Sicherheit ist nicht alles

Was bleibt vom EU-Gipfel in Bratislava? Offiziell war er der Startschuss für eine neue, bürgernahe EU. Kanzlerin Merkel sprach sogar vom „Geist von Bratislava“. Doch dem Europaparlament reicht das nicht – ein Gastbeitrag.


Von Seven Giegold, MEP*

[dropcap]M[/dropcap]it der Sicherheitsagenda von Bratislava reagieren die Regierungschefs auf den Rechtspopulismus, aber nicht auf die sozialen und wirtschaftlichen Probleme Europas.

Europa wird derzeit zu einer Sicherheitsunion, während soziale wie auch wirtschaftliche Aufgaben auf der Strecke bleiben. Zwar ist der gemeinsame Schutz vor Terrorismus eine zentrale Aufgabe unserer Zeit.

Aber Europa wird über die Sicherheitspolitik und die Abschottung der Außengrenzen kein positives Gemeinschaftsgefühl entwickeln können.

Europas Regierungen bleiben Lösungen für die hohe Arbeitslosigkeit, den Investitionsstau und strukturelle Schwäche ganzer Regionen schuldig.

Erst im Dezember sollen einige dieser dringlichen Probleme diskutiert werden. Um Vertrauen zurückzugewinnen, muss Europa nicht nur Sicherheitsunion sondern auch Investitionsunion werden – notfalls in der Zusammenarbeit eines Teils der Mitgliedsländer.

Doch der Gipfel hatte auch seine guten Seiten: Es ist ermutigend, dass sich alle 27 Regierungschefs dazu bekannt haben, dass die Probleme Europas nur gemeinsam gelöst werden können.

Ein weiterer Zerfall der Union nach dem Brexit scheint nun unwahrscheinlicher, aber um den Preis des kleinen Karos. Aus dieser historischen Krise findet Europa nur mit gemeinsamen Antworten, die sich wieder an unseren Grundwerten orientieren.

Es ist fatal, dass Menschenrechte, Klimaschutz, Demokratie und soziale Rechte in der Erklärung nicht auftauchen. Vage Ankündigungen zum Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit sind zu wenig für die Zukunft der Union.

Die Kommission war faktisch irrelevant

Der Gipfel war eine Demonstration der realen Machtverhältnisse. Anders als in den Europäischen Verträgen vorgesehen, hatten die Staatschefs der Mitgliedsländer allein die Initiative in der Hand.

Das Initiativrecht der EU-Kommission war trotz Junckers Rede zur Lage der Union faktisch irrelevant. Das Zentrum der Verhandlungen lag in Berlin und nicht in Brüssel.

Es ist richtig, dass die Bundeskanzlerin viel Zeit auf die Vorbereitung des Bratislava-Gipfels verwendet hat. Aber die deutsche Dominanz im Verhandlungsergebnis ist langfristig Gift für den Zusammenhalt der Union.

Deutschland trägt zur Blockade bei

Die Erklärung der Staatschefs der südlichen Mitgliedsstaaten mit ihren Forderungen nach mehr gemeinsamen Investitionen wurde ignoriert.

Deutschland hat fraglos eine besondere Verantwortung für die Weiterentwicklung der EU. Wer am Steuerruder steht, muss die eigenen kurzfristigen Interessen zurückstellen und im Interesse der europäischen Idee insgesamt für Alle handeln.

Daher ist fatal, dass bei der Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion nichts voran geht und die deutsche Bundesregierung zur Blockade beiträgt.

*Sven Giegold ist Europaabgeordneter der Grünen. Er arbeitet vor allem zu finanz- und wirtschaftspolitischen Fragen