Vormarsch der Rechten
Bei der Europawahl im Mai droht ein Vormarsch der Rechten. Je nach Schätzung könnten EU- und Euroskeptiker bis zu 30 Prozent der Stimmen einheimsen. Wird Brüssel damit endgültig unregierbar? Droht gar eine feindliche Übernahme durch EU-Gegner? Teil eins einer dreiteiligen Serie.
Die Angst geht um im Brüsseler Europaviertel. Diesmal geht es nicht um die Pleite einer Großbank oder den Zusammenbruch des Euro – also um jene Gefahren, die Kanzlerin Merkel und die anderen EU-Chefs jahrelang in Atem gehalten haben.
Die Finanzrisiken wurden – wenn auch nur notdürftig – gebannt, die Märkte haben wieder Vertrauen gefasst. Doch gleichzeitig hat das Vertrauen der Bürger in die EU massiv gelitten (siehe dazu auch: “Der große Bluff”)
Dies könnten sich Populisten und Nationalisten zunutze machen, so die neue Angst in Brüssel.
Bei der Europawahl im Mai könnten sie mehr als zehn Prozent der Stimmen einheimsen, fürchtet der grüne Europaabgeordnete J. P. Albrecht. Sein CSU-Kollege M. Weber rechnet sogar damit, dass Euroskeptiker vom linken und rechten Rand „bis zu 30 Prozent“ der 751 Mandate erhalten.
Sorgen macht sich auch der Chef der sozialdemokratischen Fraktion, H. Swoboda. Je mehr EU-skeptische Abgeordnete in die Straßburger Kammer einziehen, umso schwieriger werde die Mehrheitsfindung, warnt er.
Droht dem Europaparlament eine Blockade? Kommt es Ende Mai gar zu einem politischen „Erdbeben“, wie der Europaabgeordnete N. Farage von der nationalistischen britischen UKIP-Partei frohlockt? Und droht Brüssel dann eine feindliche Übernahme durch EU-Gegner?
Die Meinungen sind geteilt. Bisher halten sich Optimisten und Pessimisten ungefähr die Waage…
Lesen Sie morgen im 2. Teil: “Brüssel ist nicht Weimar” – wie CDU-nahe Forscher den Vormarsch der Rechten einschätzen
photo credit: Remi Noyon via photopin cc
Häschen
21. Januar 2014 @ 10:17
Der Svoboda ist eine respektable Persönlichkeit, aber mit Vorsicht zu genießen. Liberale Kräfte, im Sinne von traditionell liberal, fürchten die Sozialisten bei uns. Nicht nur, dass ehemals Große Koalition bei uns in den Umfragen zur Minderheitsregierung ist abgeschmolzen, viel mehr ist der Trend am Weg, dass im Soge der Neuorientierung der Freiheitlichen junge Menschen eher dem Tun zugeneigt sein, denn dem Erdulden von staatl. Fürsorge.
Geht die E.U. davon aus, dass es keine Opposition gibt. Befehlsempfänger sind wir alle miteinander nicht.
Andres Müller
7. Januar 2014 @ 13:42
“Böse Zungen würden behaupten: Im Grunde sind die tragenden Parteien in Brüssel, Berlin und anderswo untereinander austauschbar.”
Deshalb sprechen Viele von einer Postdemokratie, weil die transatlantischen Wirtschaftsnetzwerke, Lobby und Denkfabriken die Führungselite sämtlicher Parteien in der gleichen Galeere im Gleichtakt rudern lässt. Die Anbindung an die 5Eyes -Handelszone USA/Kanada .. wird noch einen Schritt weiter führen. Die Aufhebung ideologischer Unterschiede geschieht in lobbyistischen Brutreaktoren wie zum Beispiel die Europa Denkfabrik Bruegel. Die Gründung dieser Denkfabrik ist ein Machwerk der transatlantischen Trilateral- Kommission (via Europa-Chef Mario Monti) und der Bilderberger.
