Sanktionen ohne Strategie (Update 26.5.11)
Westerwelle wollte dem Diktator “eine Brücke bauen”
Pünktlich zur Europa-Reise von US-Präsident Obama verschärfen die Europäer ihre Gangart gegenüber dem Regime in Syrien. Nun soll auch Präsident al-Assad mit Sanktionen belegt werden, beschlossen die EU-Außenminister in Brüssel. Der Gewaltherrscher darf nicht mehr in die EU reisen; außerdem wird sein Vermögen in Europa eingefroren.
Nach wochenlangem Zögern übernimmt die EU damit wieder die Initiative in der Nahostpolitik. Zuvor war Obama auf die europäische Linie im Nahost-Konflikt geschwenkt und hatte die Rückkehr Israels zu den Grenzen von 1967 gefordert. Bei seinen Besuchen in London und Deauville will Obama mit seinen europäischen Partnern über das weitere Vorgehen sprechen. Neben Syrien und Israel soll auch der Krieg in Libyen zur Sprache kommen, wo Franzosen und Briten die Führung übernommen haben.
Allerdings ist unklar, ob die neue, offensivere Nahostpolitik der EU auf einer klaren Strategie beruht – und ob Europa willens und in der Lage ist, sie umzusetzen. Bisher spricht nicht viel dafür – auch wenn die EU-Außenminister den Anschein erwecken, sie wollten weiter Druck machen.
So mussten in Syrien erst Wochen voller blutiger Unruhen und brutaler Repression vergehen, bevor Brüssel endlich aktiv wurde. Vor allem Berlin hatte dafür geworben, al-Assad von Sanktionen auszunehmen. Man wolle ihm “eine Brücke bauen”, begründete Außenminister Westerwelle seine zögerliche Haltung, die an die deutsche Blockade bei Libyen erinnerte.
Mit den neuen Sanktionen nehmen die Europäer zwar erstmals den Hauptverantwortlichen der Repression in Syrien ins Visier. Weitere Konsequenzen muss al-Assad aber vorerst nicht fürchten.
Eine Militärintervention wie in Libyen wird es nicht geben. Schließlich will Europa keinen Krieg mit Iran riskieren, der das syrische Regime stützt. Außerdem ist die EU schon jetzt mit Libyen heillos überfordert. Der Militäreinsatz ist weitgehend im Sande verlaufen; ein Ende ist nicht absehbar.
Und im israelisch-palästinensischen Konflikt zeichnet sich kein Ende der abwartenden europäischen Haltung ab. Nach dem diplomatischen Punktsieg im Streit um die Grenzen von 1967 (die Rückkehr zu diesen Grenzen ist eine alte europäische Forderung) sind die Europäer schon wieder zerstritten über die Frage, ob sie einen Staat Palästina anerkennen wollen.
Während Präsident Abbas seine Unabhängigkeits-Erklärung mit Hochdruck vorbereitet, tritt die EU auf die Bremse. Vor allem Deutschland warnt vor einseitigen Schritten – und stützt damit wieder einmal Israel.
Bis zu einer klaren Strategie ist es also noch ein weiter Weg. Dabei wäre sie wichtiger denn je, denn die USA sind nicht mehr ohne weiteres bereit, ihren Kopf hinzuhalten, wie der Krieg in Libyen gezeigt hat. Zudem haben sie keinen Plan, wie Obamas Grundsatzrede zum Nahen Osten letzte Woche gezeigt hat.
Europa ist gefordert, selbst in seinem “Hinterhof” für Ordnung zu sorgen oder zumindest weiteres Chaos zu verhindern. Von der EU-Außenbeauftragten Ashton (ein Totalausfall) und ihrem treuen deutschen Freund Westerwelle darf man freilich nicht allzu viel erwarten. Schließlich gehörten sie ja auch jetzt wieder, bei den Sanktionen gegen Syrien, zu den Nachzüglern…
Nachtrag 26.5.11
Nun gibt es also doch eine Strategie: Beim G8-Gipfel in Deauville wollen sie ein “bedeutsames und wirksames Maßnahmepaket” beschließen, um den arabischen Frühling zu stützen, sagte Kanzlerin Merkel. Fehlt nur noch, dass Merkel ihren Sonderweg in Libyen und Syrien erklärt – oder will sich Deutschland wieder mal mit Geld freikaufen?
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Eric B.
