Brüssel wartet auf Godot
Nach dem Putschversuch in der Türkei haben die EU-Außenminister keine klare Stellung bezogen. Die maue Haltung erinnert an die Reaktion auf den Brexit: Man wartet auf Godot – pardon: May, Erdogan und wie sie alle heißen.
Ein Land, in dem der Präsident alle Macht an sich reißt und in dem das Militär putscht, kann kein EU-Mitglied werden. Man muss kein Europarechtler sein, um das zu verstehen.
Doch die EU-Außenminister haben es nicht einmal fertig gebracht, mit der Aussetzung der Beitrittsgespräche zu drohen. Sie erinnern an demokratische Werte, die es in der Türkei nicht mehr gibt.
Dahinter steht offenbar das „Prinzip Hoffnung“ und der Versuch, auf Zeit zu spielen. Irgendwann, so die vage Vermutung, werde Sultan Erdogan schon auf den Pfad der Tugend zurückkehren.
Wohin das führt, lässt sich bereits in UK besichtigen: Trotz des „Wishful thinking“ de EUropäer sind nun die Brexiteers an der Macht; sie haben das Gesetz des Handelns übernommen.
Doch in Brüssel wartet man immer noch – nun auf den EU-Austrittsantrag von Mrs. May. Es erinnert wirklich an das Warten auf Godot…
Peter Nemschak
20. Juli 2016 @ 20:52
@alex Die Löhne in Deutschland sind in letzter Zeit relativ stark im Verhältnis zu den Partnerländern in der EU gestiegen. Daran kann es nicht liegen. Frankreich und Italien haben offenbar ein Produktportfolio, das sich zu gegebenen Preisen nicht absetzen lässt. D.h. die Preise und die Kosten müssen relativ zu Deutschland gesenkt werden. Dort liegt das Problem der Wettbewerbsfähigkeit. Warum soll sich Deutschland nach unten und nicht die anderen Länder nach oben anpassen? Es ist unrealistisch anzunehmen, dass sich strukturstärkere Länder an strukturschwächere Länder anpassen sollen. Das haben Frankreich und Italien gehofft, als sie Deutschland nach der Wiedervereinigung den Euro aufgezwungen haben. Diese Strategie ist nach hinten losgegangen. Die Idee, dass sich der Stärkere (auf Zeit versteht sich, bis er vom noch Stärkeren verdrängt wird) durchsetzt, widerstrebt den Linken, obwohl die Geschichte der Menschheit diesen Mechanismus stets bestätigt hat.
alex
21. Juli 2016 @ 09:25
@Peter Nemschak: Es ist Rosinenpickerei, wenn man sich ein Jahr nimmt, anstatt die Lohnentwicklung (zusammen mit der Produktivitätsentwicklung) seit €-Übernahme im Vergleich zu anderen €-Landern zu betrachten – so werden sie die wirtschaftlichen Realitäten im Euroraum nie verstehen (können). Im Netz finden sie genügend wissenschaftliche Arbeiten über die langjährige Lohnentwicklung mit Daten der EZB/AMECO/EU-Kommission. Z.B. finden sie ein Artikel hier: http://www.flassbeck-economics.de/wp-content/uploads/2015/11/ArtikelFE.pdf . Interessant ist auch folgender Text aus österreichischer Perspektive: http://blog.arbeit-wirtschaft.at/deutsches/. Ihr Vorschlag, dass sich strukturschwächere Länder nun anpassen müssen, läuf auf Lohnkürzungen von 30-50% aus (so gross ist mittlerweile die Lücke bei den Lohnstückkosten) – das wäre ekonomischer Selbstmord und hätte eine katastrophale Depression und eine Destabilisierung Gesamteuropas zur Folge.
Skyjumper
21. Juli 2016 @ 11:51
“ Ihr Vorschlag, dass sich strukturschwächere Länder nun anpassen müssen, läuf auf Lohnkürzungen von 30-50% aus (so gross ist mittlerweile die Lücke bei den Lohnstückkosten) – das wäre ekonomischer Selbstmord und hätte eine katastrophale Depression und eine Destabilisierung Gesamteuropas zur Folge.
Umgekehrt, also eine Anpassung der Lohnstückkosten in den strukturstarken Ländern, wäre aber genauso ein ökonomischer Selbstmord. Denn das würde zwar nicht zu Lohnkürzungen führen, aber zu drastischen Arbeitsplatzverlusten.
