Was klappt noch ?
Erst ist der EU-Kanada-Gipfel geplatzt, nun wird er doch noch abgehalten. So will die Union das Debakel um CETA vergessen machen. Doch seit dem Brexit häufen sich die Pannen. Was klappt noch in Brüssel?
[dropcap]J[/dropcap]a, was klappt eigentlich noch? Darüber habe ich am Dienstag Abend in Berlin in der „Phoenix“-Runde diskutiert. Und versucht, eine andere Vision der EU zu entwerfen. Eine, mit der es doch wieder klappen könnte.
Meine EU hätte auf den Brexit mit einer Denkpause reagiert – genau wie 2005, nachdem Franzosen und Niederländer den EU-Verfassungsvertrag abgelehnt hatten. Anders als damals hätte sie die gescheiterte Politik aber nicht wieder aufgenommen.
Stattdessen hätte sie eine schonungslose Bilanz gezogen und sich gefragt, warum es zum Brexit kommen konnte. Sie hätte einen neuen Konvent einberufen, wie es das Europaparlament gefordert hat, und ein paar Monate inne gehalten.
Eine Garantie, dass es danach besser geworden wäre, gibt es natürlich nicht. Vielleicht hätte man aber erkannt, dass das alte Europa der Regeln und Verfahren, die EU von Maastricht und Lissabon, das deutsche Europa, nicht mehr funktioniert.
Vielleicht hätte man erkannt, dass es nicht mehr darum geht, die Marktlogik immer weiterzutreiben, bis in die letzten Winkel, sondern darum, endlich soziale und demokratische Gegengewichte zu entwickeln, endlich Politik möglich zu machen.
Denn das ist es ja, was die Kritiker von Ceta wollen. Das ist es wohl auch, was viele Brexiteers wollten, als sie gegen diese EU stimmten und forderten, „die Kontrolle“ zurückzubekommen. Sie wollten mitentscheiden und nicht fremdbestimmt werden.
Doch die real existierende EU hat den Ruf nicht verstanden. Sie hat nicht inne gehalten, sich nicht selbst hinterfragt, sondern macht weiter wie bisher. CETA sollte der ultimative Beweis werden, dass Brüssel doch noch Erfolge einfahren kann.
Das ging schief, wird aber trotzdem weiter verfolgt. Schließlich kann sich diese EU ihr Scheitern nicht eingestehen. Was klappt noch? Auf diese kritische Frage antwortet Brüssel mit Ultimaten, Drohungen – und nicht mit der Selbstkritik, die so nötig wäre.
Aber vielleicht führt die CETA-Blamage ja doch noch zu einem Umdenken? Ich gebe die Hoffnung nicht auf…
Siehe auch „Drei neue Zeichen für den Zerfall der EU“
Dr. Franz Ost
30. Oktober 2016 @ 10:32
Faszinierend wozu das alte Schreckgespenst der DDR herhalten muss. Als wäre Rot-Rot-Grün eine echte Alternative zu Schwarz-Rot. Während die gestrige DDR die Diktatur des Proletariats heuchelte, tanzt man Heute um das goldene Kalb und feiert die Diktatur des Kapitals. Während der Pöbel sich um Marionetten streitet, feiern die Strippenzieher in ihren Milliardärsclubs. Die kontinentale Viehdrift ist im vollen Gange und der gemeine Deutsche kapiert nicht, das er auf der Speisekarte steht. Es wird überaus lustig die dummen Gesichter zu sehen, wenn wer auch immer, den Ausverkauf Europas beendet. Hochmut kommt immer vor dem Fall.
Peter Nemschak
28. Oktober 2016 @ 09:39
@S.B. Waren die nationalen Regierungen bei der Krisenbewältigung erfolgreicher als die supranationalen Institutionen, obwohl sie in ungleich größeres Budget zur Verfügung haben? Besonders logisch scheinen die Bürger nicht zu sein.
S.B.
28. Oktober 2016 @ 16:33
@Peter Nemschak: Die nationalen Regierungen, insbesondere der Krisenländer, werden doch permanent von der EU fremdbestimmt, wobei sie grundsätzlich selbst zuständig geblieben sind. Viele Köche machen den Brei aber bekanntlich nicht besser. Vor der EU hätten die Länder ihre (durch sie selbst verursachten) Krisen auch selbst geraderücken müssen. Da wäre die Verantwortung für die Missstände und deren Beseitigung klar gewesen und vor allem auch die Krisenbeseitigungsmechanismen. Heute geht’s drunter und drüber und die betroffenen Länder versinken im Chaos, siehe GR. Das ist der Krisenbewältigungsmodus à la EU. Und das soll dem friedlichen Miteinander dienen?
Peter Nemschak
28. Oktober 2016 @ 22:15
Außer jenen Ländern, die unter die Rettungsschirme flüchten mussten, kann sich kein Land auf Fremdbestimmtheit durch die EU ausreden. Unsere Politiker tun es aber gerne, um einen Schuldigen für unangenehme Maßnahmen zu haben. „Die in Brüssel…“. Was ist so schön am Nationalen? Haben Sie nicht auch mehrere Identitäten?
Winston
27. Oktober 2016 @ 21:44
Gibt noch Lichtblicke unter den Linken.
Excellentes Working Paper von Wolfgang Streeck.
