Wenn die EU eine Demokratie wäre…
Der deutsch-türkische Streit eskaliert, doch die EU macht weiter in Appeasement. Sie will weder die Beitrittsverhandlungen aussetzen noch die Finanzhilfen kappen. Warum hört sie nicht auf das Europaparlament?
Das Parlament hat schon im Dezember letzten Jahres gefordert, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen. Doch Kommissionschef Juncker, aber auch Merkel und Gabriel haben dies abgeblockt.
Das rächt sich nun. Denn zum einen hat Sultan Erdogan seine Attacken auf die EU und ihre Bürger seit Jahresbeginn drastisch verschärft. Die aktuelle Eskalation ist alles andere als überraschend.
Zum anderen ist es nun wiederum Deutschland, das die Türkei-Politik in der EU diktiert – wie schon in der Flüchtlingskrise 2015. Der Streit wird bilateral geführt, und nicht europäisch, wie es sich gehört.
Zum dritten stellt man nun ungläubig fest, dass man nicht einmal die Finanzhilfen an die Türkei kappen kann. Denn die so genannten Vorbeitrittshilfen sind an die Beitrittsgespräche gekoppelt.
Bis 2013 gab es immerhin noch eine Klausel, die einen Zahlungsstop ermöglichte. Diese Klausel ist jedoch auf mysteriöse Weise verschwunden, wie die „Süddeutsche“ jetzt erst aufgedeckt hat.
Hier zeigt sich das ganze Dilemma der EU-Türkeipolitik: Sie wird im Hinterzimmer ausgekungelt, es gibt null Transparenz, null Kontrolle, und auch keine Möglichkeit, Stop zu sagen.
Schuld daran sind die Mitgliedsstaaten und die EU-Kommission, die die Außen- und Erweiterungspolitik immer noch als Geheimdiplomatie betreiben – und Deutschland den Vortritt lassen.
Wenn die EU eine Demokratie wäre, wären die Fake-Verhandlungen mit dem Sultan längst beendet. Und wenn das Europaparlament mehr Mumm hätte, würde es jetzt einen Aufstand wagen…
Siehe auch: Appeasement lohnt sich nicht
P.S. Dazu passt diese Vorabmeldung aus dem „Tagesspiegel“: Der Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, hat Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) aufgefordert, sich auf EU-Ebene für eine Aussetzung der Beitrittsgespräche mit der Türkei einzusetzen. Im Kreis der EU-Außenminister habe sich Gabriel „zuletzt geweigert, für eine Aussetzung der Türkei-Gespräche einzutreten“, kritisierte der CSU-Politiker in einem Interview mit dem „Tagesspiegel am Sonntag“. „Es wäre an der Zeit, wenn sich der Außenminister auch auf EU-Ebene für einen klaren Kurs gegenüber der türkischen Regierung stark macht“, sagte Weber.
Ute Plass
22. Juli 2017 @ 15:40
„Wenn die EU eine Demokratie wäre….“ wäre sie keine „marktkonforme“ !
kaush
22. Juli 2017 @ 12:05
Wenn Deutschland eine parlamentarische Demokratie wäre, in der das Parlament die Kanzlerin kontrolliert und nicht umgekehrt… wenn wir keine gelenkten Medien hätten, wenn Merkel einen Funken Anstand im Leib hätte.
Hätte, hätte, Fahrradkette.
Aber so dürfen wir schauen, was bei dieser charakterlichen und fachlichen Negativ-Auslese an (Fehl-) Entscheidungen zustande kommt.
ebo
22. Juli 2017 @ 12:11
Nun ja, in Deutschland haben wir eine GroKo mit einer riesigen Merkel-Mehrheit. Sie bricht nur dann auf, wenn die SPD ausschert, was sie nur bei der „Ehe für alle“ gewagt hat. Und (bisher) nicht bei der Türkei. Dabei wäre die Türkei-Politik sicher ein dankenswertes Thema. Siehe auch „Was Schulz jetzt tun müsste“
Peter Nemschak
22. Juli 2017 @ 14:56
Bleiben wir am Boden der Realität. Solange die Türkei in Sachen Flüchtlinge ihre Rolle zur Zufriedenheit der EU spielt, gibt es keinen wirklichen Grund zum Kurswechsel. Nur wegen der türkischen Opposition wird man nicht endgültig mit der Türkei brechen.
ebo
22. Juli 2017 @ 14:59
Na klar, und die deutschen, französischen und anderen Gefangenen des Sultans können in der Hölle schmoren.
Peter Nemschak
22. Juli 2017 @ 11:13
Die Staatschefs haben staatspolitische Verantwortung zu tragen, das EU-Parlament hat den Luxus, seine Wertvorstellungen frei ausleben zu können. Das wird gerne übersehen.
ebo
22. Juli 2017 @ 11:32
Offener kann man Demokratie-Verachtung nicht ausdrücken. In Sachen Türkei liegt eindeutig das Europaparlament richtig, nicht „die Staatschefs“ (Sie meinen vermutlich wie immer Merkel).
Peter Nemschak
22. Juli 2017 @ 11:49
Ich meine alle, die aus Staatsräson handeln. In der internationalen Politik geht es nicht vorrangig um Demokratie, sondern um wechselseitige Vorteile von Beziehungen. Das macht den Unterschied zwischen Innen- und internationaler Politik. Das muss auch Schäuble in seinem Zorn (Türkei = DDR) verstehen. Eine treffende Analyse findet sich im letzten Kapital von „A World Restored“, der PhD – Dissertation von H.Kissinger, die mehr als 60 Jahre nach ihrem Entstehen nach wie vor Gültigkeit besitzt. In den internationalen Beziehungen gibt es keine absoluten Werte. Es geht um das friedliche Zusammenleben von Staaten mit unterschiedlichen Wertvorstellungen. Im übrigen, seien Sie unbesorgt, ein Türkeibeitritt zur EU ist derzeit außer Reichweite.
ebo
22. Juli 2017 @ 12:12
Die deutsche Türkeipolitik ist fast reine Innenpolitik. Die europäische Türkeipolitik ist nicht existent.