Renzi legt nach
Wer gedacht hatte, dass die Kritik von Italiens Premier Renzi an Deutschland beim EU-Gipfel nicht so ernst gemeint war, sieht sich getäuscht. Renzi legt nach und warnt ganz offen vor deutscher Dominanz.
„Europa muss 28 Ländern dienen, nicht nur einem“, sagte Renzi in einem Interview der FT. Die von Merkel durchgesetzte Sparpolitik begünstige die Populisten, sagte er mit Blick auf das Wahlergebnis in Spanien.
Eine Sparpolitik ohne Wachstum sei zum Scheitern verurteilt, so Renzi weiter. Offenbar spielt er damit auf seine eigenes Land an, wo seit Jahren Stagnation herrscht, obwohl Italien – wie von Berlin verlangt – spart.
Der Sparkurs war schon unter Renzis Vorgänger Monti eingeführt worden, der als enger Verbündeter Merkels galt. Auch Monti hatte wiederholt eine Änderung der deutschen Politik angemahnt – vergeblich…
Mehr zu Italien hier, zu Spanien hier
Peter Nemschak
26. Dezember 2015 @ 13:30
@ebo Das dürfen Sie nicht. Ein Konkurs der griechischen Banken wäre für mich die richtige Lösung gewesen. Warum man davon abgesehen hat, lässt sich nur vermuten. Mich stört die reflex- und gebetsmühlenartig vorgetragene Begründung, dass man die französischen und deutschen Banken schonen wollte, was in den ersten Jahren nach Ausbruch der Finanzkrise im Hinblick auf befürchtete Ansteckungseffekte der Fall war. Die Schonung griechischer Klein- und Mittelbetriebe erscheint mir eine durchaus plausible alternative Erklärung für die Maßnahmen im Jahr 2015 zu sein. Ob und in welchem Umfang griechische Bankaktionäre im Zuge der jetzigen Bankensanierung zur Kasse gebeten wurden, weiß ich nicht. Die griechischen Reichen haben ihr Vermögen ohnehin längst von griechischen Banken abgezogen. Die brauchte man nicht zu schonen. Um den wahren Grund herauszufinden, könnten Sie Ihre EU-Abgeordneten fragen bzw. darauf ansetzen, zumindest zwei unterschiedlicher politischer Richtung, um den Sachverhalt möglichst objektiv zu klären. Am ehesten sollte der griechische Finanzminister, der das Hilfspaket verhandelt hat, authentisch Auskunft geben können.
Meyer-Durand
24. Dezember 2015 @ 20:52
@Peter
Es geht doch gar nicht um ein irgendwie geartetes „Bashing“. Es geht um simple nachprüfbare Fakten und Tatsachen. Im Falle der „Hilfsprogramme“ wurde gegen diverse Grundsätze verstossen: moralische, soziale, juristische, demokratische. Der Vergleich mit einem EU-Bashing ist wieder so eine K-O Floskel (typisch für viele konservative Politiker) um nicht weiter denken und diskutieren zu müssen. Ist natürlich einfacher. Differentieren heisst positive und negative Aspekte zu berücksichtigen und angemessen zu bewerten und abzuwägen.
Wie gesagt, mit Bashing hat das nichts zu tun. Es gibt kein „Aufrechnen“ von Vorteilen und Nachteilen der EU und der Eurozone – dann dürfte man ja – um es auf den Punkt zu bringen – gar nichts mehr kritisieren und nichts mehr verändern oder korrigieren wollen, und das nur weil wir uns blind und unterwürfig mit den „Vorteilen“ der EU zufriedengeben sollen? Ist es dass was Du möchtest?
Es gilt das Gesetz der Gleichbehandlung – ab Deutschland ist „gleicher“ als viele andere Länder und ein Teil der ärmeren Bürger in der EU trägt nun die volle Last der Bankkredite, für die sie nicht verantwortlich sind.
