Schutz war gestern

Die USA spionieren illegal das Internet in Europa aus – doch die EU wehrt sich nicht. Im Gegenteil: Sie will ein Freihandelsabkommen auf den Weg bringen, das den Datenschutz ausklammert und US-Konzernen wie Google auch noch Klagen gegen EU-Staaten ermöglicht.

Jetzt schlägt wieder die Stunde der Frankreich-Basher. Weil Paris es wagt, das Verhandlungsmandat der EU-Kommission für die Handelsgespräche mit den USA zu kritisieren, schlagen alle auf die Franzosen ein.

Dabei haben auch Belgien und Griechenland Bedenken. Selbst das Europaparlament tritt für die „exception culturelle“ ein – also den Schutz der europäischen Film- und Fernsehproduktion vor der übermächtigen US-Industrie.

Kommerz hat Vorrang

Egal: Kommerz hat Vorrang, Schutz war gestern. Der Handel muss grenzenlos sein, deshalb darf es keine Ausnahmen geben. Dies ist die Logik, mit der auch die Merkel-Regierung in die Gespräche geht.

Merkantilismus schlägt Protektionismus – selbst da, wo eine Absicherung dringend angesagt wäre. Zum Beispiel im Datenschutz. Gerade erst wurde das US-Spährogramm Prism enthüllt, auch das Internet in Europa wird systematisch ausgespäht.

Doch der Datenschutz ist keine Priorität im EU-Mandat, wie mir ein Diplomat auf Nachfrage bestätigte. Er läuft nur unter ferner liefen – unter dem Schutz des geistigen Eigentums (ACTA lässt grüßen) und anderen generellen Prinzipien.

Kein Thema ist bisher auch die gängige Praxis amerikanischer Konzerne, gegen  missliebige Staaten zu klagen. Dieses merkwürdige Privileg der Trusts soll auch im neuen Freihandelsabkommen festgeschrieben werden.

Zwar kümmern sich NGOs wie das S2B-Network und die grüne Europaabgeordnete S. Keller um dieses wichtige Thema. Doch weder die EU-Kommission noch ein EU-Staat scheinen die Gefahr des Missbrauchs zu erkennen.

Dabei warten US-Konzerne wie Google oder Microsoft doch nur auf ihre Chance, ihre Auffassungen von Gewerbefreiheit auch in Europa umsetzen zu können – zur Not auch auf dem Rechtsweg.

Sollte ihnen das gelingen, wären genau jene Kulturgüter gefährdet, die Frankreich schützen will – Kino, Fernsehen und Videos, denn sie wandern zunehmend in digitale Sphären ab, die die USA beherrschen.

Private Investitionen werden geschützt

Eigentlich merkwürdig: Wenn es um den Schutz privater Investitionen geht, dann moniert sich nicht einmal die schwarzgelbe Bundesregierung (gegen die Vattenfall wegen des Atomausstiegs klagt).

Wenn es hingegen um den Schutz unserer Kultur und unserer Daten geht, dann heißt es, man solle sich keine unnötigen Sorgen machen, Protektionismus helfe uns nicht weiter. Da stimmt doch etwas nicht…

… Das meinen übrigens auch französische Filmemacher, die EU-Kommissionschef Barroso als „Feind Europa“ attackieren. Costa-Gavras und seine Kollegen haben den Portugiesen im Europaparlament getroffen und finden ihn „zynisch“ und „unehrlich“, weil er vorgebe, die EU zu schützen, sie in Wahrheit aber verrate…

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