Was heißt hier proeuropäisch?
“Die Europäer geben immer mehr jener Prinzipien auf, auf denen die EU beruht. Und die EU ziert sich immer mehr, diese Prinzipien durchzusetzen.”
So kommentiert die liberale slowakische Tageszeitung “Sme” die Regierungsbeteiligung der rechten FPÖ in Österreich. Die EU werde immer nachsichtiger gegenüber Rechtsextremisten, so das Blatt.
In der Tat stimmt nachdenklich, wie zurückhaltend Kommissionschef Juncker auf den Rechtsruck in Wien reagiert. Dass Kanzler Kurz behauptet, er sei “proeuropäisch”, scheint ihm zu genügen.
Es reicht jedenfalls, um von Juncker und von Ratspräsident Tusk empfangen zu werden. Kurz kommt nach Brüssel – und dieser symbolische Besuch soll, wie es scheint, alle Zweifel ausräumen.
Doch was heißt hier proeuropäisch? Ist es “proeuropäisch”, wenn der Vizekanzler den Hitlergruss nicht mehr exerziert, den er in seiner Jugend liebte? Ist es “proeuropäisch”, wenn man Flüchtlinge diskriminiert?
Im Jahr 2000 wäre das als “antieuropäisch” verdammt und sanktioniert worden. Damals hat man die FPÖ noch für unvereinbar mit europäischen Werten erklärt, heute ist ihre Politik im Mainstream angekommen.
Okay, die Flüchtlingskrise 2015 und die unbedachte Politik von Kanzlerin Merkel (und Kommissionschef Juncker) haben viel verändert. Die politischen Koordinaten haben sich nach rechts verschoben.
Umso mehr kommt es nun darauf an, zu differenzieren – zwischen dem was, mit den europäischen Werten und Prinzipien vereinbar ist, und was nicht. Sonst wird “proeuropäisch” zur hohlen Phrase.
Oder, schlimmer noch, zum Freibrief für antieuropäische, weil nationalistische und egoistische Politik. Leider ist genau das seit Euro- und Flüchtlingskrise gang und gäbe, nicht nur in Wien…
WAS FEHLT? Die Krise in Griechenland. Am Dienstag stimmt das Parlament in Athen über den Haushalt 2018 ab. Die Griechen hoffen, dass das der letzte Krisen-Haushalt ist. Im August läuft das dritte Hilfsprogramm in Höhe von bis zu 86 Milliarden Euro ab. Danach soll sich Griechenland wieder allein am Markt finanzieren – ob das wohl gut geht?
Hella-Maria Schier
8. Januar 2018 @ 16:58
Sieht es nur auf den ersten Blick widersprüchlich aus, dass immer mehr nationalistische Politik gemacht wird, während gleichzeitig die Politische Union durchgesetzt werden soll? Das geht doch wohl kaum von verschiedenen Kreisen aus. Hab darüber noch nie was gelesen.
kaush
19. Dezember 2017 @ 16:53
Aus dem Regierungsprogramm 2017 – 2022:
“Bekenntnis zu einer Weiterentwicklung der Europäischen Union im Sinne des Szenarios 4 („Weniger, aber effizienter“) des Weißbuches zur Zukunft Europas
• Prüfung der Möglichkeit der Einführung von Subsidiaritätsprüfungen im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens
• Entbürokratisierung auf EU-Ebene – Auslaufklausel („Sunset Clauses“) in europäischen Rechtsakten; Anwendung der „One-in-one-out-Regel“
• Kein Gold-Plating bei der Umsetzung von EU-Recht
• Bei einer umfassenden europäischen Debatte über die Reform bzw. Zukunft der EU wird inÖsterreich ein eigener EU-Konvent einberufen, um die österreichische Position zu erarbeiten
• Klare Politik gegenüber der Türkei: Keine Zustimmung zu einem EU-Beitritt der Türkei. Verbündete zur Erreichung des endgültigen Abbruchs der EU-Beitrittsverhandlungen zu
Gunsten eines Europäisch-Türkischen Nachbarschaftskonzeptes werden gesucht
• Eintreten für eine EU-Erweiterungspolitik mit klaren Kriterien: Unterstützung für die Staaten desWestbalkans auf der Grundlage ihrer individuellen Fortschritte
• Beitrag für einen effizienten EU-Außengrenzschutz durch Stärkung der Zusammenarbeit
zwischen den Mitgliedstaaten und FRONTEX und Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit in Österreich durch Grenzraumkontrollen; Auslotung und Ergreifung sämtlicher Möglichkeiten von nationalen Grenzschutzmaßnahmen, solange der europäische Außen- grenzschutz nicht gesichert ist
• Ziel ist ein positives Miteinander auf unserem Kontinent. Österreich wird sich aktiv dafür verwenden, die – insbesondere durch den Ukraine-Konflikt – entstandenen Spannungen und damit verbundenen Sanktionen im europäischen Einklang abzubauen und sich für die Entschärfung des Konflikts in und um die Ukraine einsetzen
• Fokussierung der gesamten Bundesregierung auf die aktive Gestaltung des österreichischen EU-Ratsvorsitzes 2018. EU-Ratsvorsitz nützen, um zu einem Kurswechsel in der EU hin zu mehr Bürgernähe beizutragen; Eintritt für einen europäischen Subsidiaritätspakt”.