GS
6. Januar 2014 @ 23:36
Im Europäischen Parlament, ähnlich wie im Bundestag übrigens, werden doch schon heute (und in den letzten Jahrzehnten) weitgehend mit einer übergroßen Koalition aus Konservativen, Sozialdemokraten, Liberalen und zuweilen Grünen Rechtsakte beschlossen. Wer weiß, ob 30 % Skeptiker dann überhaupt eine Rolle spielen würden.
Keine Ahnung, was die CDUler sagen, aber Brüssel (oder Berlin) ist schon deswegen nicht Weimar, weil die ideologische Distanz zwischen den tragenden Parteien so gering ist. Zwischen SPD und DVP lagen Welten, das kann man z.B. von heutigen Konservativen und Grünen nicht behaupten. Böse Zungen würden behaupten: Im Grunde sind die tragenden Parteien in Brüssel, Berlin und anderswo untereinander austauschbar.
jack lope
6. Januar 2014 @ 19:31
Klar, wer gegen dieses korrupte Bürokratenmonster “EU” und die damit einhergehende Finanzdiktatur und den undemokratischen, zentralistischen Polizeistaat ist, der sich in alles mögliche reinhängt, das ihn nix angeht – der ist “RECHTS”:
So einfach ist das also. Wieviele “Skeptiker” und “Kritiker” werden nun abgeschreckt, weil sie “bloß nicht rechts” sein wollen?
So einfach funktioniert die Psycho-Keule im gehirngewaschenen Kopf.
(ich bin übrigens “links” und gegen die EU)
“Rechts” -das sind für mich die bürgerrechteaushebenden, ausbeuterischen Finanzfaschisten, die sich mit der EU ihr ultimatives Instrument zur Versklavung eines ganzen Kontinentes geschaffen haben.
ebo
6. Januar 2014 @ 21:16
@jack lope
Wer sagt denn, dass ALLE EU-Kritiker rechts sind? Davon ist in meinem Post keine Rede. Es geht auch nicht darum, Protestwähler pauschal zu verdammen. Es geht darum, dass die von der konservativen Mehrheit betriebene neoliberale EU-Politik demokratische und linke Kräfte in Europa schwächt und die nationale, z.T. auch nationalistische oder – wie in Griechenland – nazistische – Rechte stärkt.
fufu
6. Januar 2014 @ 11:38
@Herr Nemschak, erklaeren Sie mir doch wie Laender mit 4-5% Zinsbelastung, Nullwachstum und ohne die Moeglichkeit zur Abwertung auf Dauer wirtschaften sollen, das ist mathematisch unmoeglich. Und erzaehlen Sie mir nicht sie muessen eben die Produktivitaet steigern.
Rundumschlaege, die Schuld Marxisten oder Nationalisten oder Feinden der Freiheit zu geben, weil ein in Hinterzimmern abgesprochenes Projekt nicht funktioniert (bzw nur unter Bedingungen einer Diktatur existieren kann) bringen nicht weiter.
Europa ist mir zu teuer um es von Traeumern ihren Schlags zerstoeren zu lassen.
Andres Müller
6. Januar 2014 @ 12:48
@Nemschak, Der britische Finanzminister Osborne sagte in seiner jüngsten Rede:
“Wir nehmen jedes Jahr rund 100 Milliarden Pfund an Krediten auf – und zahlen die Hälfte davon für jährliche Zinsen auf unsere (alten) Schulden”,
Mathematisch lässt sich ausrechnen, dass damit England infolge Zinsenbelastung insolvent werden muss. Der Rotstift soll wie in den letzten Jahren üblich durch weitere Einsparungen im Sozialbereich angesetzt werden. 30 Milliarden will Osborne einsparen.
Das Sparkarusell bei den unteren Gesellschaftsschichten dreht sich also auch in England munter weiter, soziale Unruhen sind auf diesem Weg vorprogrammiert. Alles deutet auf weitere Spannungen hin, unabhängig davon ob die EU zerfällt oder nicht. Die Freiheit von der Sie sprechen existiert für Millionen EU-Bürger nur noch auf dem Papier.
