Negative Dialektik

Rien ne va plus in den deutsch-französischen Beziehungen. Zwar hat die sozialistische Regierung in Paris den umstrittenen Entwurf kassiert, in dem Kanzlerin Merkel als “unnachgiebige Egoistin” attackiert wurde. Doch die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, die alte Dialektik funktioniert nicht mehr.

Früher war es so: Deutschland vertrat die Positionen des protestantischen Nordens, Frankreichs jene des katholischen Südens. Wenn beide einen Kompromiss schmiedeten, war er meist gut für ganz Europa – Nord und Süd, links und rechts.

Unter Sarkozy bekam diese deutsch-französische Dialektik schon einen Knacks. Zwar hatten beide Länder zu Beginn der Eurokrise objektiv dasselbe Interesse: die Investitionen ihrer Banken in Griechenland, Irland und Portugal zu retten.

Merkel und Sarkozy zogen daher eine Zeitlang am selben Strang. Doch schon damals wandte sich Deutschland von Südeuropa ab, suchte neue Märkte im Osten und in Übersee. Frankreich war nur interessant, solange es mithalten konnte.

Merkel hat sich nie um einen Kompromiss bemüht

Doch seit dem Downgrading der “Grande Nation” durch die US-Ratingagenturen spielt Berlin in einer anderen Liga. Schon zu Sarkozys Zeiten begann Merkel, die Führung in der Eurogruppe neu zu regeln – gemeinsam mit Finnland und Holland, hinter dem Rücken Frankreichs.

Seit dem Machtwechsel in Paris funktioniert die alte Dialektik überhaupt nicht mehr. Erst schnitt Merkel den neuen sozialistischen Präsidenten Hollande, dann ließ sie ihn systematisch mobben und ausgrenzen.

Kein einziges Mal hat sich die Kanzlerin um einen Kompromiss bemüht. Hollandes Wachstumspakt wurde jeder Substanz entleert, die Bankenunion wird systematisch ausgebremst, die große Euro-Reform mit eigenem Budget und gemeinsamen Anleihen wurde kurzerhand von der Tagesordnung abgesetzt.

Dies ist der Hintergrund für die jüngsten Attacken der Sozialisten auf Merkel. Sie treffen einen wunden Punkt, allerdings nicht nur in Berlin, sondern auch in Paris: denn dort will man sich die neue Realität partout nicht eingestehen.

Während es in der sozialistischen Partei rumort, versucht die Regierung immer noch, den Schein deutsch-französischer Zusammenarbeit aufrecht zu halten. Hollande will im Mai sogar Merkels neoliberalen Wettbewerbspakt mittragen.

Doch das ist ein völlig einseitiges Liebeswerben. Der deutsche Mainstream hat längst den Stab über Frankreich gebrochen. Er bereitet sich bereits auf den Tag X vor, an dem China Frankreich als wichtigsten Handelspartner ablöst.

Der neueste Spin: Hollande existiert nicht mehr

Nach der Führung in der Eurogruppe wird Paris dann auch den letzten Rest seiner Führung in der EU verlieren. Merkels hat schon Ersatz gefunden: Großbritannien und Polen sollen aufrücken.

Das stand übrigens auch im Papier der Sozialisten. Von einer “Gelegenheits-Allianz” zwischen Cameron und Merkel war dort die Rede. Das passt nicht zu Hollandes deutsch-französischer Illusion. Deswegen musste es gestrichen werden.

Gestrichen werden soll auch, dass Hollande überhaupt existiert. In Berlin und Brüssel läuft daher schon die nächste Kampagne: Frankreichs Stimme sei nicht mehr zu vernehmen, heißt der neue Spin. Wer sich den wohl ausgedacht hat?

Die negative Dialektik zwischen Paris und Berlin trifft übrigens nicht nur Frankreich, sondern die gesamte EU. Wenn Frankreich marginalisiert wird und Deutschland sein Heil außerhalb Europas sucht, mit Großbritannien als Juniorpartner, wird dies die Union radikal verändern. Sie wird zu einer Freihandelszone, so wie es London immer wollte. Siehe zu diesem Thema auch “Haut den Hollande” und “Unser neues England”

 

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