Die Krise in Griechenland hat hohe humanitäre Kosten. Schätzungsweise 1000 Griechen sterben monatlich, weil das Geld für Medikamente und die ärztliche Behandlung fehlt. 90% aller Arbeitslosen ist ohne jegliche finanzielle Unterstützung. 1/3 der Griechen ohne Krankenversicherung. Und all das soll ich lieber nicht schreiben, weil sich jemand an einem angeblichen EU-Bashing stört?
Meine griechischen Mitbürger kenn ich recht gute, denke ich. Griechen sind meistens sehr stolz. Vor allem suchen die Griechen keinen Sündenbock in der EU, im Gegensatz zu Deiner Behauptung.
Griechen sind extrem kritisch mit ihren eigenen Regierungen und sind empört über die Korruption, der sie im täglichen Leben begegnen (hier hat sich in den letzten 25 Jahren aber bereits viel geändert). Sie kennen bestens die häufig schlecht funktionierenden Administrationen und sind sich der kleinen „typischen“ Fehler bewusst, die in der „Natur“ der „Griechen“ liegt. Bei allem hier beziehe ich mich übrigens auf selbstkritische griechische Literatur – nicht nur auf meine eigene Erfahrung.
Kurz, kaum ein Grieche ist gut zu sprechen auf die Regierungen der letzten 40 Jahre – daher ja auch der Wahlsieg von Syriza. Übrigens, viele Griechen haben mir vor 2010 schon gesagt, dass das Land über seine Verhältnisse lebt und dass das nicht ewig gut gehen könne.
Also alles andere als einen Sündenbock suchen.
Aber Griechen haben vor allem eines: einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, was die internationalen Angelegenheiten angeht – und das ist ohne Zweifel historisch bedingt. Und sie haben das Recht, sich über die Willkür der Mächte, welche die privaten Schulden „verstaatlicht“ („socialized“) haben, zu empören.
Peter Nemschak
26. Dezember 2015 @ 11:18
Hätte man die privaten Schulden nicht verstaatlicht, hätte man die griechischen Banken pleite gehen lassen müssen und die kreditgewährenden Banken in Deutschland und vor allem in Frankreich hätten große Verluste einstecken müssen. Das wäre ein durchaus marktwirtschaftskonformer Vorgang gewesen. Die griechischen Banken hätten zum Zeitpunkt ihrer Pleite ausreichend Kapital besessen um die gesicherten Einleger bis Eur 100.000 befriedigen zu können. Allerdings hätte die Gefahr bestanden, dass viele kleine und mittlere griechische Unternehmen ihre Liquiditätsreserven, die in vielen Fällen Eur 100.000 überstiegen, verloren hätten und als Folge pleite gegangen wären. Im übrigen hat der deutsche Steuerzahler bisher über Eur 15 Mrd. für die Sanierung seiner Banken ausgegeben, wovon wahrscheinlich der große Teil verloren ist. Wirtschaftspolitische Maßnahmen haben immer unerwünschte Nebenwirkungen. Im übrigen, was ist Gerechtigkeit? Gleichheit für alle herstellen oder Gleiches gleich behandeln? Gleichheit als Chancengleichheit oder Gleichheit des Ergebnisses? Fragen über Fragen – alle politisch umkämpft seit es menschliche Gesellschaften gibt.
ebo
26. Dezember 2015 @ 11:26
Darf ich daraus schließen, dass Sie für Sozialismus sind, sobald es um die Banken geht? Ich dachte, Sie seien für die Marktwirtschaft…
Meyer-Durand
24. Dezember 2015 @ 16:20
@Peter
Zu der angeblich „zähen“ Umsetzung der Reformen in Griechenland.
Hier hat in den deutschen Medien in den letzten Wochen wieder einmal eine derbe Verzerrung stattgefunden. Es gibt einige Verspätungen bei der Umsetzung, aber weder Herr Dijsselbloom noch Herr Moscovoci sehen das dramatisch, da es sehr triftige und verständliche Gründe hierfür gibt. Alle wichtigen Milestones (2. Liste) wurden umgesetzt. Darunter befinden sich viele wichtige Reformen. Auch hat bisher kein Land der Welt so radikal Reformen umsetzen müssen wie Griechenland (siehe OECD-Berichte). Wie Herr Dijsselbloom richtig bemerkte, die Vorbereitung der Rentenreform benötigt nun einmal Zeit – wichtige Dinge dürfen nicht übereilt durchgeführt werden.