Ökonomisch-gesellschaftlich vertretbar ist letztlich nur eine Anpassung von beiden Seiten auf die Mitte zu, und die Abschaffung des Korsetts das überhaupt erst zu dieser starken Spreizung führen konnte, Es würde Griechenland heute zwar nicht gut gehen, aber deutlich besser als es ist, wenn GR 2011 den Euroraum verlassen hätte.
alex
21. Juli 2016 @ 13:52
@Skyjumper: Korrekt, eine Anpassung müsste vom beiden Seiten kommen, je nach Wirtschaftlage/-entwicklung unterschiedlich stark und über viele Jahre gestreckt. Nur befürchte ich, dass wir über den Scheitelpunkt schon hinaus sind, zumal in Brüssel/Berlin derartige Überlegungen nicht einmal zur Kenntniss genommen werden un derweil die Divergenzen weiter wachsen. Bei Griechenland wäre ein €-Austritt nur dann keine Harakiri-Mission geworden, wenn man (in geheimen Verhandlungen) zugelassen und dann blitzschnell eingeführt hätte, dass die neue Drahme an die €-Ankerwährung gebunden wird mit einem Floating von cca. 20-30%, wobei die EZB bei Marktexessen energisch einschreiten müsste (+ eventuell in der Anfangsphase noch einige Notprogramme zu fahren wären) – Erfahrungen hat man ja genug (EWS).
Derzeit sieht es eher nach einer unvorbereiteten/unbegleiteten €-Knallversion aus, was für alle Seiten sicherlich die schlechteste aller Lösungen ist.
alex
19. Juli 2016 @ 14:10
Man geht sehenden Auges 2008 in die grösste Finanzkrise der Geschichte und hat bis heute die Finanzmärkte nicht stabilisiert – der Einfluss der Banken ist nur noch gewachsen, ihre Instabilität auch. Mittlerweile wechseln höchste EU-Politiker schamlos auf die Seite jener, die die Krise masssgeblich mitverursacht haben (Goldman Sachs). Man blockiert seit >15 Jahren eine gemeinsame EU-Flüchtlingspolitik und ist dann überrascht, wenn nach jahrelangen Kriegen in der Nachbarschaft Flüchtlinge auftauchen (obwohl man als Bürger wissen müsste, dass sich ganze Militärstäbe sofort mit Flüchtlingsströmen beschäftigen und Lenkungsszenarien entwickeln, wenn ein Krieg ausbricht …). Spätestens seit 2008 weiss man um die heftigst divergierenden Lonstückkosten der €-Länder – die gefährlichste von allen Bedrohungen – man tut nichts dagegen, im Gegenteil, die Handelsüberschüsse in Deutschland sind auf welthistorischen Maximalniveau, die Defizite andere €-Staaten spiegelbildlich entsprechend hoch. Man verordnet den Südländern durch wahre Kürzungsorgien eine Wirtschaftsnotlage, die die grosse Depression in den USA im vorh. Jahrundert übertrifft. Jungendarbeitslosigkeit >50% ist auch kein Problem, man will es aussitzen. In Griechenland wird schamlos die Demokratie abgeschafft und ein Protektorat errichtet – das gr. Parlament darf nur noch über vorher von der Troika abgenickte Gesetzesentwürfe entscheiden. Brexit kein Problem, mal schauen was wird – viel wichtiger ist es daher Protugal und Spanien abzustrafen, weil man dort vom Wählerwillen gewollte vorsichtige kleine Konjunkturstützen wagte. Aber Wählerentscheidungen sind zu ignorieren und hinderlich (Schäuble, Merkel) – ausser sie finden im eigenen Kernland der Weltmeister statt. Luxleaks, Steuervermeidung, Geldwäsche, Irish-Duch-Double Sandwich, Dieselgate, Nachbarn ausspähen, Täuschen und Tricksen, die Liste der Verbrechen der Mächtigen ist ellenlang. Aber, wir sind ja eine Wertegemeinschaft, wie wir immer wieder hören müssen. Eine Wertegemeinschaft, die Diktatoren und Extremisten fördert, ganze Länder durch völkerrechtswidrige Kriege destabilisiert (Merkels Schweigen zum Chilcot-Bericht ist symptomatisch), afrikanische Länder mit Knebelverträgen wirtschaftlich niederringt, die westafrikanischen Küstengebiete leerfischt und Waffenschmuggel unserer verbündeten Türkei zu IS in Syrien duldet.
