Sie reden von Stabilität
Der Brexit wird zum Konjunkturrisiko, die Bankenkrise zum Systemrisiko für EUropa. Doch was machen die EU-Finanzminister? Sie strafen Portugal und Spanien – und zielen auf Frankreich. Geht’s noch?
[dropcap]H[/dropcap]istorisch soll sie sein, und wegweisend noch dazu. Das sagte W. Schäuble nach der Entscheidung der EU-Finanzminister, Strafen gegen zwei Euroländer zu verhängen, weil sie vom Spardogma abweichen.
Portugal und Spanien werden nun abgestraft, als nächstes soll Frankreich folgen. Ihnen wird vorgeworfen, ein „exzessives Defizit“ im Staatshaushalt auszuweisen (dabei ist es kaum höher als in UK).
Deshalb sollen sie nun Strafen zahlen und weniger EU-Hilfen bekommen. Allein das ist schon ein Widerspruch in sich. Wie soll ein Defizit abgebaut werden, wenn man dem „Defizitsünder“ Geld wegnimmt?
Offenbar ist da ein Fehler im System. Er wird auch nicht dadurch besser, dass die nun fällige Strafe auf eine symbolische Höhe von Null Euro angesetzt werden könnte.
Denn auf Finanzhilfen aus den EU-Strukturfonds sollen die „Übeltäter“ auf jeden Fall verzichten, sagt Oberlehrer Schäuble. Strafe muss sein! Wirklich?
Nein, denn die Strafen machen nur Sinn, wenn sie die Stabilität des Euro sichern. Das ist ja die Idee hinter dem verschärften Stabilitätspakt, der der Entscheidung zugrunde liegt.
Es kann jedoch keine Rede davon sein, dass Portugal oder Spanien derzeit ein Stabilitätsrisiko sind. Niemand schert sich um ihre Defizite. Die Gefahr liegt ganz woanders.
Sie liegt im Brexit und seinen Folgen: Die EU-Kommission rechnet mit weniger Wachstum, was die neue wirtschaftliche, soziale und politische Risiken für die Eurozone bringt.
Eine weitere Gefahr liegt in der Bankenkrise, die vor allem Italien erschüttert, aber nicht nur. Auch die Deutsche Bank ist ein Systemrisiko, warnt der Weltwährungsfonds.
Doch zu diesen Risiken sagen die Finanzminister nichts. Statt sich um die wirklichen, akuten Probleme in Europa zu kümmern, klammern sie sich an ihre Regeln wie an einen Strohhalm.
Damit sichern sie aber nicht etwa Stabilität, sondern schaffen neue Unsicherheit. Wenn die EU zwei Wochen nach dem Brexit nichts Besseres zu tun hat, als sich selbst zu bestrafen, dann gute Nacht…
mister-ede
13. Juli 2016 @ 23:54
Wenn man noch bedenkt, dass Spanien und Portugal grob 20 Mrd. an Zinsen alleine für jene Verbindlichkeiten zahlen, die u.a. von deutschen Banken im dortigen Finanzsektor verzockt wurden, ist eine Bestrafung dieser Länder einfach nur pervers.
Und ich frage mich, was das Ziel dieser deutschen Politik sein soll. Portugal und Spanien werden damit unnötigerweise zusätzlich klein gehalten und spitzer formuliert läuft das auf eine Art Kolonialisierung dieser Länder hinaus. Nicht im Sinne einer militärischen Unterwerfung, aber Banken sind ja bekanntlich mächtiger als stehende Armeen.
Dass in anderen EU-Ländern einige Bürger die EU als Verkörperung eines Vierten Reiches ansehen, ist dehalb für mich mittlerweile nicht mehr wirklich verwunderlich. Als bekennenden Fan des europäischen Einigungsprozesses macht mich diese Entwicklung aber unendlich traurig. Wir müssen wohl anerkennen, dass Deutschland nicht mehr Teil der Lösung, sondern inzwischen Teil des Problems ist.