Und natürlich ist verständlicherweise der Rückhalt in der Bevölkerung für weitere Kürzungen an der Grundrente sehr gering. Die kommende Kürzung wäre die 11. Kürzung in 5 Jahren. http://www.ekathimerini.com/204603/article/ekathimerini/news/tsipras-adamant-main-pensions-will-not-be-cut-further
Vertreter der UN haben unlängst darauf hingewiesen, dass es aus sozialen Gründen Grenzen geben muss bei der Umsetzung von Sparmassnahmen. Zu der wichtigen „ownership of reforms“ gehört die soziale Gerechtigkeit. Harrsche Austerität darf soziale Notwendigkeiten und Realitäten nicht ignorieren.
Die gr. Rentenkasse hatte ihre Reserven in Höhe von 15 Milliarden Euro im Rahmen des Schuldenschnitts von 2012 verloren (einer der gewaltigen Fehler dieses wirkungslosen Schuldenschnitts, der im Übrigen viel zu spät kam).
„Die Welt“ z.B. erhält über Quellen aus Schäubles Kreisen Informationen, die im krassen Gegensatz zu den Aussagen von Herrn Moscovici und den positiven Signalen aus der Eurogruppe stehen (vgl. die letzten Pressekonferenzen). Die Gründe hierfür sind offensichtlich. Propaganda, um den Druck aufrecht zu erhalten. Es wäre ja auch zu doof, wenn man Syriza nicht doch bekäme – hatte ja im September schon fast geklappt. Diese Syriza will doch tatsächlich den Ärmsten helfen, und nicht unseren Banken! Unglaublich! Geht nicht!
Besser informiert werden Sie von Medien im angelsächsischen Bereich. Und meistens auch von ekathimerini.com (mit Ausnahmen aus bekannten Gründen).
Peter Nemschak
24. Dezember 2015 @ 17:52
Die Mitgliedstaaten der EU, egal ob groß oder klein, benutzen die EU regelmäßig als Sündenbock, um nationale Versäumnisse nicht zugeben zu müssen und sich innenpolitisch zu entlasten. Dies wird gerne beim „EU-bashing“ übersehen. So gesehen ist der Hinweis auf das Kehren vor der eigenen Tür gerechtfertigt. Wenn die Mehrheit der Bürger keine Transferunion mit allen Konsequenzen wünscht, muss man den Teilnehmern am Euro die Wahlmöglichkeit eines geordneten Austritts bieten.
Meyer-Durand
24. Dezember 2015 @ 15:51
@Peter Nemschak
Jede sachliche Kritik ist berechtigt und es gibt daher kein gegenseitiges „Aufrechnen“ von gegenseitigen Kritiken, auch wenn das Ihnen persönlich die Dinge vereinfachen würde.
Jede Kritik gehört auf den Tisch, schon allein um die Doppelmoral einiger Personen/Regierungen zu entlarven. Das mit dem „vor seiner Haustür kehren“ ist eine abgedroschene Floskel (Dank Herr Schäuble), denn, obwohl im Prinzip richtig, wird sie immer wieder missbraucht, um die weitergehende sachliche Diskussionen abzuwürgen.
Aber wir sind doch aufgeklärte Bürger und wollen frei und intelligent den Dingen weiter auf den Grund gehen. Die Geschichte lehrt, dass sonst die Dinge schief laufen (siehe z.B. die dramatischen Folgen der neoliberalen Deregulierung der Finanzinstitute. Helmut Schmidt z.B. hat immer wieder auf die von dieser Deregulierung ausgehenden Gefahren gewarnt. Die Ereignisse seit 2008 haben ihm Recht gegeben).