Glaubwürdig ist die neoliberale Politik der EU in den letzten 15 Jahre eher nicht.
Noch weniger ist sie wirtschaftlich erfolgreich, makroekonomische Stagnation in der EU wohin man auch blickt. Sie produziert immer neue riesige Krisen, mittlerweile global, deren Lösung man dann einfach aussitzen oder nicht wahrhaben will? Kognitive Dissonanz oder Inkompetenz?
Peter Nemschak
19. Juli 2016 @ 14:44
Die Welt, die Sie sich wünschen, hat es noch nie in der Geschichte der Menschheit gegeben. Dass es der Mehrheit der Deutschen heute materiell besser geht als je zuvor, dürften Sie verdrängt haben. Glauben Sie nicht, dass die meisten Probleme anderer EU-Mitgliedsländer, hausgemacht sind? Griechenland war nie und ist auch heute kein gut verwaltetes Land. Warum hat sich das Land trotz aller Härten für den Euro entschieden, obwohl seine Regierung nicht an das Programm der Troika glaubt? Die mafiösen politischen Strukturen in Italien gab es lange vor der EU. Warum hat Spanien die seit dem Bürgerkrieg vor fast 80 Jahren bestehende politische Spaltung bis heute nicht überwunden? Warum kommen die baltischen Staaten im Unterschied zum Süden Europas mit dem Euro zurecht, ohne dabei zu verhungern? Warum geht es Schweden besser als vergleichbar großen Ländern im Süden Europas? Worin besteht die Schuld der EU, dass Österreich seit Jahren nicht im Stande ist, sein Bildungs- und Rentensystem zu reformieren? In Sachen Migrationspolitik gebe ich Ihnen recht. Das wäre ein klassisches EU-Projekt. Allerdings sind die EU.Mitglieder nicht einmal imstande, sich auf das Prinzip „Obergrenze“, egal wie groß diese für jedes einzelne Mitglied sein mag, für Zuwanderer, seien es Flüchtlinge oder Wirtschaftsmigranten, zu einigen. Die EU als Gesamtes kann nicht besser funktionieren als ihre Teile. Schließlich, erklären Sie mir einmal, warum an all den aufgezählten und nicht aufgezählten Problemen der (Neo)liberalismus schuld sein soll.
alex
20. Juli 2016 @ 14:47
@Peter Nemschak: Sie gehen auf keinen Punkt meines Beitrags ein, dafür schieben sie mir irgendwelche Sachen zu (z.B. „die Welt, die ich mir wünsche“ etc.), von denen nie die Rede war. Daher kann ich keine ehrliche Diskussionbereitschaft erkennen. Trotzdem bemühe ich mich um eine Antwort auf ihre Nichtantwort: Dass jedes €-Land hausgemachte Probleme hat ist keine neue Erkentniss, gilt weltweit und daher trivial. Zu Deutschland: die Lohnentwicklung bleibt seit 15 Jahren weit hinter der Produktivitästentwickung zurück – genau das ist in einer Währungsunion mit definierten Inflationsziel aber verboten (Maastricht). Die Reallöhne stagnieren in D. seit 2000, und wenn sie sich die Anzahl der 2015 in 1 Jahr geleisteten Arbeitstunden anschauen und diese mit dem J. 2000 vergleichen, wird ihnen hoffentlich ein Licht aufgehen. Betreffend Griechenland: das Land wird seit 2008 von der Troika regiert, eben dort liegt auch die Verantwortung seit 8 Jahren, die gr. Regierung hat nur noch Alibifunktion und wenn man gegen die Troika handelt, wird die EZB als Waffe eingesetzt. Dass das neoliberale Programm in Gr. (mit bisher der grösste Lohnsenkung in der Wirtschaftsgeschichte !) eine einzige Katastrophe ist, wird mittlerweile auch vom IWF eingesehen. Betreffend Italien und Spanien werfen sie Äpfel und Birnen in einen Topf, und bei den baltischen Staaten sollte man anmerken, dass dort 20% der am besten ausgebildeten Generationen emmigrieren musste, wobei bei Betrachtung der heutigen LStckKosten es klar wird, dass die dort auf ein Riesenproblem zusteuern. Zu ihrem letzten Punkt: wenn die EU-Wirtschaftspolitik mit den kümmerlichen Resultaten in den vergangenen 15 Jahren ihrer Meinung nach keine neoliberale war, welche den dann?
kaush
19. Juli 2016 @ 12:10
Warum ständig unerfüllbaren Erwartungen an diese EU stellen?
