Rollback in drei Akten
Die neue EU-Kommission will beim Freihandel den alten Kurs fortsetzen: CETA wird nicht nachverhandelt, auch TTIP soll den umstrittenen Investorenschutz enthalten. Dabei hatte Kommissionschef Juncker vor seiner Wahl etwas ganz anderes versprochen. Was ist da los?
Es ist ein typisches Rollback. Zuerst, bei seiner Anhörung im Sommer, hatte der designierte Kommissionschef Juncker noch gesagt, er stehe Schiedsgerichten für Investoren ablehnend gegenüber.
Nun heißt es aus seinem Umkreis, die Schiedsgerichte sollten erst nach einer Schonfrist eingeschaltet werden. Doch die designierte Handelskommissarin Malmström will selbst das nicht zusichern.
Offenbar stehen Juncker und Malmström unter massivem Druck – genau wie Wirtschaftsminister Gabriel. Der SPD-Chef hatte erst gedroht, CETA abzulehnen, wenn ISDS Teil des Abkommens wäre. Dann lenkte er ein.
Hier eine kleine Chronik des Rollbacks – es spielt an drei Plätzen und in drei Akten:
1. Akt, Berlin
- Vor dem SPD-Konvent Ende September: Gabriel legt sich mit der SPD-Linken an, die ISDS ganz streichen will – und signalisiert damit zum ersten Mal, dass er auf den Kurs von Kanzlerin Merkel schwenkt.
- Beim SPD-Konvent ist ISDS plötzlich kein zentrales Thema mehr. Die SPD nimmt ein gemeinsames Papier mit dem DGB an, in dem der Freihandel in günstigem Licht erscheint.
- Kurz nach dem SPD-Konvent legt das Haus Gabriel ein Papier vor, demzufolge ISDS segensreich sein könne, wenn es EU-weit geregelt wird. Damit ist die Bahn frei für Brüssel.
2. Akt, Brüssel, Ottawa
- Die EU-Kommission lehnt jedwede Änderung am CETA-Abkommen mit Kanada ab. Selbst kleine Wünsche aus Berlin werden abgebügelt.
- Am 26.9. erklärt die KommissionCETA für abgeschlossen. Erstmals nach fünf Jahren wird der Text veröffentlicht – er enthält natürlich ISDS.
3. Akt, Brüssel
- Am selben Tag wird bekannt, dass sich Handelskommissarin Malmström gegen ISDS in künftigen Abkommen ausgesprochen hat. Doch kurz darauf korrigiert sie ihre angeblichen Äußerungen.
- Am 28.9. ändert ein „SELMAYR Martin“ den Text von Malmströms schriftlicher Antwort für die Anhörung im Europaparlament. Gestrichen wird der entscheidende Satz: „Das bedeutet eindeutig, dass keine Investor-Staat-Streitbeteiligung Teil dieser Vereinbarung wird.“
- Am 29.9. hält sich Malmström in ihrer Anhörung alle Optionen offen. Auch beim umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP mit den USA könne es ISDS geben. Nur transparent soll es sein.
Wie bitte? Transparent? Das Rollback in Sachen ISDS zeigt, wie die Freihändler in Wahrheit vorgehen: Hinter den Kulissen, maskiert, mit Drohungen und Nacht-und-Nebel-Aktionen.
Die Transparenz bleibt dabei auf der Strecke, die Demokratie irgendwann auch. Bleibt nur die Frage, wer eigentlich so unheimlich großen Druck gemacht hat. Kam er aus Berlin – oder aus Washington?
Andres Müller
2. Oktober 2014 @ 15:56
Kurz zusammengefasst kommt der Druck aus den gleichen Quellen vor der sich seinerzeit zur CIA Gefangenentransport-Affäre auch Dick Marti beugen musste. Die Organisation heisst „Antlantik-Brücke“. Es sind dieselben die auch versuchen die westlichen Geheimdienste und Militärbündnisse unterhalb demokratischer Zugriffsmöglichkeit zu koordinieren, ebenso gewisse wirtschaftliche Entwicklungen einzuleiten oder zu erhalten.
siehe auch:
http://www.united-europe.eu/news-and-topics/from-the-initiative/de-gucht-ttip-is-about-leadership-in-the-world/
Johannes
1. Oktober 2014 @ 13:32
Schlecht, aber dann kann man der EU und all seinen Anhängern noch leichter anti-europäische Tendenzen unterstellen. Gerade im Hinblick auf die Angriffe auf die AfD in den kommenden Monaten sind das Traumvorlagen.