Wer behauptet, das sei antieuropäisch, der befindet sich auf dem peinlichen Kindergarten-Niveau von Sonia Mikich. https://www.tichyseinblick.de/daili-es-sentials/sonia-mikich-verunglimpft-sebastian-kurz/
Karl Pongratz
19. Dezember 2017 @ 23:53
@kaush
Dem Subsidiaritätsprinzip von Kurz kann ich sogar etwas abgewinnen. Ansonsten steht Kurz sein “proeuropäisch” für einen elitären Club (Zentrum) der vor allem wirtschaftliche Vorteile bringen soll und die EU Außengrenzen abschottet – gemeinsamer Binnenmarkt mit Grenzschutz.
Ich glaube nämlich das Kurz wie andere rechts-konservative, rechts-liberale oder Rechte (AFD/FPÖ) keine Skrupel hätte um zum Beispiel Griechenland aus der Eurozone oder sogar aus der EU zu werfen.
Im Gegensatz dazu würde ein Proeuropäer auf eine Reform der Eurozone/EU-Verträge dahingehend bestehen das sie für »alle« europäischen Länder wirtschaftliche als auch soziale Vorteile bringen. Der Umgang mit Griechenland war eindeutig pro-nationalistisch bzw pro-mitteleuropäisch. Kurz seine Truppe, die FPÖ erst recht nicht, wird sich diesbezüglich nicht von seinen Vorgängern unterscheiden.
kaush
20. Dezember 2017 @ 16:37
In Bezug auf Griechenland:
es wäre tatsächlich pro europäisch und vor allem pro Griechenland gewesen, wenn man Griechenland 2010 aus dem Euro geworfen hätte.
Man hat es nicht getan, weil eine erneute Bankenrettung (nur zwei Jahre nach 2008) nicht zu vermitteln war.
Denn da hätte auch der dümmste Michel gesagt: Ne Freinde so nicht, jetzt ist es gut.
Denn man hat nie Griechenland gerettet, sondern in der Hauptsache Deutsche und Französische Banken.
Karl Pongratz
19. Dezember 2017 @ 11:27
Noch ein Punkt zu »proeuropäisch«.
Wären die vermeintlichen glühenden Europäer in Brüssel und den Nationalstaaten tatsächlich proeuropäisch dann müßten sie eine Union propagieren und vorantreiben die allen Staaten/Regionen Europas, inklusive Russland, Ukraine, Albanien, Schweiz, Großbritannien, Türkei?, usw. eine Heimat bieten.
Hierzu könnte es unterschiedliche Formen der Mitgliedschaften (regional & national) geben, jedenfalls sollten die Hürden für eine Migliedschaft niedriger bzw einfacher als bisher sein.
Aber das müßte nun einmal ein Europa sein in der Kooperation, Fairness und Demokratie mehr zählen als wirtschaftlicher und militärischer Wettbewerb.
Mir ist schon klar das dies vorläufig Utopie ist, nur das ist mein Europa für das ich glühen könnte. Und das soll bitte eine demokratische Union sein, keine Republik, keine Vereinigten Staaten, usw. Je einfacher, desto besser, auch wenn es weniger Rechte/Freizügigkeit in einer solchen Union gäbe. Wichtiger ist nämlich das man sich in großen/wichtigen Belangen einig ist und nicht das man in Euro zahlen oder sich überall in der EU niederlassen kann.
