Warum der Türkei-Bericht folgenlos bleibt

Die EU-Kommission hat dem Beitrittskandidaten Türkei ein miserables Zeugnis ausgestellt. Doch Konsequenzen will sie daraus keine ziehen – im Gegenteil.

Bei zentralen EU-Prinzipien wie Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit sei ein „negativer Trend“ zu beobachten, sagte Erweiterungskommissar Hahn in Brüssel. Hahn verwies insbesondere auf „steigenden Druck und Einschüchterung von Journalisten und Medienunternehmen“.

Hahn kritisierte auch, dass sich Präsident Erdogan regelmäßig in die Innen- und Außenpolitik seines Landes einmische, obwohl ihm dies laut Verfassung eigentlich nicht zustehe.

Gleichzeitig lobte Hahn die Türkei aber für ihr Engagement in der Flüchtlingsfrage und die Aufnahme von mehr als zwei Millionen Menschen aus Syrien und Irak. Zudem empfahl er, neue Kapitel für die EU-Beitrittsverhandlungen zu öffnen.

Dabei geht es um die Kapitel 23 (Justiz und Grundrechte) und 24 (Justiz und Inneres) – also um den Kernbereich des Rechtsstaats. Die Türkei habe selbst um die Öffnung dieser Abschnitte gebeten, so Hahn. Die Verhandlungen würden es erlauben, die bemängelten Defizite anzusprechen und „positive Konsequenzen“ zu ziehen. An den Grundwerten und Prinzipien der EU werde nicht gerüttelt, betonte er.

Genau daran haben viele Beobachter und Europaabgeordnete allerdings große Zweifel. Denn schon vor Veröffentlichung des Türkei-Berichts hatte Kommissionspräsident Juncker klar gemacht, dass die Türkei ein unverzichtbarer Partner bei der Lösung der Flüchtlingskrise sei.

Dies sieht auch Hahn so: Gleich nach Vorstellung seines Bericht reiste er nach Ankara, um mit der Regierung über einen EU-Aktionsplan zu verhandeln.

Im Europaparlament wird der Kurs der Kommission denn auch zunehmend kritisch gesehen. Ein „blinder Deal“ nach dem Motto „Geld und Visa für die Türkei und dafür weniger Flüchtlinge für die EU“ sei keine Lösung, kritisierte die Chefin der Grünen-Fraktion, die Deutsche R. Harms.

Ähnlich äußerte sich der Chef der Liberalen, der Belgier G. Verhofstadt. Es sei ein Fehler, die Lösung der Flüchtlingskrise in die Türkei „outsourcen“ zu wollen, sagte er. Die EU könne nur dann Druck auf die Türkei ausüben, wenn sie ihre Außengrenzen selbst schütze.

Genau davon kann in der Ägäis aber bisher keine Rede sein…