Nun ist es aber so, dass im Zeitalter de Eurozone, der EU und der Globalisierung es nicht mehr ausreicht, nur „vor seiner eigenen Tür zu kehren“. Z.B. hat die Deutsche Bank 13 Milliarden Euro an Strafgeldern weltweit zahlen müssen in den letzten Jahren. Aber deutsche Steurzahler zahlen immer wieder kräftig für die Deutsche Bank bei diversen Anlässen.
Steuerbetrug ist weiterhin ein riesen Problem in Deutschland. Grenzüberschreitende Korruption auch. Und es gehen 170 Milliarden Euro jährlich verloren durch Steuervermeidung. Nur europaweite Regelungen können da helfen. Das Geld wird dringend gebraucht, um die Schwächsten in Europa und in Deutschland zu entlasten (Problem der Umverteilung und der Gerechtigkeit).
Was die Schulden Griechenlands angeht, so sind Sie schlecht informiert. Eric Toussaint hat das sehr detailliert dargelegt (siehe Berichte, Konferenzen, Audit). Bis 2008 hatte Griechenland starkes Wachstum und im europäischen Vergleich akzeptable Staatsschulden. Deutsche und französische Banken haben an griechische Banken verliehen, ohne die Grundregeln einzuhalten (!): griechische Banken haben die Gelder überwiegend verwendet, um Kredite für den privaten Konsum zu vergeben. Dies ist, wie Fachleuten bekannt ist, vor allem auf die Deregulierung zurückzuführen (auch im Rahmen der neuen durch die Euro-Einführung gewonnene Pseudostabilität).
Die Kredite gingen eben nicht in die nachhaltige Entwicklung der gr. Wirtschaft und genau das wussten die Kreditgeber in Nordeuropa bestens. Aber sie wussten auch, dass kein Risiko bestehet. Der deutsche Staat hat die Verluste der deutschen Banken in der Vergangenheit ja immer wieder ausgeglichen. Also volles grünes Licht! Das genau ist eine Form der vielkritisierten Deregulierung!
2009 musste Griechenland seine eigenen Banken dann mit 20 Milliarden Euro stützen
-> erster grosser Anstieg der Staastschulden. Bis dahin waren die Schulden überwiegend private Schulden mit einem Übergewicht an Schulden für den privaten Konsum.
Die Forderungen der privaten deutschen und franz. Banken (über 80 Milliarden Euro) in 2010 wurden durch die aufgezwungenen „Hilfsprogramme“ in Staatsschulden umgewandelt. Hinzu kommt, dass dramatische Fehler gemacht wurden – unter Federführung Deutschlands!
Nebenbei, zahlreiche Experten weisen darauf hin, dass die Korruption als Ursache der aktuellen Rezession in Griechenland und die struckturellen Mängel überbewertet werden: in der Zeit von 2000 bis 2008 florierte die Wirtschaft – zwar auf Kredit – aber es funktionierte. Dürfte doch gar nicht sein, würde man der Narrative von Merkel & Schäuble folgen, oder?
Was ich sagen möchte: 2010 waren die Gläubiger die nordeuropäischen Banken und die Probleme hätten mit letzteren direkt gelöst werden müssen, ohne die Last auf alle 11 Millionen Bürger Griechenlands für die nächsten 2-3 Generationen zu verteilen! Es gibt internationale Regeln diesbezüglich, welche die Troika nicht respektiert hat.
Die Krise in der Eurozone war in allen betroffenen Ländern immer zuerst eine reine Bankenkrise (Griechenland, Irland, Spanien, Portugal). In Irland und Spanien verbunden mit einer Immobilienblase. Und in Spanien war tatsächlich eine gewalte Korruption im Bankensektor mitverantwortlich.
Erst die Massnahmen im Rahmen der Hilfsprogramme (unter deutscher Dominanz) machten daraus nach und nach eine Staatsschuldenkrise!