Die EU hat zwar einen bizarr aufgeblähten und sündhaft teuren Hofstaat und leistet sich zwei Sonnenkönige, aber:
– sie ist kein Staat
– sie hat kein Volk
– sie hat keine Regierung
– sie hat kein Parlament, das eine Regierung wählen kann, oder Gesetze verabschiedet…
Also vielleicht einfach mal die Erwartungen an diese Realität anpassen?
Und was ein vollkommen demokratischer Prozess (eine Wahl) eines EU-Mitgliedstaates, mit einem Putsch eines nicht EU-Land zu tun hat, erschließt sich mir nicht.
Nicht alles was hinkt, ist ein Vergleich.
Peter Nemschak
19. Juli 2016 @ 13:27
Die gemeinsame Währung Euro hat die Hoffnung geweckt, dass sie den Integrationsprozess so weit bringen wird (eigentlich muss), dass ein europäischer Bundesstaat die logische Folge ist. Das war eine Illusion. Der Euro hat gezeigt, dass die wirtschaftlichen Strukturen zu unterschiedlich sind und eine Anpassung bei vielen politisch schwer durchsetzbar ist. Dessenungeachtet hat die EU den Mitgliedern zweifellos viele Vorteile gebracht: ein großer Wirtschaftsraum, reisen ohne Grenzen, studieren außerhalb des Heimatlandes mit Anerkenntnis der Studienabschlüsse etc. Es stellt sich die Frage, ob für die Bewahrung des Erreichten mehr Integration in der bisherigen Form notwendig ist oder ob eine differenzierte weitere Integration, wo sie sich anbietet, der beste Weg ist, das Erreichte zu bewahren und zu vermehren.
alex
19. Juli 2016 @ 14:35
@Peter Nemschak: es ist ausgesprochener ökonomischer Unsinn, was sie da über den Euro schreiben, zumal ihre Verknüpfung des € mit Reisefreiheit, Studieren, grossem Wirtschaftsraum, usw. rein gar nichts gemein hat. Ihr Argument, die wirtschaftlichen Strukturen der EU-Länder sind zu unterschiedlich für eine einheitliche Währung, wurde in zahlreichen ekonomischen wissenschaftliche Studien bestritten, aber auch durch das leidliche Funktionieren der vorherigen künstlichen EU-Einheitswährung ECU in einer ach so wirtschaftlich unterschiedlichhen EU widerlegt. Es kann durchaus sehr gut Funktionieren, wenn man seine neoliberalen Scheuklappen denn abnehmen wollte. Denken sie einmal darüber nach, was passiert wäre, wen die nationale Volkswirtschaften in der Währungsunion ihre Poduktivitätsentwicklung dem entspr. Lohnanstieg + Zielinflationsrate der ECB in den letzten 15 Jahren angepasst hätten. Richtig! Wir hätten keine Eurokrise.
Skyjumper
19. Juli 2016 @ 16:34
„aber auch durch das leidliche Funktionieren der vorherigen künstlichen EU-Einheitswährung ECU in einer ach so wirtschaftlich unterschiedlichen EU widerlegt“
Sorry, aber den ECU können Sie nun gerade nicht als Beispiel für das Funktionieren einer Einheitswährung bei unterschiedlichen Wirtschaftsstrukturen heranziehen. Im Gegenteil.
1) Der ECU war ein Währungskorb bei dem die Gewichtung der Nationalwährungen alle 5 Jahre angepaßt wurde um eben genau die unterschiedlichen Wirtschaftsentwicklungen wieder auszutaxieren. Diese Ausgleichsmöglichkeit fehlt beim €.
2) Innerhalb des EWS (dessen Grundlage der ECU war) durften die nat. Währungen immerhin noch um +/-2,5 % gegeneinander schwanken, die ital. Lira sogar um 6 %. Diese Ausgleichsmöglichkeit fehlt beim €.
3) Verließ eine Währung des Schwankungskorridor waren die nat. Notenbanken diejenigen die über SELEKTIVE Geldpolitik den Ausgleich zu schaffen hatten. Diese Ausgleichsmöglichkeit fehlt beim €.
