Warum Europa überfordert ist (Update 20.6.11)

Von wem hat sie nur diese Neigung zum Aussitzen?

Nach der Vertagung des Rettungsplans für Griechenland ist nun ein Streit über den weiteren Zeitplan entbrannt. Die EU-Kommission möchte die Entscheidung über neue Milliardenhilfen möglichst schnell nachholen, am besten beim nächsten Treffen der Eurogruppe am 11. Juli. Deutschland spielt dagegen auf Zeit – man könne ruhig noch bis September warten, heißt es in Berlin. Eurogruppen-Chef Juncker drängt zur Eile und warnt Kanzlerin Merkel vor einem Aussitzen der Krise.

Offenbar ist die EU nicht nur mit Griechenland, sondern auch mit der eigenen Organisation überfordert. Erstaunlich ist das nicht. Denn die Europäer waren von Anfang an nicht auf eine Schuldenkrise vorbereitet und haben es seit mehr als einem Jahr nicht einmal geschafft, eine arbeitsfähige Taskforce aufzubauen. Jedes Land ist sich selbst am nächsten und verfolgt seine eigene Agenda – vor allem Deutschland fällt dabei unangenehm auf.

In Berlin will man das natürlich nicht wahrhaben. Vor einem Jahr unterhielt ich mich mit einem deutschen Diplomaten in Brüssel über dieses Thema, der nun in Berlin eine zentrale Rolle spielt. Er räumte ohne weiteres ein, dass die EU ein Problem mit der Krisenkommunikation habe. Die 27 sprechen selten mit einer Stimme und verwirren die Märkte mit unabgestimmten, teils sogar widersprüchlichen Aussagen, so seine Analyse.

Das trifft es aber nur zum Teil. Natürlich führt es zu Verwirrung, wenn aus Athen andere Signale kommen als aus Brüssel oder Paris. Es ist auch nicht hilfreich, wenn sich jeder Regierungschef, Finanzminister oder Außenminister bemüßigt fühlt, über die Eurokrise zu sprechen, während die eigentlich Zuständigen (Juncker oder EZB-Chef Trichet) beharrlich schweigen. Auch die defensive und reaktive Kommunikationsstrategie der EU-Kommission hilft nicht weiter.

Im Kern haben wir es aber mit einem deutschen Problem zu tun. Schließlich ist Deutschland die größte Wirtschaftsmacht in der EU; gegen Berlin geht in Brüssel kaum etwas – schon gar nicht, wenn es um Hilfen für Griechenland geht. Die Bundesregierung hat jedoch seit Beginn der Krise auf Zeit gespielt und so die Kosten der Rettung in die Höhe getrieben.

Merkels Forderung, den IWF an der Hilfe zu beteiligen, hat die Lage weiter verkompliziert. Neben den 27 Europäern reden nun auch noch Amerikaner und andere IWF-Member mit. Der IWF sorgte auch für Probleme mit der derzeit fälligen Tranche der Griechenland-Hilfe. Nur weil Washington sich gegen die Zahlung sperrte, musste die EU überhaupt neue Hilfspläne schmieden – ein Zusammenhang, der in Berlin meist verschwiegen wird.

Wenn Deutschland nun schon wieder auf der Bremse steht, so hat dies vor allem innenpolitische Gründe. Merkel steht zunehmend unter Druck ihrer Koalition, den Bundestag am Management der Schuldenkrise zu beteiligen (was längst überfällig ist). Der Bundestag wird sich aber erst im Herbst wieder mit diesem Thema befassen. Innenpolitisch macht es also durchaus Sinn, den Streit zu vertagen und auf bessere Zeiten zu hoffen.

Europapolitisch und ökonomisch wäre dies allerdings fatal. Denn nach außen sendet die Vertagung das Signal, dass die EU nicht mehr handlungsfähig ist. Zugleich spekulieren die Märkte immer offener auf eine Pleite Griechenlands und auf ein Auseinanderbrechen der Eurozone. Bleibt zu hoffen, das deutsche Europaabgeordnete wie Elmar Brok (CDU) oder Alexander Graf Lambsdorff (FDP) den Ernst der Lage erkennen und Druck auf ihre Parteifreunde in Berlin machen.

Im letzten Jahr hatten sie damit Erfolg – allerdings erst nach einer wochenlangen Hängepartie… 

 

Nachtrag 20.6.11

Die EU-Finanzminister haben die Märkte heute wieder mit widersprüchlichen Meldungen verwirrt. Kein Geld für Griechenland jetzt, aber Milliarden für einen neuen Rettungsfonds in 2013, hieß die Botschaft aus Luxemburg. Die FTD fordert deshalb eine EU-Abteilung für Investor Relations. Ich denke, die Europäer sollten lieber ihre CEOs auswechseln, sich nach alternativen Finanzierungsquellen umsehen und ein paar gute Strategie-Berater anheuern…

 

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