Umgangssprachlich könnte man sagen: alle haben das gemeinsam verbockt und alle müssen jetzt ihren Anteil dazu beitragen, den Schaden zu begrenzen. Aber gerade die deutsche Regierung stellt sich keiner kritischen Diskussion und unser lakonischer Schäuble block immer an den gleichen Stellen der Argumentationsreihe mit den üblichen Floskeln ab.
Überhaupt ist die Regierung offensichtlich nicht bereit, ihr Handeln der letzten 7 Jahre kritisch zu hinterfragen. Dabei wäre dies angesichts der Berichte des EU-Parlaments über die Arbeit der Troika von 2014 und des vorläufigen Ergebnisses der Untersuchungskommission über die griechischen Schulden vom Juni 2015 dringend notwendig!
Peter Nemschak
23. Dezember 2015 @ 20:54
In der derzeitigen Struktur der EU, hat jedes Mitgliedsland die Wahl, was und wen es besteuert, solange es die Stabilitätskriterien einhält. Italien könnte auch Immobilien stärker besteuern und dafür eine expansivere Wirtschaftspolitik verfolgen. Daher ist die Kritik von Renzi unberechtigt und lenkt wieder einmal von den nationalen Problemen Italiens ab. Renzi muss vor der eigenen Tür kehren und nicht das beliebte Fingerzeigen auf Deutschland und den Norden spielen.
Johannes
23. Dezember 2015 @ 15:57
Italien gönnt sich Dinge, die man uns Deutschen nicht gönnt:
Gestern/heute wurde die Abschaffung der Immobiliensteuer auf die erste Wohnung beschlossen.
Wann bekommen wir Deutsche solch einen Luxus????????
Itlaien, in einem Land, in dem mehr als dreiviertel der Menschen Eigentum haben und nicht zur Miete wohnen.
Wir Deutsche wohnen mehrheitlich zur Miete!
Süd und Nordeuropa passen nicht zusammen.
Es sind solche Dinge, die einem immer und immer wieder vor Augen führen, dass Südeuropa anders tickt als Nordeuropa.
Wo soll all das noch hinführen???
Itlalien dürfte sich das NICHT leisten, tut es aber dennoch, die Deutschen zahlen ja über die EZB und den ESM.
Egal wie die Griechenland- und Südeuropafans es drehen, an Stelle Frieden zu schaffen, schafft ihr mit Euren Wünschen noch mehr Hass und Eiversucht. Beim Geld hört die Freundschaft auf, das gilt weltweit … Nord- und Südeuro, anders geht es nicht mehr.
Irgendwo hier schreibt jemand, dass es noch keine Transferunion geben würde. Das stimmt nicht alleine schon wegen der EZB-Zinspolitik nich. Uns Bürgern wurde übrigens bei diesem Thema das Gegenteil versprochen!
Und angeblichen Gewinne aus der Rettung kommen auch nicht bei uns Bürgern an, Steuersenkungen wie in Italien? Haha, davon kann ich als Deutscher nur träumen.
Egal wie man es dreht und wendet, es wird immer schlimmer, für beide Seiten 🙁
Peter Nemschak
23. Dezember 2015 @ 13:17
@ebo was heißt aufgebürdet? Ohne diese Kredite, die irgend wann einmal abzuschreiben sind, wäre Griechenland längst pleite. Griechenland ist für den Euro nicht geeignet. Abschreiben heißt Transferunion = Transfer von Geldern, die im Unterschied von Krediten nie zurückgezahlt werden. Hätte man Griechenland früher pleite gehen lassen, wäre ein Austritt aus dem Euro erzwungen worden, hätten die Geberländer weniger Geld verloren.
ebo
23. Dezember 2015 @ 13:28
Lieber Herr Nemschak, haben Sie die ersten sechs Monate 2015 verschlafen? Varoufakis wollte keinen neuen Bailout, sondern eine Umschuldung und ein Wachstumsprogramm. Und dann hat der IWF einen massiven Schuldenschnitt gefordert. Berlin sagte nein – und kassierte lieber Tribut in Form der Lizenzen für die griechischen Regionalflughäfen.
