Warum Frankreich an der EU verzweifelt
Juchhu, wir profitieren von der Krise in Frankreich! Je stärker Le Pen wird, desto mehr kassiert Schäuble! Das meldet SPON. Warum Frankreich an der EU (und an Deutschland) verzweifelt, erfährt der Leser nicht.
Klar, für SPON und die meisten deutschen Medien gibt es ja auch nur E. Macron, den parteilosen sozialliberalen Kandidaten, der sich regelmäßig bei Kanzlerin Merkel seine „credits“ holt.
Le Pen hingegen ist „pfui“, genau wie die Linken Mélenchon oder Hamon. Dass sich alle drei gegen das „deutsche Europa“ und die deutschen Regeln für den Euro auflehnen, schreibt kaum jemand.
Dabei gibt es dazu – unabhängig von der Wahlkampagne – mittlerweile umfangreiche Literatur bei unserem wichtigsten Partner und Nachbarn. Man muss nur sie nur zur Kenntnis nehmen (wollen).
Ich bin kürzlich auf Coralie Delaume gestoßen – eine junge Bloggerin und Essayistin, die schon 2014 die „zerstrittenen Staaten von Europa“ beschrieben hat. Das war noch vor der Flüchtlingskrise…
Nun hat sie ihre Kritik zugespitzt – in einem Buch mit dem Titel „La Fin de l’Union Européenne“ (Das Ende der EU). Die wichtigsten Argumente hat sie in einem Interview mit dem „Figaro“ reümiert, Zitat:
Morte de son inaptitude à régler les crises autrement que par de brutaux oukases ou par des simulacres de négociations au terme desquels les pays les plus forts finissent par imposer leurs vues, et où l’unique option qui s’offre aux plus fragiles est celle d’une humiliante reddition. Morte de l’échec spectaculaire de son modèle économique – échec conjoint du marché unique et de l’euro. Morte, enfin, de son illégitimité démocratique et de ses traités qui ont remplacé la souveraineté populaire par une technostructure sans vision.
Brutale (deutsche) Krisen-Diktate, simulierte Gipfel-Verhandlungen, das Recht des Stärkeren, Scheitern des Wirtschaftsmodells, Scheitern des Euro, fehlende demokratische Legitimation…
…es sind die üblichen Kritikpunkte, aber sie kommen eben nicht vom Front National oder von Donald Trump, sondern aus dem bürgerlichen Lager in Frankreich. Lesen!
Siehe auch „Das Ende der EU…“
Sonja Helmich
26. Februar 2017 @ 15:42
Leider wird auch hier nicht klar, wirso „Frankreich“ (ganz Frankreich?) an der EU (und damit an Deutschland) verzweifelt. Frankreich ha ja nun fleissig mitgestrickt an dieser Form der EU.
GS
26. Februar 2017 @ 19:49
In der Tat. Wenn die Franzosen so tun, als sei die EU und insb. der Euro über sie hereingebrochen, dann ist das Geschichtsklitterung. Man wollte mit dem Euro die Deutschen an die Kandare nehmen und jetzt zahlt man halt den Preis, wobei „man“ dann nicht nur die Franzosen sind…
F.D.
25. Februar 2017 @ 20:43
Aux armes, citoyens, formez vos bataillons.
Alexander
25. Februar 2017 @ 14:11
Ich habe gestern diesen kurzen Reuters-Artikel gelesen:
http://de.reuters.com/article/griechenland-armut-idDEKBN1611I0
Direkt danach bin ich dann auf die oben erwähnte SPON-Meldung gestoßen. Es ist so furchtbar, was „unsere“ Regierung anrichtet! Vielleicht mag ja in 10 oder 20 Jahren ein Historiker ausrechnen, wieviele Bomben man für das gleiche Resultat gebraucht hätte.
S.B.
25. Februar 2017 @ 15:54
Ja, es ist furchtbar, was die EU und der IWF in GR anrichten. Man darf nur nicht darüber hinwegsehen, dass die griechische Regierung dabei kräftig mitwirkt, ihr eigenes Volk an das neoliberale Globalisten-Pack zu verraten. Genau wie es in allen anderen EU-Ländern auch der Fall ist. Deshalb ist es auch vernünftig, ein Ende dieses Projekts zu fordern. Denn in diesem Zustand und mit den gleichen „Eliten“ ist die EU auch absolut nicht reformierbar.
kaush
25. Februar 2017 @ 13:57
Diese „Vorwürfe“ sind schlicht eine Beschreibung der EU-Realität.