Und die SPD scheint aus dem Agenda 2010 Debakel bei den Bürgern nichts zu lernen. Wie stellen die SPD Politiker sich das eigentlich vor, bei der nächsten Bundestagswahl Gabriel als Kanzler wählen zu können wenn wieder der Hauptklientel, der normale Bürger, das Messer von hinten in den Rücken gerammt wird? *hahaha
SPD = Stasi 2.0 Konzernlobbyisten, so wird man nicht Kanzler, lieber Stasi Gabriel 😉
Peter Nemschak
1. Oktober 2014 @ 13:10
@ebo das ist eine faule Ausrede der Politiker. Ein CETA und TTIP würden die Politik bei der Harmonisierung der Steuergesetze nicht behindern. Auch Ordnungspolitik im Sinne von Gestaltung von Rahmenbedingungen wäre in Zukunft möglich. Nur willkürlicher Staatseingriff würde erschwert werden, was begrüßenswert ist.
ebo
1. Oktober 2014 @ 13:21
Wie schön, dass Sie schon genau wissen, was „hinten“ rauskommt. Haben Sie schon die 1600 Seiten CETA gelesen? Haben Sie schon von der Klage Vattenfall gegen Bundesrepublik Deutschland gehört?
Peter Nemschak
1. Oktober 2014 @ 14:26
Investoren brauchen Planungssicherheit und wollen dafür rechtlich haltbare Garantien. Der Atomausstieg Deutschlands war von langer Hand geplant und beschlossen worden. Nach Fukushima kam plötzlich die politisch opportune Kehrtwende der Regierung Merkel, obwohl sich an der Gefahrensituation für Deutschland objektiv nichts geändert hat. Ob Vattenfall mit seinen Schadenersatzforderungen durchdringen wird, bleibt abzuwarten. Inzwischen begehren auch deutsche Energieversorger Schadenersatz für die Zeit des Atommoratoriums. Im Fall des überstürzten Ausstiegs aus der Atomenergie habe ich kein Verständnis für die willkürliche Gewalt der Politik über die Wirtschaft.
Johannes
1. Oktober 2014 @ 13:33
@Peter: Wenn das Abkommen soooo wichtig ist, sollte man den Investorenschutz komplett rausnehmen damit die Bürger das Abkommen akzeptieren.
Wenn der Schutz sein muss, dann hat die EU oder die USA kein Rechtssystem und es müssen Reformen her oder die EU oder USA müssen abgeschaffft werden, so oder so, es sieht für die Anhänger in beiden Fällen schlecht aus.
Connie Müller-Gödecke
1. Oktober 2014 @ 10:34
Ich hätte gerne mal gewußt, nach welchen „Gesetzen“ diese Schiedsgerichte urteilen, ich kann es immer noch nicht fassen.
Die gewählte Regierung gibt die Rechte des Souveräns, des Wahlbürgers, an Hinterzimmer-Lobby-Anwälte ab und stimmt geheim-verhandelten Verträgen zu, die Unauflöslichkeitsklauseln enthalten.
Jetzt und immerdar: TTIP? Am 11. Oktober ist Aktionstag gegen TTIP:
Peter Nemschak
1. Oktober 2014 @ 11:04
Nach dem Recht, das die vertragsschließenden Parteien im Einzelfall bei Vertragsabschluss vereinbaren. Schiedsgerichtsvereinbarungen sind im kommerziellen Verkehr seit Jahrzehnten üblich. Bei kommerziellen Krediten an Staaten, bei denen kein Schiedsgericht vorgesehen ist, wird zwischen den kreditgewährenden Banken und dem kreditnehmenden Staat beispielsweise englisches Recht und non-exclusive jurisdiction der zuständigen Gerichte in London vereinbart, wobei der kreditnehmende Staat auf die Geltendmachung der souveränen Immunität verzichtet. Das Problem stellt sich immer wieder bei der Durchsetzung von Gerichtsurteilen im Land des kreditnehmenden Staates, wenn es keine zwischenstaatlichen Abkommen gibt, die eine automatische Anerkenntnis und Durchsetzungsmöglichkeit ausländischer Urteile vorsieht. Im Grunde geht es beim Thema Schiedsgerichte um rechtliche Themen, die von manchen Aktivisten zu politischen Themen hochstilisiert werden, um generell gegen die Globalisierung, die USA und den Kapitalismus zu agitieren. Lassen Sie sich von Rechtsfachleuten über die Vor- und Nachteile von Schiedsgerichtsverfahren beraten, bevor Sie einen politisch und ideologisch motivierten Kreuzzug beginnen, außer Sie haben ihn ohnedies beabsichtigt.