WHY THE EURO DIVIDES EUROPE
https://newleftreview.org/II/95/wolfgang-streeck-why-the-euro-divides-europe
Ute Plass
27. Oktober 2016 @ 21:11
@Hans-Jürgen Lorenz – Ihre Einlassung zeugt von einer Schadenfreude, die hier völlig
unangebracht ist.
http://www.deutschlandfunk.de/die-eu-und-ceta-das-drama-ist-noch-lange-nicht-vorbei.720.de.html?dram:article_id=369797
Peter Nemschak
28. Oktober 2016 @ 04:25
CETA ist Nebensache. Es geht darum, dass bestimmte Agenden wie Außen-, Sicherheits-, Handelspolitik und andere Politikfelder ausschließlich in die supranationale Kompetenz der Kommission und des EU-Parlaments gehören und nichts auf nationaler oder gar regionaler Ebene zu suchen haben sollten. Sonst werden sie zum Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzungen und Tauschgeschäfte, die nichts mit dem eigentlichen Thema zu tun haben.
S.B.
28. Oktober 2016 @ 09:09
@Peter Nemschak: Nichts „gehört“ einfach so in irgendeine supranationale Kompetenz. Zuvor steht die Einigung der Mitgliedsländer über einen derartig weitreichenden Souveränitätsverzicht. Und von einer solchen Einigung sind diese derzeit weiter entfernt, als jemals zuvor, insbesondere weil die Bevölkerungen dies nicht wollen. Grund hierfür ist, dass sich in den schweren Krisen der letzten Jahre gezeigt hat, dass die EU diese gerade nicht im Interesse aller ihrer Mitglieder bewältigen kann.
Hans-Jürgen Lorenz
27. Oktober 2016 @ 19:18
Nachdem Ceta nun bei den Wallonen zustimmung findet, hat sich EU gegen die kleinstaatlichen Nationalisten, die laut zu dessen Verweigerung hurra geschrieben haben, durchgesetzt.Ein Lichtblick gegen die Rechten und Bürgerlichen Untergangspropheten.
Pjotr56
27. Oktober 2016 @ 12:51
„Kanada würde auf Investorengerichte verzichten, aber die EU-Kommission nicht“
schreibt heute Norbert Häring unter 1c auf den Nachdenkseiten:
http://www.nachdenkseiten.de/?p=35577
Meine These: Die EU-Kommission will gar kein werteorientiertes Europa der Menschen, sondern ein marktkonformes Europa der Konzerne.
kaush
27. Oktober 2016 @ 10:44
Journalismus klappt auch nicht mehr so wirklich. Zumindest im Staatsfernsehen.
Bei Udo van Kampen frage ich mich spätestens seit seinem Geburtstagsständchen für Merkel: Was nimmt der für Pillen?
Auch bei dieser Diskussionsrunde konnte ich ihn nicht ernst nehmen.
Alles Lustig Trallala, wird schon…
Roland Tichy konnte unwidersprochen behaupten, das die Griechen ja über 200 Mrd. Euro für nichts bekommen haben.
Da hätte ich mir schon von Herrn Bonse Widerspruch erwartet, wenigsten den Hinweis, das davon 90% an die Gläubiger geflossen sind.
Was kam: Nichts.
Also, was klappt noch: Die Türen…
ebo
27. Oktober 2016 @ 11:55
@kaush Man kann Tichy gar nicht so schnell widersprechen, wie er redet… Aber stimmt schön, das hätte man gerade rücken müssen, hat mich hinterher auch geärgert!
Peter Nemschak
27. Oktober 2016 @ 12:20
Griechenland hat Geld bekommen, um seine Schulden gegenüber den Banken bedienen zu können. Ohne dieses Geld wäre Griechenland Pleite gewesen, manche kleine Gläubigerbank hätte Schwierigkeiten bekommen. Die Großbanken hätten das verlorene Eigenkapital vermutlich durch Kapitalerhöhungen am Merkt ersetzen können. Es wäre an der Zeit, wenn ein Finanzhistoriker die Zahlen aufarbeiten könnte, um ein objektives Bild der Lage zu bekommen. Möglicherweise hätte der französische und deutsche Staat manche seiner Banken sanieren müssen. So oder so muss der europäische Steuerzahler einen Großteil der griechischen Schulden früher oder später abschreiben. Es wäre interessant zu erfahren, welche Lösung für den Steuerzahler günstiger gewesen wäre.
Peter Nemschak
27. Oktober 2016 @ 09:45
Das Verhalten von Belgien kann man nicht der EU anlasten, sehr wohl aber den Mitgliedsländern, welche supranationale Zuständigkeiten ständig in Frage stellen. Die EU ist nur so stark, wie die Mitgliedsländer zulassen.
S.B.
27. Oktober 2016 @ 12:04
@Peter Nemschak: „Die EU ist nur so stark, wie die Mitgliedsländer zulassen.“ Genau so ist es! Uns so ist es auch angedacht. Die EU ist eben kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund. Folgerichtig wird nur das gemeinsam gemacht, wo jeder Staat auch zustimmt. Vielleicht können Sie diesen Fakt ja einfach anerkennen und in Ihren Überlegungen berücksichtigen.
Peter Nemschak
27. Oktober 2016 @ 17:19
Mir erscheint Ihre Logik, dass der Nationalstaat der Weisheit letzter Schluss sei, nicht schlüssig. Außen- und Verteidigungspolitik sowie internationale Handelspolitik sind supranational jedenfalls besser als national aufgehoben, Ähnliches gilt für die Definition des Bildungsstandards der Bevölkerung, um Mobilität und Chancen am Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Warum sollte ein Bundesstaat Europa weniger Lebensqualität als ein Bundesstaat Kanada bieten? Auch die Schweiz kommt mit mehreren Sprachen und Mentalitäten gut zurecht. Politisch würde ein Bundesstaat Europa eher zur Mitte als zu den Extremen am Rande des politischen Spektrums tendieren.