6. Juni 2011 @ 13:53
Merkwürdig, dass Frankreich in der Lage sein soll, die USA in einen Konflikt zu ziehen und Deutschland eine Falle zu stellen. Eher ist es doch wohl so, dass FR und US dieselben strategischen ziele teilen, während D ein Extrasüppchen kocht. Dies war auch jetzt wieder beim Besuch Merkels in Washington Thema…
Andre
26. Mai 2011 @ 22:03
In Bezug aus Syrien gilt das Prinzip der Nicht-Einmischung ebenso wie in Bahrain. Bahrain ist sicherlich die größere Heuchelei als das Land Syrien. Wie sagte Helmut Schmitt zu Menschenrechten in China: “Das ist doch deren Bier”. Nun wird jetzt sowieso die Latte von Europa etwas höher gelegt, was die Akzeptanz für Autokraten im Mittelmeer angeht, und hier wird demnächst die EU-Einigkeit demonstriert werden, auf die man aus war. Deren taktische Vorraussetzung ist aber ein vorheriger Mangel an Einigkeit.Im Falle von Gaddafi hat die ad hoc Allianz die Gelegenheit beim Schopfe gepackt einen uns unangenehmen Diktator militärisch in die Enge zu treiben und die Amerikaner in einen Konflikt zu ziehen, den sie gerne loswerden wollen. Gerade das in letzter Sekunde vor der Niederschlagung, ein Eingriff durch Frankreich, welches als Unterstützer Gaddafis galt. Dass der arabische Frühling viel mit Brotpreisen und wenig mit Demokratie zu tun hat, versteht sich von allein. Das Risiko des Libyen-Eingriffs für Europa insgesamt ist abgefedert, weil einzelne Staaten sich reservierter äußerten und verhielten. Das ist wichtig, da das Mandat nur Flugverbot war, nicht Regimewechsel. Die Angreiferstaaten werden sich nun darüber natürlich hinwegsetzen und die Rebellen militärisch unterstützen. Seine Schiffe verbrennen, nennt man das wohl. Man stelle sich vor Deutschland mit seiner Strafbarkeit des Angriffskrieges wäre Teil der Koalition gewesen…!
Andre
26. Mai 2011 @ 21:43
Deutschland ist keine Macht des Mittelmeers wie UK, FR, ES etc. und wer die EU-Mittelmeerprozesse kennt, der versteht wie allergisch diese Anrainer-Staaten sind, wenn sich der Norden dort einmischt. Die deutsche Regierung hat sich enthalten, nicht dagegen gestimmt. Das ist vollkommen in Ordnung und entspricht der Verantwortung Deutschlands im Sicherheitsrat. Interessant, dass gar keiner mehr von der Geschichte spricht.Noch weniger beachtet wurde wie das erst das französische Spielchen erlaubte die desinteressierten Amerikaner in den scharfen Konflikt mit einer ad hoc Allianz zu ziehen und europäischen Macht innerhalb der NATO in der Folge zu stärken. Es war ziemlich blamabel, als das Pentagon eingestehen musste die Operation nicht zu leiten, man faselte etwas von einer “leading role”. Die Nachricht waren aber die französischen Kampfjets, nicht die Marschflugkörper. Am nächsten Tag übernahmen die Amerikaner das Kommando, dann mussten die NATO-Mitgliedsländer bekniet werden die NATO-Verantwortung für die Mission zu übernehmen. Dass die Deutschen hier aussen vor waren, machte alles viel leichter für die Franzosen. Wenn die EU europäische Sicherheitspolitik machen will, dann muss man erst mal in der NATO mehr institutionelles Gewicht erlangen. Das geht nicht mit einer deutschen Erfüllungspolitik wie vor 1990, die Deutschland zu einem irrelevanten Faktor verdammen würde, oder dem Fetish der geschlossenen Positionierung der Europäer (die EU-Kommission lässt sich immer transatlantisch über den Tisch ziehen um als Institution relevant zu werden), sondern durch das strategische kluge Pingpong der Franzosen, zu dem die deutsche Haltung komplementär ist.
Eric B.
26. Mai 2011 @ 15:16
Nun ja, Deutschland ist zwar keine Seemacht, sitzt aber neuerdings im Weltsicherheitsrat und sollte daher auch Verantwortung übernehmen!
Andre
26. Mai 2011 @ 15:09
Es gibt doch auch noch den Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Staaten. Gaddafi war eine Gelegenheit, welche die Franzosen unerwartet genutzt haben und damit den Amerikanern eine Falle gestellt. Deutschland ist anders als UK keinen Mittelmeermacht und steht da ein wenig aussen vor. Wir profitieren aber vom neuen Spielraum in der NATO.Wieso sollte sich Deutschland freikaufen müssen? Wer hat sich denn diesen Unsinn ausgedacht?