Souveraineté, Solidarité, Identité
Liberté, Egalité, Fraternité: Mit diesen Worten hat die französische Revolution die Welt beglückt. Nun erfindet der französische Präsident Macron eine neue Formel – extra für die EU und seine deutschen Freunde.
Souveraineté, Solidarité, Identité: Das waren die Leitmotive seiner Sorbonne-Rede. Na und, werden viele Deutsche sagen. Das sind doch nur Sprüche, das übliche französische Pathos.
Falsch! Denn dahinter stehen neue Konzepte, die der herrschenden deutschen Ideologie zuwider laufen – und die die europäische Debatte in den kommenden Jahren durchaus prägen könnten.
- Souveränität. Macron gesteht erstmals ein, dass Frankreich allein nicht mehr souverän ist – ein Bruch mit der Doktrin von General de Gaulle. Stattdessen soll die EU die Souveränität sichern und die Bürger schützen. Ein kühner Gedanke, den man in Deutschland selten hört. Hierzulande versucht man ja eher, in die souveränen Entscheidungen anderer EU-Länder einzugreifen… Allerdings ist Macrons Konzept auch problematisch. Denn der EU fehlen – wie er selbst einräumt – bisher fast alle Mittel, sie ist schon mit dem Schutz der Außengrenzen überfordert. Souveränität setzt zudem, zumindest bisher, einen Souverän (also ein Staatsvolk) und einen Staat voraus. Beides gibt es auf EU-Ebene bisher nicht, und man kann auch daran zweifeln, dass Franzosen, Deutsche oder Polen es wirklich haben wollen…
- Solidarität. Macron fordert nicht nur Solidarität in der Eurozone ein – weshalb er ein eigenes Budget und Hilfsprogramme gegen asymmetrische Schocks vorschlägt. Er möchte Solidarität auch zum Prinzip des Binnenmarkts machen. Der Markt soll nicht mehr den Wettbewerb zwischen Unternehmen und Staaten fördern, wie es die neoliberale deutsche Doktrin fordert, sondern Konvergenz und Einheit. Macron beruft sich dabei auf den Gründer des Binnenmarkts, Delors. Er könnte sich aber auch auf die “Konvergenzkriterien” für den Euro berufen. Dummerweise hat Deutschland, das diese Kriterien erfunden hat, das Interesse an Konvergenz und Solidarität verloren. Macron wird sich daher den exorbitanten deutschen Leistungsbilanz-Überschuss vornehmen müssen, um einen Hebel zu finden..
- Identität. Auch ein spannendes Konzept. Macron bricht mit der alten Idee, dass die französische Kultur überlegen sei. Er verlangt, dass alle Europäer mehrere Sprachen sprechen und in mehreren EU-Ländern studieren bzw. arbeiten sollen. Dafür schlägt er auch neue Akademien, Stipendien etc. vor, es ist also nicht bloß eine rhetorische Übung. Zudem betont er, dass die neue europäische Identität nicht nur Akademikern offen stehen soll. Es klingt wie eine Abkehr vom elitären französischen Denken, und wie eine Hommage an die deutschen Humanisten. Goethe und Humboldt hätte dieser Teil der Rede besonders gefreut, in Berlin hat man es jedoch kaum zur Kenntnis genommen…
F.D.
28. September 2017 @ 16:18
„Den aufmerksamen Beobachter beschleicht eher der Verdacht, als wolle Macron seine im Lande verhassten Reformideen und andere unpopuläre Entscheidungen über die europäische Karte ausspielen. Dass man die Menschen mit solchen Taktiken nicht für Europa begeistern kann, sollte klar sein…“ (Jens Berger, http://www.nachdenkseiten.de/?p=40348 ) – Wahrscheinlich kommen sich die Menschen in D und F durch Macron am Ende noch eher ex negativo näher -in der gemeinsamen Ablehnung seiner „göttlichen Visionen“…
Peter Nemschak
27. September 2017 @ 11:30
Bedingungslose transnationale Solidarität wird in der EU bei denen, zu deren finanziellen Lasten sie geht, keine Mehrheit finden. Solidarität macht überall dort Sinn, wo es einem einzelnen Mitgliedsland nicht möglich ist, seine Ziele im Alleingang zu erreichen. Konvergenz ist kein Ziel sondern Ergebnis des Wettbewerbs. Der Aufholprozess im Osten (Konvergenz zu den westeuropäischen Staaten) wird durch den Wettbewerb getrieben. Was das derzeitige Wirtschaftswachstum in der EU betrifft, hat die kritisierte Austerität jedenfalls dieses nicht verhindert. Irgendwann wird sich der Druck auf die öffentlichen Investitionen Bahn verschaffen.