Peter Nemschak
26. Februar 2017 @ 10:31
Die „Vorwürfe“ beschreiben die Realität in den Mitgliedsstaaten. Frankreich hat sich, als der Kommunismus fiel und die Wiedervereinigung Deutschlands erfolgte, eine andere, glorreichere Rolle in Europa vorgestellt, als das Land heute zu spielen im Stande ist. Daran würde auch ein zweiter Flugzeugträger, wie ihn Le Pen sich für Frankreich wünscht, nichts ändern. Frankreich leidet an verletztem Selbstwertgefühl und mit ihm seine Intellektuellen. Dass Deutschland die EU und den Euro besser als andere für sich zu nutzen verstand, erzeugt Neid und Missgunst bei dem, der gerne die erste Rolle gespielt hätte und nunmehr die zweite spielen muss. Individuelles und kollektives Selbstwertgefühl sind prekär und verletzlich. Der EU fehlt das für die Rolle einer Weltmacht notwendige Selbstbewusstsein: „so bin ich, so will ich, so ist es“. Sie vermittelt nicht den Eindruck des „the eagle has landed“, Welt sieh zu, wie du damit fertig wirst. Eine andere Art narrzistischer Störung, ein übersteigertes Selbstbewusstsein, kann man derzeit in den USA bei Trump und seinen Anhängern beobachten. Das tut weder dem Land noch der Welt gut. Gefragt wäre ein Wissen, das fächerübergreifend politikwissenschaftliches und medizinisches Wissen vereint. Die Sozialpsychiatrie, so ferne es sie überhaupt gibt, dürfte noch in den Kinderschuhen stecken, weil bei den Herrschenden die Einsicht in ihre Notwendigkeit fehlt.
Peter Nemschak
25. Februar 2017 @ 13:56
Fillon wäre durchaus in der Lage, Frankreich zu entbürokratisieren und wirtschaftlich fitter zu machen. Le Pen würde hingegen das Land abwirtschaften. Nur sind ihre Wähler zu dumm, um es zu merken oder ist es ihnen gar egal.. Auch viele Trump-Wähler haben gegen ihre wirtschaftlichen Interessen gewählt. Offenbar geht es bei den Leuten primär um nationale Identität und Nationalstolz oder was immer sie darunter verstehen. Der Trend geht derzeit weltweit gegen transnationale Solidarisierung. Europa ist dabei keine Ausnahme. Dass Kapital nach Deutschland fließt und die Zinsen drückt, hat damit zu tun, dass die Investoren mehr Vertrauen in die deutsche als in die französische Wirtschaftspolitik haben. Da werden wohl die Linken und die Bürgerlichen in Frankreich über ihren Schatten springen und sich gegen Le Pen zu einem Zweckbündnis zusammenschließen müssen, auch wenn es den linken Intellektuellen.Frankreichs ein Gräuel ist.
hintermbusch
26. Februar 2017 @ 16:16
„Auch viele Trump-Wähler haben gegen ihre wirtschaftlichen Interessen gewählt.“
Darüber kann und muss man streiten. Man konnte in den letzten Jahren sogar an der Lebenserwartung mancher Teile der US-Bevölkerung ablesen, dass es ihnen seit längerem miserabel geht.
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/11/06/das-amerika-von-trump/
Das war das Ergebnis der Politik von Reagan, Clintons, der Bushs und Obamas. Ob Trump etwas daran ändert, steht ganz und gar in den Sternen, der Handlungsbedarf ist aber in den USA so offensichtlich wie in der Sowjetunion der 70er und 80er Jahre. Diese angeblich so objektiven wirtschaftlichen Interessen haben sich zu so etwas wie einer Möhre vor der Nase eines Esels entwickelt, der nicht zu seinem eigenen Vorteil durch die Welt dirigiert wird:
https://hintermbusch.wordpress.com/2016/10/28/warum-sind-die-amerikaner-sauer/
Diese Möhre hat übrigens die angeblich so erfolgreichen Deutschen am meisten in die Irre geführt. Statt Kinder groß zu ziehen, haben wir unsere gesamte Gesellschaft dem kurzfristigen wirtschaftlichen Denken geopfert. Die einfachen Schichten haben sich für zu wenig Lohn ausbeuten lassen, die Mittelschichten haben sinnlos Geld verdient und in sinnlose Anlagen gesteckt. Es ist mit Verlusten verbunden, aus diesem Unsinn auszusteigen, aber wer nicht aussteigt, wird am Schluss am Dümmsten dastehen. Es handelt sich um eine klassisches Schneeballsystem.