Plötzlich sind wir Bundesstaat der EU
Wenn es um die exorbitanten deutschen Handelsbilanzüberschüsse geht, dann wird Finanzminister Schäuble erfinderisch. Nun hat er sich ein neues „Argument“ ausgedacht, um Kritik aus den USA und vom IWF zu kontern.
Aus globaler Sicht sei die deutsche Leistungsbilanz wenig aussagekräftig, heißt es in einem neuen Papier aus dem Hause Schäuble. Im weltweiten Vergleich sei allein die Gesamtbilanz der Eurozone wichtig.
„So ist die kalifornische Leistungsbilanz mit China ebenso wenig Gegenstand der Diskussion wie es die deutsche mit den USA sein sollte“, zitiert SPON aus dem Dokument, mit dem Schäuble Kritik abwehren will.
Diese „Argument“ hat allerdings einen Haken: Es unterstellt, dass Deutschland ein Bundesstaat der EU oder der Eurozone sei, so wie Kalifornien ein Bundesstaat der USA ist. Doch die EU ist keine Föderation.
Und ausgerechnet Schäuble wehrt sich vehement, sie zu einer solchen zu machen. Schon bei der Bankenunion steht er massiv auf der Bremse. Auch mehr Europa oder ein eigenes Budget für die Eurozone lehnt er ab.
Deshalb liegt der CDU-Mann mit seinem Kalifornien-Vergleich voll daneben. Aber er zieht auch aus einem anderen Grund nicht. Denn auch die Eurozone produziert – global gesehen – Überschüsse.
Auch dies ist ein „Erfolg“ Schäubles, der alle Euroländer auf Wettbewerbsfähigkeit und Export getrimmt hat. Alle sollen wie Deutschland werden – doch wer soll unsere Produkte kaufen?
Die Amerikaner wollen nicht mehr, die Chinesen haben selbst Überschüsse, aber vielleicht exportieren wir ja bald auf den Mond? Oder gehört der auch schon zur EU?
Mehr zu Schäubles Tricks hier
Dennis
20. April 2017 @ 16:59
Tolles Argument.
Sollte man jedoch gleich auf den Planeten Erde ausweiten, dann gibt es keine Überschüsse mehr und alles ist gut und kann so weitergehen.
mister-ede
20. April 2017 @ 15:05
Ein Exportüberschuss ist ein Importdefizit und wie das Wort ImportDEFIZIT schon sagt, handelt es sich um ein Fehlverhalten Deutschlands.
Durch die wirtschaftspolitische Geisterfahrt unseres Finanzministers Schäuble leidet insbesondere die Mittelschicht, der zig Milliarden Euro vorenthalten werden, die sie hart erarbeitet hat.
Es ist ein regelrechter Diebstahl am Bürger, der da zugunsten der Superreichen zurzeit stattfindet. Man denke nur daran, wie normale Bürger EEG-Umlage zahlen müssen, während die Exportindustrie der Quandt-Eliten mit der EEG-Befreiung von unserer Polit-Elite subventioniert wird.
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 17:08
@ ebo Wie wollen Sie das Gleichgewicht herstellen? Investitionen in die deutsche digitale Infrastruktur, wie sie der IWF empfiehlt, werden am Handelsüberschuss Deutschlands nichts ändern. Um ihn gegenüber Frankreich zu reduzieren, könnte Frankreich seine Wirtschaft wettbewerbsfähiger machen, beispielsweise durch sozialstaatliche Reformen, welche die Arbeitskosten reduzieren würden. Mit meiner Meinung bin ich nicht alleine. Lesen Sie einmal die diversen Kommentare in der NZZ. Es gibt offenbar ideologische Differenzen, über welche die Bürger bei den kommenden Wahlen in Frankreich und Deutschland entscheiden müssen. Sind Handelsüberschüsse Deutschlands je mit Erfolg eingeklagt worden? Nachdem Überschüsse und Defizite zwei Seiten derselben Medaille sind, hätte eine Klage wohl wenig Chance auf Erfolg.
Illoinen
20. April 2017 @ 12:31
Na ja ausgerechnet die NZZ, welches unter vielen den Neoliberalismus, welcher mehr Menschen jedes Jahr auf der Welt tötet, als es die NS Diktatur in 6 Jahren vermochte? Hier zu zitieren, dann kann man ja auch gleich die gesamte Springer und GEZ-Propaganda zitieren.