Peter Nemschak
23. Dezember 2015 @ 14:23
@ebo Hätten sich in Griechenland jene Kräfte durchgesetzt, welche eine Rückkehr zur Drachme forderten, wären wir jetzt schon weiter. Langfristig wäre das sowohl für Griechenland wie auch die übrigen Mitgliedsländer die bessere Lösung gewesen. Im übrigen ist eine Umschuldung durch die neuen Kredite, mit denen teilweise alte Fälligkeiten zurückgezahlt wurden bereits erfolgt. Haben Sie das vergessen?
Peter Nemschak
23. Dezember 2015 @ 16:11
Das mit dem Tribut ist pure kommunistische Agitation, nur weil Ihnen die jetzige Lösung nicht gefällt. Die Varoufakischen Ideen sind in der EU derzeit nicht mehrheitsfähig. Griechenland hat noch einen weiten Weg zu einem modernen Staat zurückzulegen. Die Umsetzung der vereinbarten Reformen läuft zäh.
Meyer-Durand
23. Dezember 2015 @ 02:11
@Peter Merci für den goldenen Hinweis auf Emmanuel Todd. Ich sehe, neue litérature wartet.
Deutschland hat einen ausgeprägten Mittelstand und viele wirtschaftlich Bereiche, in denen es sehr stark ist. Insgesamt recht homogen. In Bezug auf Ausbildung (Unis, Berufsschulen, Lehre), Arbeitstugenden, Innovationsfähigkeit und Konkurenzfähigkeit ist Deutschland heute Frankreich deutlich überlegen. Frankreich ist in vielen Bereichen eine Service-Wüste und ein breiter Mittelstand, wie jener in Deutschland, fehlt. Es ist manchmal schwer, zuverlässige Geschäftspartner oder Ansprechpartner zu finden. In Frankreich gelten Deutsche nach wie vor als „zuverlässig“. Es geht allgemein professionneller in Deutschland zu, so scheint es mir. Das klingt nicht sehr wissenschaftlich; soll es auch nicht denn es sind nur meine persönliche Beobachtungen.
Da Frankreichs BIP sehr stark von der Nachfrage im Inland abhängig ist, würden Reformen wie Schröders Agenda 2010 in Frankreich nicht zu den selben Ergebnissen führen. Macron und Sapin wissen das – das ministère hat selbstverständlich die Schröder-Agenda genau studiert. Und hier ist das Dilemma: eine Senkung der Löhne in Frankreich hat immer eine Senkung der Binnennachfrage zur Folge. Das Erfolgsmodell ist nicht direkt übertragbar. Weder Sarkozy, noch Hollande haben derzeit Lösungen parat, um die hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Ein denkwürdiger Artikel von E. Todd hier: http://www.marianne.net/Goodbye-Hollande%C2%A0_a228622.html (für nicht Frankophone am besten Google Translate verwenden).
Was würde ich geben, um bei einer Konferenz der kritischen Ökonomen Jacques Sapir, Jean-Luc-Gréau, Gaël Giraud, Paul Jorion ou Frédéric Lordon als Zuhörer teilzunehmen.
Übrigens würde die deutsche Presse linke Ökonomen mit marxistischen Hintergrund wie Sapir arg verunglimpfen und in die schlimme linke ideologische Ecke stellen (gleich noch in die Querfront, CDU-Abgeordnete würden bei jeder Gelegenheit kräftig mithelfen). Diesbezüglich geht es in Frankreich immerhin noch deutlich sittlicher zu. So ist Sapir z.B. häufig Gast bei BFM-TV und versteht im Übrigen sein Handwerk. Zu der Krise in Griechenland hat er einige sehr interessante Artikel geschrieben. Im übrigen wollen alle Philhellenen nur das eine: Frieden!
Johannes
22. Dezember 2015 @ 17:37
Die starke D-Mark hat deutsche Unternehmen immer dazu gezwungen, auf Innovationen zu setzen und zu forschen. Das ging früher gut, warum soll das heute nicht mehr klappen???????