4) Trotz all dieser Anpassungsmöglichkeiten flogen das brit. Pfund und die ital. Lira 1992 aus dem EWS raus. Ausgelöst durch eine Währungsspekulation (Soros) aber fundiert durch eine deutliche Überbewertung.
Der ECU hätte also ganz im Gegenteil ein mahnendes Beispiel sein müssen dass es eben nicht funktioniert WENN es keine ausgleichenden Kapitalströme und keine einheitliche Finanzpolitik gibt.
alex
20. Juli 2016 @ 11:03
@Skyjumper: Ich schrieb von einem LEIDLICHEN Funktionieren des EWS (Europäisches Währungssystem) samt ECU. Ihre unter den Punkten 1-4 angeführten Fakten beweisen eben nicht, dass es fast 20 Jahre nicht Funktioniert hat (Punkte 1-3 sind gar nur eine Beschreibung des EWS, aber keine Argumente).
Es gab nie die Situation, dass der ECU insgesamt fatal kolabieren würde, auch 1992/93 (europ. Währungskrise) nicht. Um die Entwicklung in UK und Italien (das ja später erfolgreich zurückkehrte) innerhalb des EWS zu verstehen (alle anderen 12 EWS-Länder mussten im Zuge dieser Krise ihre Währungen eben nicht drastisch anpassen), muss man im Herbst 1987 (Börsencrash) ansetzten, sich die dann divergierenden Inflastionsraten und Lohnstückkosten in UK/Italien anschauen und dann die Schock-Folgen der dt. Leitzinserhöhung 1992 (8%) in einem weltweit rezessiven Wirtschaftumfeld verstehen. Die danach weltweit einsetzenden Währungsspekulationen von Banken/Hedgefonds/Finanzinstituten (Mexico 1994, Asien 1996, 1997 Osteuropa/Russland, Lateinamerika 1999-2001) beruhen auf der neuen Erkentniss der Spekulanten, wie leicht man Regierungen in die Ecke drängen und vernichtend schlagen kann, wenn „die sich bei weitgehend freien Kapitalbewegungen auf die Fixierung einmal festgeschriebener Wechselkurse kaprizieren. Zum anderen begann man an den Märkten immer besser zu verstehen, dass bei flexiblen Wechselkursen unter günstigen Umständen noch größere Gewinne gemacht werden können als bei festen“.
Die Erfahrungen aus der Währungskooperation, die man in Europa mit EWS/ECU jahrzehntelang gemacht hat, sollte man jetzt nutzten, um rechtzeitig Exit/Übergangs-Strategien zu entwickeln. Die wirkliche Schwierigkeit besteht darin, zu nationalen Währungen zurückzukehren, ohne einen ökonomischen Nationalismus und Abwertungswettlauf zu entfesseln und sich zur Festlegung der Wechselkurse den Marktkräften auszuliefern.
Skyjumper
20. Juli 2016 @ 17:32
@ Alex
Ich hab es scheinbar nicht geschafft den Kern meiner Aussage rüberzubringen. Ja sicher, der ECU/EWS hat leidlich funktioniert. Trotz vieler Anpassungsmöglichkeiten zum Abfedern wirtschaftlich unterschiedlicher Entwicklungen hat er NUR leidlich funktioniert, weil die wirtschaftlich unterschiedlichen Entwicklungen TROTZDEM noch zu Spannungen, Wechselkursschwankungen und Angriffsmöglichkeiten geführt haben.
Der Euro hat all diese Anpassungsmöglichkeiten ´nicht, ist also deutlich schlechter geeignet um mit wirtschaftlich unterschiedlichen Entwicklungen zurecht zu kommen. All die Unterschiede die früher beim ECU durch Wechselkursänderungen ausgeglichen wurden, werden heute zwangsweise durch interne Anpassungen ausgeglichen. Lohnkürzungen, Rentenkürzungen, Preissenkungen.
Womit wir dann bei Ihrem letzten Absatz sind, dem ich zustimme. Es wird höchste Zeit um entweder eine deutliche Vertiefung in der EU herbeizuführen. Also Sozial-, Finanz- und Steuertransfer zwischen den Staaten nebst einheitlicher Gesetzgebung dazu in den Mitgliedsstaaten. Dazu sehe ich nicht die erforderliche Bereitschaft in den Staaten, geschweige denn bei den Bevölkerungen.
