch ansonsten bröckelt es – auch unabhängig vom Streitthema Euro. So hat Merkels Deutschland praktisch alle Partner in Mitteleuropa verloren. Polen, Ungarn, Tschechien – nichts geht mehr.

Sogar traditionell ergebene kleine Länder wie Österreich oder die Niederlande entgleiten zunehmend dem deutschen Einfluß. Nur in Belgien geht es aufwärts, dort hat Berlin eine Charmeoffensive gestartet.

Die Bodenhaftung verloren

An Einfluß gewinnt Deutschland zudem ausgerechnet bei einem Thema, das einer Mehrheit der Deutschen gar nicht lieb ist: In der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, also beim Militär.

Laut Körber-Stiftung sprechen sich 52 Prozent  dafür aus, dass Deutschland in internationalen Krisen weiterhin eher zurückhaltend agiert. Doch Merkel tut genau das Gegenteil.

Mit Frankreichs Hilfe baut sie nicht nur die europäische Verteidigung aus – sondern sie macht auch die Bundeswehr zum Nukleus einer paneuropäischen Armee. Das zeigt, dass sie Bodenhaftung verloren hat.

Ungelöste Flüchtlingsfrage

Auch beim  Schlüsselthema Migration hat Merkel die Kontrolle verloren. Mittlerweile werden die meisten Asylanträge in Deutschland entschieden – mehr als in allen anderen EU-Ländern zusammen!

Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die 2015 angekündigte „europäische Lösung“ eine Illusion bleibt. In der Flüchtlingsfrage hängt Merkels Schicksals vor allem an der Türkei – sie ist erpressbar geworden…

Illustration: The Economist