Tusks Achse des Bösen
Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise um Griechenland wähnte Ratspräsident Tusk die EU in einer Lage wie 1968. Nun, angesichts der neuen transatlantischen Krise, zieht er wieder schräge Vergleiche.
In einem offenen Brief stellt der Pole das Verhalten von US-Präsident Trump in eine Reihe mit dem China, Russland, dem türkischen Sultan Erdogan und mit dem Terror des „Islamischen Staats“.
Viele haben das begrüßt – endlich redet mal einer Tacheles! Auch ich finde es gut, dass Brüssel gegen Trumps Provokationen protestiert. Was aber immer noch fehlt, sind Taten.
Außerdem ist der Vergleich, bei Lichte betrachtet, ziemlich schräg. Sind plötzlich alle Großmächte zur Gefahr für die EU geworden? Was macht China denn so aggressiv?
Und was, bitteschön, haben Erdogan und der IS in dieser Aufzählung verloren? Erdogan ist doch angeblich unser neuer „Schlüsselpartner“, Kanzlerin Merkel ist gerade auf dem Weg zu einer Audienz.
Und der IS ist gewiß eine Bedrohung, aber mit einer Terrororganisation kann man selbst die Trump-Administration beim besten Willen nicht vergleichen.
Bliebe noch die neue „Achse des Bösen“, Moskau-Washington. Auch sehr fragwürdig. Noch hat Trump keinen Draht zu Putin. Und Putin hat noch nie offen zur Auflösung der EU aufgerufen, wie Trump.
Fazit: Tusks Vergleich hinkt. Er hat etwas Paranoides – nach dem Motto: Alle wollen unsere schöne EU kaputt machen! Trump wird das gewiß nicht beeindrucken, Putin erst recht nicht.
Ob es die EU-Chefs bei ihrem Sondergipfel auf Malta zusammenschweißt, bleibt abzuwarten. Übrigens hat Tusk die Abschottung gegen Flüchtlinge ganz oben auf die Agenda gesetzt – fast wie Trump…
Peter Nemschak
1. Februar 2017 @ 16:29
Wenn man schon von Achsen des Bösen spricht, gibt es mehrere Dimensionen, wobei die wichtigste übersehen wurde: die Gefahr des Zerfalls der EU von innen. Die Bedrohung, machtpolitisch und wirtschaftlich durch die Großmächte ist real. Weder Russland, noch die USA und schon gar nicht das aufstrebende China haben Interesse an einem Bestand der EU. Im Gegenteil ist es für sie vorteilhafter, eine Vielzahl von Klein- und Mittelstaaten gegeneinander ausspielen zu können. Erdogan und der IS sind in so ferne Bedrohungen als sie den Nahen Osten nicht zur Ruhe kommen lassen und das Migrationsproblem, den größten Spaltpilz für die EU, verstärken. Die Mitgliedsstaaten unterschätzen die Bedrohungen und glauben jeder für sich damit fertig werden zu können. Eine Generalmobilmachung aller gemeinsamen Kräfte der EU, sei es politisch, wirtschaftlich und militärisch ist, wie die Staatengeschichte zeigt, nur im Angesicht unmittelbarer Kriegs- und Existenzbedrohung möglich, und selbst da zumeist nur auf nationaler Ebene. Staatenkoalitionen neigen zu Seperatfrieden mit ihren Gegnern sobald die als gemeinsam empfundene Bedrohung schwächer wird und das egoistische nationale Interesse wieder in den Vordergrund tritt.. Ein Bundesstaat von der Größe der EU könnte sich zum Wohl aller Bürger leichter im internationalen Gefüge durchsetzen..Was ist so toll am Nationalstaat, dass die Menschen ihr Seelenheil daran knüpfen?
Oudejans
1. Februar 2017 @ 15:41
>>“Was aber immer noch fehlt, sind Taten.“
Sanktionen?
>>“Fazit: Tusks Vergleich hinkt. Er hat etwas Paranoides…“
„Taten“ dann aber doch erst recht?
Reality check: Die drei truppenstärksten NATO-Mitglieder und zwei von drei Atommächten sind neuerdings auf Distanz zur EU.
Der Berliner Hochmut gegen Paris hört besser schnell auf.
kaush
1. Februar 2017 @ 18:06
Der Drops ist gelutscht. Die Merkel-Regierung hat das voll gegen die Wand gefahren.
In den Jahren des Euro, hat sich der Output der französischen Autoindustrie halbiert!
In Italien übrigens das gleiche Szenario. Entsprechend haben die eine Rekord-Arbeitslosigkeit.