Mit einer schwachen Währung nimmt dieser Druck deutlich ab!
Zu D-Mark Zeiten hat die Bundesbank auch öfters interveniert und den Kurs gedrückt. Mal aus Eigeninteresse und dann auch mal um Frankreich und Co zu helfen.
Und über das ANFA System haben Frankreich und Italien mal eben so 510 Millarden Euro sich SELBST gedruckt. Nette Summe, und die reicht „denen da“ immer noch nicht? OMG.
Nordeuro, Südeuro, und dann kehrt wieder Friden in Europa und auf diesem Blog wieder ein (aber wahrscheinlich wollen viele Griechenlandfans hier auf dem Blog gar keinen Frieden).
ebo
22. Dezember 2015 @ 20:06
Wer soll denn beim Nordeuro mitmachen? Selbst das angeblich so wettbewerbsfähige Finnland leidet, Holland und Belgien quälen sich…
Peter Nemschak
22. Dezember 2015 @ 20:55
Die genannten Länder werden die Anpassung schaffen. Es ist eine Mentalitätsfrage. Finnland hat es besonders schwer: Russland, Nokia und die Papierindustrie zur gleichen Zeit. Allerdings ist die Gesellschaftsstruktur total verschieden von der patriarchalisch geprägten Süditaliens oder Griechenlands. Vergleichen Sie einmal die Einkommens- und Vermögensverteilung im Norden mit der im Süden oder Familientypen wie sie E.Todd, ein französischer Intellektueller, untersucht hat. In letzterer Hinsicht ist Frankreich zweigeteilt.
GS
23. Dezember 2015 @ 00:31
Grundsätzlich sehe ich auf längere Sicht auch kein Problem für die deutsche Wirtschaft, wenn wir wieder eine starke Währung hätten. Kurzfristig könnte allerdings problematisch werden, dass es zu einer schlagartigen Aufwertung in großem Ausmaß kommt, da es die letzten 16 Jahre nun mal keine kontinuierliche Aufwertung gegeben hat. Das würde sicherlich erst einmal eine Rezession auslösen. Ich stimme Dir aber zu: Eine starke Währung ist wünschenswert. Ich weiß nicht, was dieser ständige Weichwährungsfetischismus soll. Als wären die Weichwährungsländer vor dem Euro wirtschaftliche Leuchttürme gewesen…
@ebo
Zu Deinem Schweizer Link: Also gemessen an der knallharten Aufwertung, die die Schweiz erlebt hat, sind die Zahlen doch gut. Was willst Du? Am meisten wird’s die Schweizer Bürger freuen, die kaufen in den grenznahen Gebieten so billig wie nie ein und für’s Verreisen gilt das auch.
Peter Nemschak
23. Dezember 2015 @ 10:06
Für Griechenland haben wir de facto eine Transferunion. Will die Mehrheit der zahlenden Bürger dies auf Dauer für den gesamten Süden?
ebo
23. Dezember 2015 @ 10:18
Was denn für eine Transferunion? Griechenland werden immer neue Kredite aufgebürdet, die es nicht will. Warnungen des IWF, dass sie niemals zurückgezahlt werden, haben Merkel und Schäuble in den Wind geschlagen. Selbst schuld!
Peter Nemschak
22. Dezember 2015 @ 17:21
@ebo Vorübergehend haben sie recht. Starke Wirtschaften passen sich aber nach einer gewissen Zeit durch entsprechende Produktivitätssteigerung an. Das zeigt sich unter anderem daran, dass die europäische Landwirtschaft zwar Einbußen auf Grund der Sanktionen gegen Russland hinnehmen musste, sich aber in der Zwischenzeit auf den Weltmärkten umorientiert hat, während die russische Landwirtschaft von den reziproken Sanktionen Russlands gegen die EU nicht profitieren konnte. Harte Währungen zwingen zu Strukturanpassungen. Von notwendigen Reformen war auch in der französischen politischen Diskussion nach den Regionalwahlen zu hören. Sie sind kurzfristig unpopulär, aber langfristig stärken sie die Wirtschaftskraft eines Landes. Frankreich sollte sich endlich zu einem breiten sozialen Konsens rechts und links von der Mitte durchringen statt mit dem Finger auf den Nachbarn zu zeigen. Das würde innere und, bei eigener Währung, äußere Abwertungen ersparen.
