Sogar der Austritt kann scheitern
Bisher ist Großbritannien nur an seiner EU-Mitgliedschaft gescheitert. Das Brexit-Votum war die logische Folge dieses Versagens. Doch nun sieht es so aus, als könne auch der Austritt scheitern.
Das munkelt man jedenfalls in Brüssel. Kurz vor der zweiten Brexit-Verhandlungsrunde traut Premierministerin May kaum noch jemand  zu, einen geordneten Austritt aus der EU zu organisieren.
Tatsächlich macht May keine gute Figur. Bei den künftigen Rechten für die EU-Bürger hat sie sich schon vergaloppiert. Nun könnte auch der Streit um die Austritts-Rechnung aus dem Ruder laufen.
Allerdings wäre es zu einfach, die Schuld allein bei den Briten zu suchen. Brüssel schraubt die Forderungen immer mehr in die Höhe – und macht damit eine normale Verhandlung fast unmöglich.
So hat Chefunterhändler Barnier eine Art Junktim zwischen den Rechten der EU-Bürger, der Brexit-Rechnung und der künftigen Grenze in Nordirland geschaffen. Alle drei Themen seien untrennbar verbunden.
Doch damit schafft er eine Art Gordischen Knoten, der sich schwer mit dem Prinzip vereinbaren lässt, dass nichts vereinbart bis, solange nicht alles vereinbart ist. Er schafft Regeln, die es im EU-Recht nicht gibt.
Beim letzten EU-Gipfel hatte Ratspräsident Tusk schon offen ausgesprochen, dass er von einem “Exit vom Brexit” träumt. Auch Kanzlerin Merkel möchte die Briten nicht ziehen lassen.
Vor einem Jahr haben die EU-Granden die umfassende EU-Reform verhindert, die Ex-Premier Cameron seinen Landsleuten versprochen hatte. Nun wetten sie auf ein Scheitern des Brexits…
hintermbusch
17. Juli 2017 @ 14:02
Eine ganz banale Frage: Ist der Brexit nicht bereits ausgelöst und wird in 2 Jahren automatisch wirksam, auch wenn es keine Einigung bei den Verhandlungen gibt? So hatte ich den im März von May gestarteten Prozess verstanden.
Wenn das so wäre, würde ein Aufhalten des Brexit erfordern, dass sich in UK, an der Wahlurne eine neue Mehrheit gegen den Brexit, womöglich auch mit einem neuen Referendum, konstituieren müsste. Woher sollte das kommen? Wer wären die Anführer? Ich könnte mir vorstellen, dass kontinentaleuropäische, an Top-Down-Politik gewöhnte Politiker, die auf einen Exit vom Brexit hoffen, die demokratische Dynamik der Engländer falsch einschätzen.
Wie sagte doch Emmanuel Todd im großen Brexit-Interview:
“In den großen historischen Herausforderungen braucht es immer einen Augenblick, bis die Briten sich in Bewegung setzen, aber dann wissen sie, wo es lang geht.”
Man wird sehen müssen, ob der Eigensinn und der Freiheitswille der Engländer von ihrem Weg abzubringen sind. Ich glaube nicht, dass das möglich sein wird, ohne dass sich die EU selbst tiefgreifend ändert.
ebo
17. Juli 2017 @ 14:10
@Hinterbusch Ja, der Brexit ist ausgelöst, er könnte auch automatisch eintreten. Doch niemand möchte derzeit einen “harten”, ungeordneten Brexit. Deshalb kann man die Gespräche schleifen lassen, immer neue Hürden aufbauen (von beiden Seiten) – und dann kurz vor Toresschluss eine Verlängerung beschließen. Einziges Problem: alle EU-Staaten müssen zustimmen. Aber wäre wäre schon dagegen, ein Problem zu verschleppen? In Griechenland geht es doch auch…
Peter Nemschak
17. Juli 2017 @ 14:37
Der Freiheitswille ist eine Illusion in unserer wirtschaftlich global verflochtenen Welt, zumindest kommt er sehr teuer, vor allem für jene, welche mit großer Mehrheit für den BREXIT gestimmt haben. Waren es nicht eher Ressentiments gegenüber jenen, denen es wirtschaftlich gut geht?
hintermbusch
17. Juli 2017 @ 07:50
Es läuft alles auf einen ungeordneten Zusammenbruch der EU, eine Art innerer Erstickung, hinaus.
Peter Nemschak
17. Juli 2017 @ 09:03
Nur weil es nicht rasch vorwärts geht, heißt das noch lange nicht, dass die EU am Ende ist. Wir haben weder eine Welt- noch europäische Gesellschaft, auch wenn manche davon träumen. Für die Mehrheit zählt Heimatverbundenheit ( von den Rechten missbraucht) nach wie vor. Daran wird sich soll schnell nichts ändern.
Peter Nemschak
16. Juli 2017 @ 16:14
Niemand schafft Regeln, allerdings will Barnier den BREXIT für Großbritannien unattraktiv machen und den Preis für den Austritt so hoch wie möglich schrauben. Immerhin hat Großbritannien mehr als die EU zu verlieren. Das wissen alle Beteiligten. May könnte bald Geschichte sein. Unter umfassender EU-Reform scheint sich jeder etwas anderes vorzustellen. Es wird bei kleinen Schritten, manchmal auch auf der Stelle, bleiben. Statt auf die Reform der anderen zu warten, ist jedes Land gut beraten, seine eigenen Reformen voranzutreiben, um seine relative Position im Gefüge der EU zu verbessern.