Peter Nemschak
1. Oktober 2014 @ 10:18
Die große Mehrheit der Bürger kann sich unter den geplanten Freihandelsabkommen wenig (Chlorhühner) oder gar nichts vorstellen. Dies bietet Befürwortern und Gegnern viel Raum zur Manipulation und Angstmache, wobei die hidden agendas der Streitparteien im Dunkeln gehalten werden. Dass die Abkommen einen weiteren Schritt weg von sozialistischem und nationalistischem Gesellschaftsdenken darstellen, stört die lautstarken Aktivisten am linken und rechten Rand. Die Mehrheit der Bürger hat, linke Gegner würden argumentieren auf Grund Ihres falschen Bewusstseins, andere Sorgen. So wie es aussieht, wird das Thema beim EUGH landen.
ebo
1. Oktober 2014 @ 10:44
Lesen Sie das mal, eine ordnungspolitische Argumentation: http://mobil.n-tv.de/politik/Warum-es-Ceta-nicht-geben-darf-article13682111.html
Peter Nemschak
1. Oktober 2014 @ 11:13
Ich sehe nicht, warum CETA und TTIP die USA und EU daran hindern werden, Steuerschlupflöcher für die Konzerne zu schließen. Es fehlte bisher am politischen Willen. Wo ist der Zusammenhang mit den Abkommen?
ebo
1. Oktober 2014 @ 12:42
Zitat: Die Politik braucht mehr Gewalt über die Wirtschaft, nicht weniger. Zusätzliche Klagerechte, wie sie Ceta und TTIP vorsehen, sind ein Schritt in die falsche Richtung. Das sieht auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Prinzip so.
Hyperlokal
1. Oktober 2014 @ 09:49
Herr Weiler, ich kann Ihnen nur zustimmen.
Das, was dort passiert, ein „Verbrechen“ zu nennen, ist durchaus angemessen. Es handelt sich offensichtlich um die höchstentwickelte Form der Kriminalität, die es je gegeben hat: nicht mehr demokratisch kontrollierbar, nicht mehr justiziable. Es ist die postmoderne Form der Mafia.
Wie sich diese dystopischen Verhältnisse entwickeln konnten, das kann man bei der Lektüre folgender Quellen erahnen:
Demokratie als Problem (Thomas Bibricher, Zeit.de):
http://www.zeit.de/2014/38/neoliberalismus-august-von-hayek-kapitalismus
You are not a loan (Deutschlandfunk):
http://www.deutschlandfunk.de/wirtschaft-you-are-not-a-loan.1247.de.html?dram:article_id=293979
Außerdem sollte man sich in dem Zusammenhang auch noch die sehr interessante letzte Sendung Quarks & Co von Rangar Yogeshwar anschauen: (Geld regiert die Welt)
http://www1.wdr.de/fernsehen/wissen/quarks/indexquarks100.html
Nun kann man erkennen, dass die Zukunft der EU wohl nicht die Demokratie ist, sondern, sondern eine Form des Totalitarismus, für den es noch keinen Begriff gibt und der genau deshalb so gefährlich ist. Er kommt schleichend und auf leisen Sohlen.
Franz Weiler
1. Oktober 2014 @ 08:28
Welche Instanz kann diesen Verbrechern Einhalt gebieten? Es kann doch nicht sein, dass demokratisch nicht legitimierte (gewählte) Lobby Marionetten tun und lassen können, was sie wollen, ohne dass irgend ein Gericht eingeschaltet wird.
Leben wir denn wirklich nur noch nach Mafia Methoden ?
So allmählich reicht es!!!!