Beste Grüße,
Mister Ede
CHS
13. Juli 2016 @ 23:49
Und ich frage erneut: Wann wird Deutschland endlich für seine zerstörerischen Leistungsbilanzüberschüsse zur Verantwortung gezogen? Von den prominenten Regelfetischisten pocht gegenüber Deutschland niemand auf die Einhaltung der “Regeln”. Hier wären in der Tat hohe Strafzahlungen mehr als angebracht. Die deutsche Wirtschaftspolitik ist hauptverantwortlich für den katastrophalen Verlauf der Währungsunion. Diese gehört umgehend aufgelöst, da sie nunmehr nicht mehr zu retten ist. Ein auseinanderbrechen der EU ist wahrscheinlich, was den Kontinent in längst überwunden geglaubte Steinzeiten zurückkatapultieren wird, mit allen unangenehmen Nebenwirkungen. Der Deutsche wird sich noch wundern, wenn er endlich bemerkt, wie die großen Volksparteien das Land und die Gesellschaft systematisch zerstört haben mit ihrem dogamtischen Glauben an den “freien Markt” (längst bewiesen – er ist in großen Teilen eine Illusion) und den “Homo Ökonomicus”, bar jeder Vernunft und in völliger Unkenntnis über das Funktionieren des Kapitalismus.
Nur ein kleiner Tipp: Wir leben nicht in einer sozialen Markwirtschaft, sondern in einem (pervertierten) Kapitalimus, der in Wirklichkeit (hauptsächlich) eine dezentrale private Planwirtschaft ist. Einige Großkonzerne kontrollieren den überwiegenden Teil der Gesamtwertschöpfung vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Ich schreibe das ohne Wertung. Das kann so funktionieren, wenn man die Realitäten endlich anerkennt und keine Politik betreibt, die von völlig anderen Voraussetzungen ausgeht. Wer hier dauernd von ‘Wettbewerb’ schwadroniert oder man müsse sich den ‘Märkten’ andienen, der lebt fürwahr hinter dem Mond.
Winston
13. Juli 2016 @ 22:32
Ops
Boris Johnson als neuer UK Aussenminister ernannt. :-)))))))))))))))
http://www.reuters.com/article/us-britain-eu-johnson-idUSKCN0ZT2FV
@ kaush
Von Sinn kann man halten was man will, bezüglich seiner Euro-Exit These liegt er alles andere als alleine da, das gleiche gilt für Henkel. Die Handelsungleichgewichte aufgrund einer überbewerteten Währung kann man nur durch eine äussere Abwertung, nicht möglich oder durch eine innere Abwertung ausbügeln, das heisst Lohnkürzungen. Das ganze dauert Jahren, im Fall von Griechenland mehrere Jahrzehnte.
Eine innere Abwertung ist allerdings Suboptimal, da es die Binnennachfrage zerstört.
Finnland hat seine Staatsquote massiv erhöht und trotzdem verharrte Finnland 3 Jahre lang in einer Rezession und wird vermutlich demnächst wieder in einer Rezession zurück fallen. Das britische Pfund hat mehr als 10% abgewertet, gift für die Finnische Papierindustrie. UK ist grösster importeur von finnischen Papierprodukte. Auf der anderen Seite frohlocken die Papierproduzenten in UK, das wissen natürlich die Briten, deshalb sind sie so locker drauf. :-)) UK ist nettoimporteur von EU Waren im Wert von 120 Mrd. €. UK zu sanktionieren hätte ungefähr die selbe Auswirkung als wenn ALDI von seinen Kunden 10 € verlangen würde damit sie den Laden betreten können, in anderen Worten ein nonsens im Quadrat, auch das wissen die Briten.
kaush
13. Juli 2016 @ 19:07
Kaffeesatzleserei von H. Sinn… David Cameron könnte der nächste Nationaltrainer von England werden.
Hermann
14. Juli 2016 @ 10:52
Hans Werner Unsinn ist der Erich von Däniken der Wirtschaft.
Winston
13. Juli 2016 @ 17:37
Finnland könnte die Euro-Zone verlassen
http://www.wiwo.de/politik/konjunktur/denkfabrik-finnland-koennte-die-euro-zone-verlassen/13841760.html