Warum Juncker noch gebraucht wird

Deutschland treibt die EU mit seiner Politik in eine Legitimationskrise. Gleichzeitig will und kann Berlin diese Krise aber nicht selbst lösen. Deshalb wird Brüssel noch gebraucht – auch wenn es unbeliebt ist.

FOLGE 9 einer zehnteiligen Serie zur Krise im deutschen Europa.

Seit ungefähr einem halben Jahr führen die konservativen Eliten in Deutschland eine massive Kampagne gegen die EU-Kommission und ihren Chef Juncker. Erst sollte er für den Brexit den Kopf hinhalten.

Dann hieß es, er habe bei TTIP und CETA versagt – dabei waren es die Regierenden in Berlin, die Brüssel im Streit um den Freihandel, der vor allem in Deutschland tobt, allein im Regen stehen ließen.

Schließlich kam noch der Vorwurf, Juncker sei als Chef einer “politischen Kommission” ungeeignet, die (deutschen) Sparvorgaben umzusetzen. Finanzminister Schäuble sagt dies bei jeder Gelegenheit.

Doch die Erwartung, Berlin wolle Juncker loswerden, führt in die Irre – auch wenn die Presse sie genüsslich nährt. Denn Juncker wird noch gebraucht – um das deutsche EUropa zu legitimieren.

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Besonders deutlich wurde dies in der Flüchtlingskrise 2015. Nach der Öffnung der deutschen Grenzen war Juncker bald der letzte Mohikaner, der Merkel noch vorbehaltlos und offen die Stange hielt.

Und das, obwohl die Kanzlerin mit ihrer Grenzöffnung – bei gleichzeitiger Nicht-Umsetzung der EU-Quoten – gegen die Dublin-Verordnung und viele europäische Beschlüsse verstoßen hat…

Leading through the EU framework

Im deutschen Interesse handelte Juncker auch zuletzt wieder – im Streit um die Ausländermaut. Fürs Publikum reichte er Klage vor dem EuGH ein, hinter den Kulissen kungelte er mit Merkel einen Deal aus.

Der wird als “europäische Lösung” verkauft, obwohl das Maut-Modell kaum verändert wurde. Für Merkel hat das den Vorteil, dass nun die EU-Kommission den deutschen Sonderweg legitimiert.

Mittlerweile wird diese Methode auch schon theoretisiert. „Berlin prefers to lead through the EU framework“, heißt es beim Thinktank ECFR in der deutschen Hauptstadt. Die Autoren sind – Deutsche.

Merkel muss sich nicht exponieren

Der Vorteil ist, dass Merkel und die Bundesregierung ihre Interessen durchsetzen, sich aber nicht selbst exponieren müssen. Juncker und die Kommission machen das für sie, Oettinger lässt grüßen.

Der Nachteil ist, dass sich die anderen EU-Länder in der der – eigentlich als neutral gedachten – Kommission immer weniger wiedererkennen. Das Legitimationsproblem wird also nicht gelöst.

Es wird nur von Berlin, der Hauptstadt des deutschen EUropa, nach Brüssel verlagert. Wie lange wird Juncker das noch mitmachen, wie lange hält die EU das aus?

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Der zehnte und letzte Teil folgt in den nächsten Tagen. Wer nichts verpassen will, kann hier tägliche Updates bestellen.