Der Deckel über Athen
Griechenland hat den EU-Vorsitz übernommen. Die Regierung in Athen will sich um Wachstum und Jobs kümmern – ausgerechnet. Schließlich steckt das Land im Jahr fünf seiner “Rettung” immer noch tief in der Krise. Doch wie es da heraus kommen möchte, bleibt offen. Brüssel will nicht helfen.
Griechenland hat sich seit dem Beginn der Eurokrise rasant zurück entwickelt. Das Land, mit dem alles anfing, wurde vom belächelten, aber immerhin geachteten Mitglied des “Club Med“ auf den Status eines unmündigen Entwicklungslandes zurückgestuft.
Davon zeugt nicht nur die Rückkehr der Kohlefeuerung und der Tauschwirtschaft. Davon zeugt auch und vor allem das florierende Berater-Business, das die internationale Troika und die EU-Task Force in der Wiege der Demokratie installiert haben.
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass irgendwelche Experten der Regierung in Athen vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen hat. Wenn die Griechen aufmucken, bekommen sie sofort einen Anschiss aus Berlin.
Und ausgerechnet diese Regierung, die am Tropf internationaler Geldgeber und am Rockzipfel deutscher, französischer und belgischer Entwicklungshelfer – pardon: Experten – hängt, soll nun für sechs Monate die EU-Geschäfte führen.
Griechenland hat nämlich am 1. Januar die Ratspräsidentschaft übernommen. Und will das Wachstum fördern. Kafka hätte es sich nicht absurder ausdenken können.
Mit einem Schrumpf-Budget von 50 Millionen Euro will die Regierung nun den Helfern beweisen, was eine Harke ist – und den dramatischen Abstieg in einen einzigartigen Aufstieg umdeuten.
„Unsere Erfolge sind beeindruckend“, behauptet Außenminister Venizelos. „Wir haben das Ende des Wegs erreicht“, erklärt Premierminister Samaras.
Nach fünf Jahren Dauerkrise werde Griechenland keine neuen Finanzhilfen mehr benötigen; Ende des Jahres werde man sich sogar wieder an den Märkten finanzieren.
Natürlich weiß jeder, dass dies Wunschdenken ist. Im griechischen Budget für das neue Jahr klafft eine Lücke von 11 Milliarden Euro. Sie lässt sich nur mit neuen Hilfen schließen – oder mit Tricks, etwa einem Griff in einen für Notfälle vorgesehenen Bankenfonds.
Beides lehnt die EU vehement ab. Doch sie sagt es nicht offen. Sie vertagt die Entscheidung einfach auf die zweite Jahreshälfte – also auf die Zeit nach der griechischen Präsidentschaft. Bis dahin soll Ruhe herrschen.
Doch diese Ruhe ist trügerisch – und gefährlich. Denn sie nährt die Illusionen des Gauklers Samaras, der sich nur noch mit Tricks an der Macht halten kann. Und sie steigert den Argwohn vieler Bürger Deutschlands und anderer Geberländer.
Über Griechenland werde der Deckel gehalten; die Wahrheit komme erst nach der Europawahl auf den Tisch, so der böse und nicht ganz falsche Verdacht…
Zur kritischen Lage in Griechenland empfehle ich den ausgezeichneten Beitrag von N. Kadritzke auf den Nachdenkseiten. Mehr zum Thema auch hier
Andres Müller
11. Januar 2014 @ 12:26
In meiner Erinnerung schwebt noch ein älterer Artikel rum, wo man für die Ratspräsidentschaft Voraussetzungen forderte die Griechenland jetzt nicht erfüllt. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern wann genau das in der Presse kreiste, das man gewisse finanzielle Maastrich -Kriterien erfüllen muss.
Es lohnt sich aber manchmal im Fundus älterer Artikel rumzukramen. Aus heutiger Sicht legte “die Linke” in Deutschland den Finger auf die entscheidenden wunden Punkte der Union. Hier ein Artikel aus dem Jahr 2006, das war 1 Jahr bevor die Finanzkrise den gesamten Westen erfasst hat:
http://www.linksfraktion.de/reden/weichenstellungen-ratspraesidentschaft-muessen-korriegiert-werden/
In diesem Zusammenhang ist klar das eine Ratspräsidentschaft Griechenland vor allen diesen nach wie vor ungeklärten Fragen zum Damoklesschwert für Europa werden könnte.Ich möchte deshalb die Frage von Dieter Dehm hier nochmals wiederholen:
“Auf welcher Grundlage sind eine nachholende Entwicklung
der beigetretenen Länder und ein umfassender
sozialer Zusammenhalt in der Union möglich?”
PS: Ich gehöre NICHT “der Linken” an, aber vor traurigen Wahrheit kann sich niemand verstecken. Die Linke hatte damals Recht, muss ich eingestehen. Die Ratspräsidentschaft der Griechen rollt diese Fragen erneut nach Brüssel und in die Mitgliedsstaaten.
Peter Nemschak
9. Januar 2014 @ 19:17
Ein Schuldnachlass (Teil eines finanziellen Abschiedsgeschenks) und ein Ausstieg aus dem Euro wären auch für die Bevölkerung Griechenlands das Beste. Insgesamt bedarf der Euro einer grundlegenden Reform (siehe Vorschläge von Prof. Sinn in der SZ vom 9.1.). Das politische Lavieren der gemäßigten Eliten stärkt nur den Vormarsch der Rechts-und Linksradikalen, die im Stillen auf eine Verschlechterung der Lage hoffen, um umso eher an die Macht zu kommen. Statt die Ansteckungsgefahr zu fürchten, die 2009 real war und zu Rettungsmaßnahmen führten, deren unbeabsichtigter Effekt die Rettung der Banken und nicht der Staaten war, wären entschlossene Schritte (mit Unterstützung der EZB) nach vorne angebracht, auch mit dem Risiko, die Finanzmärkte kurzfristig zu vergrämen und eine Konjunkturdelle zu riskieren. Die Behauptung von Venizelos, dass alles zurückgezahlt wird, ist falsch und verlogen, wenn Zinsnachlässe und Laufzeitverlängerungen gewährt werden, welche den abgezinsten Wert der Schulden Griechenlands vermindern (siehe Bewertungsregeln nach IFRS). Allerdings bezweifle ich den Mut der Regierenden, sich an eine Generalsanierung des Euro heranzuwagen.
GS
10. Januar 2014 @ 11:39
Der Euroaustritt hätte schon vor Jahren kommen müssen. Jetzt sind schon wieder 3, 4, 5 Jahre ins Land gegangen und die (monetären und nicht-monetären) Kosten steigen und steigen…