Man stelle sich vor, dass wäre in Deutschland der Fall. Dann hätten wir vielleicht 6 Mio. Arbeitslose. Das letzte mal, bei so einer Arbeitslosigkeit, haben wir dann Hitler gewählt.
Ich empfehle mal einen Blick auf Folie 28 vom 2017 Edelman Trust Barometer – Global Results. Weiter oben habe ich ja schon verlinkt.
Das spiegelt sehr gut wieder, was hier in EUropa los ist.
Aber französische und italienische Regierungen sind auch alles andere als unbeteiligt.
Jedes mal wenn sie von Deutschland zum Sparen und Lohnzurückhaltung aufgefordert wurden, hätten sie sagen müssen:
Ok, wir müssen im inneren Abwerten, aber ihr müsst Aufwerten meine lieben Deutschen Freunde, eure Löhne müssen viel stärker steigen. Wir treffen uns dann in der Mitte.
Das ist nicht passiert und so wird der Euro und die EU scheitern.
Üblicherweise gehen solchen epochalen Umwälzungen nicht geräuschlos vonstatten, oft genug auch blutig, wenn man in die Geschichte schaut.
Wenn ich dann solche Flachpfeifen wie Tusk, Schulz, Juncker, Hollande und Merkel sehe, dann wird mir nicht wohler zumute.
Susanne
1. Februar 2017 @ 15:34
Übringens: der focus publiziert Ausschnitte der Tuskschen Arbeit mit eigenen erklärenden Kommentaren. Man achte auf die Leserbriefe. Massive Kritik ist wohl als Bezeichnung noch maßlos untertrieben.
http://www.focus.de/politik/ausland/offener-brief-von-donald-tusk-sonst-werden-wir-nicht-ueberleben-eu-ratschef-benennt-schonungslos-die-trump-folgen_id_6576659.html
Susanne
1. Februar 2017 @ 14:49
„Es zeigt einmal mehr, dass es mit einer Reform der EU, oder einem justieren an diesem, oder jenem Schräubchen nicht mehr getan ist.
Hier sind so viele Schrauben im System locker…“.
Die eu gleicht m.E. zur Zeit einem rolling iceberg. Der Inhalt bleibt, die Form verändert sich..und das trotz einem gewaltigen Verlust von Vertrauen. Sie leidet unter einem massiven Substanzverlust..und hat keine Antworten.
Stellschrauben, und wer soll diese im Interesse der eu-Wähler ziehen können? Dazu fehlt es an demokratischer Grundhaltung/Auslegung in der heutigen eu. Zurück zu der eu der Vaterländer, Abwicklung des Euro, und die Völker dieser Zone könnten wieder von wesentlich mehr politischer, sozialer und wirtschaftlicher Teilhabe reden.
kaush
1. Februar 2017 @ 14:06
Es zeigt einmal mehr, dass es mit einer Reform der EU, oder einem justieren an diesem, oder jenem Schräubchen nicht mehr getan ist.
Hier sind so viele Schrauben im System locker…
Bei dem Geschreibe von Tusk frage ich mich, ob das nicht schon pathologisch ist. Das macht mir wirklich sorgen.
Ich verweise noch mal auf die Umfrageergebnisse von http://www.edelman.com/global-results/
Man braucht sich nicht wundern, dass die Menschen in Europa mit großer Mehrheit sagen: Das System ist kaputt.
Übrigens auch in den USA, wenn auch nicht so deutlich wie in der EU.
In den Ländern, wo die Menschen vertrauen in ihre Regierung und in das System haben, ist kein Land aus dem Westen dabei.
Warum wohl?
Susanne
1. Februar 2017 @ 12:53
Spätestens seit dem Brexit hätte die eu sich Gedanken zu den Folgen der von ihr forcierten Form der Globalisierung machen müssen. Roland Koch beobachtet, dass auch in demokratisch geführten Ländern Proteste stärker werden. Das Wahlverhalten dokumentiert die Abwehr von vielen Wählern.
Eine Diskussion, welche zu einer Korrektur führen könnte, findet in der eu bisher nicht statt. „Weiter so“ ist immer noch der Tenor, den nun auch Tusk in einer zu kurz gekommenen Kritik aufnimmt.
S.B.
1. Februar 2017 @ 12:04
Die Tusk-Propaganda kann unter „künstliche Erregung“ abgeheftet werden, genau wie die gesamte EU nur ein künstliches Projekt ist. Die von der Außen-Welt nunmehr politisch isolierten EU-„Eliten“ fühlen sich nun von allen Seiten angegriffen und schlagen wild und sinnfrei, aber vor allem sinnlos um sich. Etwas anderes erwartet aber auch niemand von diesen Leuten, wenn man sich das Ergebnis ihrer bisherigen Arbeit anschaut.