Peter Nemschak
22. Dezember 2015 @ 14:36
Wenn Renzi eine Änderung herbeiführen will, muss er einen Austritt Italiens aus dem Euro erreichen. Die weniger realistische Alternative wäre eine Vergemeinschaftung der Staatsschulden, wofür sich nur wegen der Angst vor den Rechtspopulisten kaum eine Mehrheit oder gar Einstimmigkeit finden wird. Warum sollten Deutschland und die anderen Euromitglieder, mit Ausnahme der ehemaligen Weichwährungsländer, Frankreich und Südeuropa, dem zustimmen? Es sei daran erinnert, dass der französische Francs und die italienische Lira seit den 1970-iger Jahren bis zu ihrem Verschwinden im Euro gegenüber der DM laufend an Wert verloren haben.
ebo
22. Dezember 2015 @ 15:05
Es sei auch daran erinnert, dass Deutschland derzeit nur deshalb so erfolgreich ist, weil der Euro so schwach ist. Wenn IT oder FR aussteigen, geht die neue DM sofort durch die Decke und DE liegt am Boden.
Peter Nemschak
22. Dezember 2015 @ 16:07
Durch die Decke: da bin ich nicht so sicher, weil auch Frankreich und Italien starke Importeure sind, so dass sich ein teilweiser Ausgleich einstellen würde. Ansonsten käme es in den Abwertungsländern zu einer Hyperinflation, was wenig wahrscheinlich ist. Der Druck auf den deutschen Euro wäre möglicherweise nicht stärker als der auf den Schweizer Franken in den letzten Jahren.
ebo
22. Dezember 2015 @ 16:49
FR und IT würden natürlich weniger importieren, da ihre Währung schwächer wäre. Gleichzeitig würde DE auf den Weltmärkten weniger exportieren, da zu teuer.
Claus
22. Dezember 2015 @ 16:17
@ebo – da widerspreche ich: Deutschland wird nicht am Boden liegen weil 1) die in der Wertschöpfungskette technologischer Produkte nicht unerheblichen Import-Anteile billiger werden und 2) dies auch durch eine höhere Produktivität aufgefangen werden kann. Das hat in Deutschland zu DM-Zeiten immer ganz gut funktioniert – und die Schweiz liegt in der gleich Thematik auch nicht am Boden.
ebo
22. Dezember 2015 @ 16:47
Der Franken-Schock wirkt nach – NZZ http://www.nzz.ch/wirtschaft/der-franken-schock-wirkt-nach-1.18657806
anvo1059
22. Dezember 2015 @ 16:19
Nein Deutschland ist nicht nur dehalb so so erfolgreich weil der Euro schwach ist, sondern die Erfolge gehen auf Kosten der anderen , vor allen ärmerer, EU Staaten !
Deutschland lebt auf Kosten ander und setzt das auch rigeros durch. (Siehe GR, ESP, usw.!) Deshalb ist Deutschland auch wieder der Buhmann. Und wohl nicht zu Unrecht !
GS
22. Dezember 2015 @ 17:22
Aha, das würde ich jetzt aber gern mal genau wissen, anvo. So pauschal gesagt ist das erst mal Quatsch.
DerDicke
23. Dezember 2015 @ 09:38
Ein DM die durch die Decke geht brauchen wir. Am besten gepaart mit Importüberschüssen. Oder wie soll das Ausland seine Schulden sonst jemals begleichen? Bezahlen kann man schlecht schreiben – Geld hat keinen inneren Wert außer dem Glauben der das Geld benutzenden.
Ein Anfang wäre schon mit einem ausgeglichenem Außenhandel gemacht… man darf ja mal träumen…