Protektionismus auf deutsche Art
Greift die EU den deutschen Meisterbrief an? Diese Frage sorgt für erheblichen Wirbel, die Bundesregierung ist schon auf den Barrikaden. Sie verteidigt den Protektionismus – auf deutsche Art.
Bundeswirtschaftsministerin Zypries (SPD) hat die EU-Kommission eindringlich davor gewarnt, die Regeln für die Meisterpflicht im Handwerk und für Freiberufler in Deutschland zu ändern.
„Ich meine die Selbstverwaltung der Wirtschaft, die duale Berufsausbildung, die Meisterpflicht und die Sozialpartnerschaft. Diese Vorteile lassen wir uns nicht kaputt machen“, sagte die Ministerin der „Rheinischen Post“.
Grund der Aufregung ist das Dienstleistungspaket, das die EU-Kommission schon im Januar vorgelegt hatte. Lange passierte nichts, nun macht die deutsche Handwerker- und Verbändelobby mobil.
Dabei hat Brüssel längst klar gestellt, dass es am Meisterbrief nicht rütteln will. Erstaunlich – denn das deutsche Handwerk und viele selbständige Berufe sind überreguliert – mehr als in anderen EU-Ländern.
Doch weil das alles ein deutsches „Erfolgsmodell“ ist, will niemand daran rütteln. Würden Italiener oder Franzosen so argumentieren, würde wir dagegen „Protektionismus“ schreien…
hintermbusch
22. März 2017 @ 09:08
Das ist eine sehr interessante Nachricht und Debatte.
In dem Buch „L’illusion economique“ (Deutsch: „Die neoliberale Illusion“) erläutert Emmanuel Todd ausführlich, dass Menschen in verschiedenen Ländern völlig verschiedene Dinge meinen, wenn sie glauben, über dasselbe zu sprechen, zum Beispiel über Marktwirtschaft oder Kapitalismus. Der deutsche (und identisch der japanische) Kapitalismus habe nichts mit dem angelsächsischen gemein, und die französische Wirtschaft sei womöglich gar kein Kapitalismus. Alle gemeinsam benutzten sie aber das neoliberale Vokabular – um aneinander vorbei zu reden.
Die Deutschen und die Japaner würden einen kulturellen Protektionismus praktizieren. Der Meisterbrief ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie kulturelle Eigenheiten und Regeln protektionistisch wirken können. Das sei aber keine böse Absicht, keine Doppelmoral, sondern ein blinder Fleck, weil Menschen nicht in der Lage seien, ihre eigenen kulturellen Prägungen als Merkwürdigkeit oder als willkürlich gesetzt zu erkennen.
So entstehen sehr schwere Konflikte: für Außenstehende, zumal Angelsachsen, ist der deutsche Meisterbrief eindeutig protektionistische Willkür, für Deutsche eine Errungenschaft, die Angela Merkel Donald Trump als Gastgeschenk mitbringen sollte. In Amerika wird das wiederum als Hochmut ausgelegt….
Peter Nemschak
22. März 2017 @ 13:49
Dass wir in der EU drei unterschiedliche historisch gewachsene Wirtschaftsordnungen haben, wurde schon Anfang der 1990-iger Jahre diskutiert: eine liberale, eine etatistische und eine korporatistische Ordnung. Bei einer gemeinsamen Währung muss es zu Spannungen kommen, will man mangels der politischen Voraussetzungen (europäischer Bundesstaat) keine Transferunion. Entweder wird die gemeinsam Währung wieder zerfallen oder eines dieser Ordnungsprinzipien sich letztlich durchsetzen. Allerdings: old habits die hard.
F.D.
22. März 2017 @ 07:37
„Das deutsche Handwerk und viele selbständige Berufe sind überreguliert“ – Na ja, man merkt dann doch irgendwann, wem die vordergründig geschichtsphilosophisch und „Ode-an-die-Freude“-mäßig daherkommenden EUphoriker letztlich die Schäfchen zutreiben: Den Konzernen und ihrer Agenda einer immer weitergehenden Liberalisierung. 30 Jahre Neoliberalismus sind wohl immer noch nicht genug?
Peter Nemschak
21. März 2017 @ 19:28
Im Grunde sollten nur jene Berufe reguliert werden, wo selbsternannte Profis eine Gefahr für die Öffentlchkeit darstellen. Bei Friseuren und Blumenbindern ist dies sicher nicht der Fall, sehr wohl aber bei Elektrikern, Installateuren, Zahntechnikern und Automechanikern, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch ein Meisterbrief ist keine Garantie für Qualität der Leistung. Hier merkt man die zünftlerische Tradition und den unnötigen Verwaltungsaufwand.
GS
21. März 2017 @ 18:07
Naja, ebo, Protektionismus hin oder her, aber wir haben uns schon EU und OECD gebeugt, unser Hochschulsystem kaputtgemacht und universitäre Bildung im Zuge der Bachelor/Master-Umstellung komplett verschult, schicken jetzt dafür jedes Jahr massenhaft mies ausgebildete Bachelorabsolventen auf den Arbeitsmarkt. Jetzt auch noch die berufliche Bildung zu schleifen, wäre der nächste große Fehler.
Warum sollten wir so blöd sein und Wettbewerbsvorteile aufgeben, die, ganz nebenbei, auch vielen Menschen einfach ein relativ gutes Leben ermöglichen? Dieses elede EU-Gleichmacherei geht mir auf die Nerven, sorry.
Auch Du darfst ruhig mal hinterfragen, wem mit solchem Quatsch aus Brüssel geholfen ist, ebo, anstatt gleich wieder die „böse Deutsche“-Keule zu schwingen.
ebo
21. März 2017 @ 18:14
Es geht nicht um „böse“ Deutsche. Auch nicht um die „böse“ EU – denn die will den Meisterbrief gar nicht abschaffen. Es geht darum, dass „wir“ etwas verteidigen, dass bei den anderen – nehmen wir z.B. die USA – als Protektionismus gebrandmarkt wird. Es geht also um Doppelmoral. Und um den Versuch, die EU-Kommission einzuschüchtern – wie immer, wenn es um deutsche Interessen geht…