Warten auf Mutti

Die nahende Bundestagswahl macht sich nun auch in Brüssel bemerkbar. Alle großen Entscheidungen wurden auf den Herbst verschoben, der EU-Gipfel wird zur Nullnummer. Die Zwangspause im „deutschen Europa“ ärgert viele Diplomaten. Sie könnte auch gefährlich werden – denn die Eurokrise ist nicht vorbei.

Eigentlich wollte Kanzlerin Merkel diese Woche noch mal so richtig abräumen. Die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei sollten wieder aufgenommen werden, der EU-Gipfel sollte einen neuen Plan für Wettbewerbsfähigkeit beschließen.

Doch daraus wird nichts. Die Türkei muss nun auf einen weiteren EU-Bericht im Herbst warten, die Verhandlungen mit dem autoritären Premier Erdogan gehen erst nach der Wahl in Deutschland weiter.

So hat es Außenminister Westerwelle eingefädelt – um die konservativen Wähler Merkels nicht zu verärgern. Und natürlich auch, um ein bisschen so zu tun, als nehme man die Bürger-Proteste in Istanbul und Ankara ernst („Westerwelles Wahlkampfmanöver“).

Auch die Wettbewerbsfähigkeit muss warten. Denn ihren „Pakt“ kann Merkel nur haben, wenn sie Geld für ein neues Euro-Budget locker macht. Vor der Wahl kommt das nicht so gut – also wurde es aufgeschoben (siehe: „Merkels Agenda muss warten“).

Auch die schon im Dezember versprochene Reform der Währungsunion, das zweite Zypern-Hilfsprogramm und die nächste Umschuldung in Griechenland müssen warten.

Im „deutschen Europa“ richtet sich alles nach Muttis Zeitplan. Zur Not manipuliert der EU-Vorsitz schon mal die Agenda so, dass es zu den deutschen Befindlichkeiten passt („Wie der Rat manipuliert“).

Vielen EU-Diplomaten in Brüssel stößt dies sauer auf. „Die deutschen Wahlen legen Europas Ambitionen auf Eis“, überschrieb die griechische Zeitung Kathimerini eine aktuelle Geschichte. Zitat:

„We’re in a holding pattern until after the German elections in September,“ said a senior diplomat involved in preparing files for the summit. „Nothing controversial can happen until then, at least in terms of economic policy.“

Die große Frage ist nun, ob die EU es sich leisten kann, auf Deutschland zu warten. Die Lage vieler Banken und Unternehmen spitzt sich – Stichwort: Kreditklemme – bedrohlich zu. Zumindest zur Bankenunion sind Entscheidungen fällig.

Auch die Unruhe an den Märkten wächst. Die Renditen für Krisenländer wie Spanien und Italien schnellen wieder in die Höhe. Ein kleiner Funken genügt, und die Eurokrise könnte wieder voll ausbrechen (siehe „Alles wackelt“).

Zumindest, so beruhigen sich manche EU-Insider, sei nicht mit unangenehmen Überraschungen in Deutschland zu rechnen. Nach der Wahl dürfte Merkel wieder das Ruder übernehmen – mit einem Machtwechsel rechnet in Brüssel niemand…