Less is more, simple is better.
Peter Nemschak
19. Dezember 2017 @ 11:06
Frage an Radio Eriwan: sind die Bürger der EU noch proeuropäisch? Antwort: im Prinzip ja – “nationalsozialeuropäisch”. In unserer stark individualisierten Gesellschaft sind linke Vorstellungen von grenzen- und bedingungsloser Solidarität, welche das Prinzip Wettbewerb als neoliberal grundsätzlich verteufeln, nicht besonders populär. Diese Ideen haben das supranationale Europa nicht beflügelt.
Manfred Waltermann
19. Dezember 2017 @ 09:14
Wohin
ist die EU verkommen im Laufe der von Epo angeführten ca. 17 Jahre? – Seine heutige Darstellung ist falsch, weil er einerseits „entschuldigend“ Versäumnisse und Fehlentwicklungen zu minimiere versucht, andererseits aber mit den sogenannten Rechten hart ins Gericht geht! – Sollte man nicht diesen – von Ebo als Beweis angeführten „Hitlergruß in seiner Jugend“ – und seine heutige Mitverantwortung für ein demokratisches Staatswesen etwas differenzierter sehen?
Genau diese Schwarz-Weiß-Malerei führt absolut nicht weiter und bedient nur den „Mainstream der Gestrigen“, die es nicht geschafft haben, das Europa/die EU zu schaffen, was sie als Ziel einmal propagiert haben.
Also, liebe EU-Europa-Freunde, weniger verbissen, mehr wahrhaftiger den Weg für eine in Frieden lebende UNION der Bürger bereiten, in dem die nationalen Eigenarten der Bürger sich wiederfinden und nicht Wirtschaftsinteressen und das krampfhafte Verbreiten des nicht für alle geeigneten EURO per Dekret dominieren!
Das wünsche ich allen zum Weihnachtsfest und für das Jahr 2018!
Karl Pongratz
19. Dezember 2017 @ 08:45
Ich bin kein Rechter aber den Begriff »proeuropäisch« halte ich für eine leere Phrase sondergleichen weil zu Europa gehört ein bischen mehr als die Union. Man kann entweder für oder gegen die EU (UNION) sein, nicht aber für oder gegen Europa.
Warum soll Brüssel ein Problem mit der FPÖ haben? Die FPÖ ist stramm neoliberal, nationalistisch, reaktionär bis rechtsextrem. Ist das die einizge rechts-nationalistische Partei in einer Regierung?. Soll Brüssel also die EU gleich auflösen?
Andereseits dämmert es den Rechten das die Zukunft für Zwergstaaten wie Österreich ohne EU doch nicht so rosig aussieht wie sie sich das vor dem Brexit vorgestellt haben. Aber selbst ein Öxit heißt noch nicht EU-Austritt.
Die Frage ist eigentlich nur wie die EU und Eurozone in Zukunft aussehen soll/wird. Eine demokratisch-solidarische EU wird es mit Kurz und Strache genauso wenig geben wie mit Merkel, Schulz und den anderen neoliberalen Mitte- oder Rechts Regierungen.
Brüssel und auch den Linken wie zB Diem25 wird nicht viel anderes übrig bleiben als sich mit dem latenten Nationalismus in den meisten EU-Staaten abzufinden.
Mir persönlich wäre eine zumindest demokratische EU Lite mit der auch die Rechten leben können noch immer lieber als rechts-konservativer EU-Zentralismus oder eine rechts-konservative EU-Regierung in einer Republik, etc. Das könnte durchaus Vorteile für die wenigen Staaten mit einer Mitte/Links oder Links-Regierung haben.
hintermbusch
19. Dezember 2017 @ 07:27
Was kann die EU-Kommission gegen eine mit satter Mehrheit gewählte Regierung in Österreich tun? Zusätzlich zu Polen, Ungarn, Tschechien und dem Brexit?
Was sollte sie überhaupt tun wollen? Aus den Erwartungen an die Kommission spricht nach meiner Meinung ein zentralistischer Größenwahn.