Oder man bricht das „Experiment Euro“ kontrolliert ab bevor es uns unkontrolliert um die Ohren fliegt.
Dies allerdings:
„ohne einen ökonomischen Nationalismus und Abwertungswettlauf zu entfesseln und sich zur Festlegung der Wechselkurse den Marktkräften auszuliefern.“
wird nach meinem Dafürhalten nicht funktionieren können ohne sich massivst des Protektionismus zu bedienen. Es würde in Folge erhebliche Reduzierungen von Handel, Dienstleistung und Produktion zur Folge haben.
Wir dürften es schon nur schwer schaffen zukünftig ohne Wachstum klarzukommen. Aber mit einem Rückgang würden wir garantiert nicht klarkommen.
Peter Nemschak
19. Juli 2016 @ 10:43
Vorläufig reicht es……nichts zu tun. Die Beitrittsgespräche werden wohl angesichts der Entwicklungen vorläufig von alleine einschlafen. Nicht einmal die Frage, ob die Todesstrafe wieder eingeführt werden soll, hat die Türkei entschieden. Ein koordiniertes Vorgehen mit den USA erscheint mir sinnvoll, um zu verhindern, dass die EU und die USA von Erdogan gegeneinander ausgespielt werden. Bei BREXIT schauen wir einmal, was das UK machen wird, wie sich die politischen Kräfte dort sortieren werden. Die EU sollte sich von BREXIT nicht ablenken lassen, ihre eigenen Vorhaben wie gewohnt weiterzuführen. Was soll der aufgeregte Aktionismus bewirken, außer, dass die Medien etwas zum Berichten haben ? Wir gehen in die Sommerpause. Gelassenheit ist angesagt.
S.B.
19. Juli 2016 @ 13:28
@Peter Nemschak: „Die EU sollte sich von BREXIT nicht ablenken lassen, ihre eigenen Vorhaben wie gewohnt weiterzuführen.“ – Bitte nicht! Wo uns das hingeführt hat, sehen wir ja allenthalben. Die EU sollte die Sommerpause nutzen, um ihr Ende zu beschließen.
ebo
19. Juli 2016 @ 18:41
Die EU wurde nicht gegründet, um nichts zu tun. Sie muss jetzt handeln, um nicht von den Ereignissen überrollt zu werden. Die Desintegration hat schon begonnen. Wer sich jetzt noch, wie Merkel, an den Status quo klammert, hat nichts verstanden.
Peter Nemschak
19. Juli 2016 @ 22:27
@ebo Ich halte nichts von Aktionismus. Es wird in Zukunft Politikfelder geben, wo manche EU-Länder stärker als andere zusammenarbeiten. Eine abgestimmte Migrationspolitik (Grundsätze und Kriterien) ist, unabhängig von BREXIT, seit langem überfällig. Die italienische Bankensanierung muss nach den geltenden Regeln (siehe EUGh) durchgezogen werden, egal ob es manchen Kleinsparern, die nachrangige Anleihen gekauft haben, schmecken wird und ob Renzi stürzt oder nicht. Mit mehr Schulden nachhaltiges Wirtschaftswachstum in der EU zu erzeugen, ist sinnlos und wird keine Mehrheit finden. Die laufenden Projekte – es gibt genug davon – müssen abgearbeitet werden. Lassen Sie doch die Geschichte unaufgeregt einmal weiter laufen. Die Steuerbarkeit der Ereignisse wird maßlos überschätzt. Letztlich wird sich auch im BREXIT die wirtschaftliche Vernunft durchsetzen und die Mehrheit des britischen Volkes wird in 2 Jahren nicht einmal mehr wissen, warum sie für den BREXIT gestimmt hat. Inzwischen wird die Türkei wirtschaftlich zurückfallen. Mit Gesinnung allein ohne Meritokratie wird das Land auf der Ebene eines „middle-income“ Entwicklungslandes verharren. Das türkische Volk wird die letztlich die Rechnung bezahlen. Seien Sie froh, dass wir nicht so bald eine Außengrenze mit Syrien und dem wilden Kurdistan bekommen werden. Der Flüchtlingsdeal mit der Türkei wird weiterlaufen, so lange sich die Vertragsparteien an die Vereinbarungen halten und die EU keine bessere Alternative hat.