Peter Nemschak
6. Januar 2014 @ 14:59
Vielleicht könnten Sie, um die Diskussion auf eine rationale Grundlage zu stellen, die Entwicklung des Realeinkommens einer typischen Arbeiterfamilie in den letzten 40 Jahren erheben, idealerweise für jedes Mitgliedsland der EU. Dass in der globalisierten Welt die Einkommensverteilung relativ ungleicher geworden ist, möchte ich gar nicht bestreiten. Wie sehen die absoluten Werte in Europa aus? Statt hinzunehmen, dass eine starke Minderheit permanent von der Allgemeinheit erhalten werden muss, sollten wir Maßnahmen überlegen, entsprechende Anreize (Bildung) zu schaffen, damit leistungsbereite Menschen den sozialen Aufstieg leichter schaffen können. Leider wurde der Begriff Leistung in den letzten Jahrzehnten verteufelt und entwertet, zuletzt unter dem Schlagwort Neoliberalismus. Viele Menschen in der EU haben erwartet, dass sich durch den Euro ihr Lebensstandard automatisch an den höchsten in der Union angleichen würde, unabhängig von der Produktivität ihrer Volkswirtschaft. Dies war eine gefährliche Illusion, die nunmehr geplatzt ist.
Peter Nemschak
6. Januar 2014 @ 21:51
Europa muss sich fragen, wie viel Sozialstaat es sich in der globalisierten Welt leisten kann oder will. Das heißt nicht, dass amerikanische oder chinesische Verhältnisse das Maß aller Dinge sind. Die Ansichten hinsichtlich Sozialstaat sind bei verschiedenen Gesellschaften sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Alexander Dilger
6. Januar 2014 @ 10:45
Herr Bonse, was verstehen Sie unter “Rechte”? Sie schreiben im gestrigen Kommentar um 19.45 Uhr: “Schließlich ist es die Politik der Rechten, die fast alle EU-Hautpstädte incl. Berlin beherrscht, die uns in die heutige Beredouille gebracht hat.” Wenn Sie Union und SPD für rechts halten, dann gewinnt “die Rechte” natürlich mit riesiger Mehrheit. Ich halte das jedoch für totale Begriffsverwirrung. Auch Kritik am Euro ist weder rechts noch links, sondern einfach vernünftig. Dass Sie alle anderen Meinungen als rechts zu diffamieren versuchen, soll nur über den Mangel an sachlichen Argumente hinwegtäuschen.
ebo
6. Januar 2014 @ 12:20
@A. Dilger
Mit den (zugegeben gemäßigten) Rechten meine ich die alte Bundesregierung, aber auch die alten und neuen Regierungen in Paris (Sarkozy), Rom (Berlusconi) und Athen (Samaras). Zum konservativen Spektrum gehören auch Kommissionschef Barroso und Ratspräsident Van Rompuy. Sie alle haben mit ihrer verfehlten Politik das Bett für den drohenden Rechtsruck bereitet. Lesen Sie doch mal den zweiten Teil meiner Serie, dann werden Sie sehen, was ich meine…
ratio
6. Januar 2014 @ 14:17
Aha, Barroso, als Maoist, ist jetzt schon “konservatives Spektrum”, na dann wird ja alles gut.
ebo
6. Januar 2014 @ 14:19
…ein typischer Wendehals…wollte vor der Finanzkrise NULL Eingriff in die Finanzmärkte, hielt eisern zu einem gewissen McCreevy (Irland)…
Peter Nemschak
6. Januar 2014 @ 16:20
Hätte man den Privatsektor nicht am Schuldennachlass Griechenlands beteiligt, hätten sich die anderen Südländer hohe Zinszahlungen erspart. Dann wäre nämlich die “Unschuld” von Staatsanleihen der Eurozone erhalten geblieben. Das Griechenlandproblem – wegen seiner absoluten Kleinheit – auf die Schultern der übrigen Euromitglieder zu verteilen, wäre für alle betroffenen Steuerzahler der EU in Summe billiger gekommen. So gesehen war die rechte Politik ungeschickt und zeigt, dass auch Schäuble und Merkel zu wenig von der Psychologie der Märkte verstanden haben. Sie haben moralisch und nicht pragmatisch agiert.