Schwanengesang

Offiziell wurde der Rausschmiss Griechenlands aus dem Euro nie erwogen. Doch vor einem Jahr war es fast so weit, wie ein neues Buch des französischen Ex-Finanzministers Baroin enthüllt. Unter dem Codenamen „Black Swan“ versammelte er enge Vertraute um sich, um den „Grexit“ durchzuspielen, berichtet der „Express“. Da fragt man sich doch: Läuft gerade wieder solch eine Operation?

Baroin hat lange gezögert, mit der Wahrheit rauszurücken. Wenn „Black Swan“ bekannt geworden wäre, hätte dies die Märkte erschrecken und ungewollte Schockwellen auslösen können, sagte er am Wochenende im französischen Fernsehen. Erst die Ankündigung von EZB-Chef Draghi, den Euro um jeden Preis zu verteidigen, habe ihn zu einem Sinneswandel bewogen. Allerdings schweigt er bis heute über die Namen der Eingeweihten.

Ob Finanzminister Schäuble dazu gehörte, bleibt daher Baroins Geheimnis. Offen ist auch, was genau bei der Operation „Black Swan“ herauskam. War die Simulation eines „Grexits“ so schlimm, dass Paris vor dem Äußersten zurückschreckte? Oder ging es vor allem darum, Deutschland die Konsequenzen vor Augen zu führen? Oder, bedrohlichste Annahme, liegen seit diesen denkwürdigen Tagen im November 2011 fertige „Grexit“-Notpläne in den Schubladen der Finanzminister?

Fest steht, dass wir heute wieder an einem toten Punkt sind. Obwohl die Griechen, wie von Baroin, Schäuble & Co. gewünscht, auf ein Euro-Referendum verzichtet haben; obwohl sie eine konservative, europafreundliche Regierung gewählt haben; obwohl sie neue, desaströse Sparauflagen geschluckt und einen neuen, sozial völlig inakzeptablen Nothaushalt verabschiedet haben, obwohl nun sogar die Troika grünes Licht gibt – sagt Deutschland Nein. Erst sträubte sich Berlin gegen einen Schuldenschnitt, wie ihn etwa der IWF fordert. Nun tut Schäuble auch noch so, als sei der Bericht der Troika unvollständig.

Natürlich sind dies Ablenkungsmanöver. Der Troika-Bericht war vermutlich schon seit Tagen fertig, doch Berlin verweigert aus durchschaubaren Gründen seine Zustimmung. Kanzlerin Merkel und ihr Finanzminister treiben ein zynisches und gefährliches Spiel mit Griechenland und der gesamten Eurozone: einerseits beteuern sie, einen Staatsbankrott werde es nicht geben – andererseits machen sie die Pleite durch ihre Blockade immer wahrscheinlicher. Bereits am Freitag drohe die Zahlungsunfähigkeit, heißt es in Athen.

Steht also eine neue Operation „Black Swan“ bevor? Oder ist der Schwanengesang, der aus Athen und zunehmend auch aus Brüssel und Berlin zu hören ist, wieder nur eine Irreführung der Öffentlichkeit? Was meinen Sie? Ich bin gespannt auf die Leserreaktionen – und auf die Ergebnisse meiner aktuellen Umfrage. Die Auswertung folgt am Freitag, pünktlich zur neuen „Deadline“ für Griechenland und die Eurozone…