Aber dank der täglichen GEZ Propaganda sind die Menschen in der Mehrheit in Deutschland so indoktriniert dass sie jeden Zusammenhang zwischen den “Überschüssen” des einen Landes und den “Defiziten” eines anderen Landes regelmäßig leugnen.
Ich würde mal nicht die Lektüre der hier üblichen GEZ und Springer Propaganda empfehlen, sondern einmal Ausländische, und da kommen die Ökonomen zu ganz anderen Ergebnissen. Aber aus Sicht vieler in Deutschland, sieht man die Splitter im Auge des Anderen, den Balken im eigenen Auge sieht man nicht. Lesen Sie Flassbeck, Piketty usw. Europa wäre nicht bis heute in der Krise, hätte Deutschland nach Abschluss der Verträge entgegen der Vereinbarungen, den größten Niedriglohnsektor in Europa eingeführt, und zwar erst nachdem der Euro eingeführt worden ist. Denn danach konnten sich die anderen Länder ohne eigene Währung nicht mehr wehren, und saßen sprichwörtlich in der Falle.
Vereinbart aber war, dass die Löhne in jedem Land gemessen an den Produktivitätssteigerungen plus Inflationsausgleich jährlich erhöht werden. Alle hielten sich daran. Deutschland aber macht genau das Gegenteil, was vereinbart war, und gibt heute den anderen Ländern die Schuld? Wie perfide und hinterhältig ist das denn?
Außerdem wurden die Finanzmärkte unter Schröder massiv dereguliert, welches dazu führte, dass 2008 über Nacht Deutschland mit mehr als 400 Milliarden Euro Banken, die sich verspekuliert hatten, retten musste. Im Übrigen wäre niemals gemacht worden, hätte Deutschland eine Kapitalistische Gesellschaftsordnung gehabt.
Also hieraus sind in erster Linie die Schulden erwachsen, und nicht weil andere über ihre Verhältnisse gelebt hätten, wie hetzerisch und verlogen die GEZ und Springer Propaganda verbreitet hat.
Ute
20. April 2017 @ 13:20
Ergänzend zu Ihrem Kommentar hier ein Beitrag, der eine Abrechnung mit der
US-Politik ist, in dem aber auch die europäische Politik ihr Fett abbekommt, ebenso
die Unterwürfigkeit sog. Leitmedien.
„Trump – Abrissbirne der US-Demokratie“
http://orf.at/stories/2387847/2387830/
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 15:57
@ebo Der Binnenmarkt soll den Wettbewerb erleichtern. Das Prinzip Wettbewerb war ein wesentliches Bauprinzip bei der Gründung der EU als Gegenpol zum zentralverwaltungswirtschaftlichen Projekt der UdSSR und ihrer Satelliten. Heute geht es um mehr oder weniger Gleichheit in der Gesellschaft, wobei über das Optimum an Ungleichheit unterschiedliche Meinungen bestehen.
ebo
19. April 2017 @ 16:01
Richtig, Wettbewerb zwischen Unternehmen, nicht zwischen Staaten. Letzteres ist die neoliberale deutsche Doktrin, die Schäuble nun in den USA – dem angeblich wettbewerbsfähigsten Land der Welt – rechtfertigen will. Mit fadensch3inigen Argumenten, wie in diesem Post gezeigt!
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 16:23
Wettbewerb ist ein unteilbar liberales Prinzip, das von den Roten abgelehnt wird. Warum sind bestimmte Standorte für Unternehmen attraktiver als andere? Wenn man eine unterschiedliche Gesellschaftspolitik betreiben will, darf man keine gemeinsame Währung haben. Was spricht dagegen, dass sich das wirtschaftliche schwächere Land dem stärkeren anpasst? Diese Asymmetrie gab es bereits vor Einführung des EURO, als Abwertungsländer weniger wirtschaftspolitische Optionen als Aufwertungsländer hatten und abwerten mussten, wenn ihre Währungsreserven erschöpft waren.. Ihre Vision der EU endet in einer wirtschaftspolitischen Zwangsjacke der Nivellierung. Warum lassen wir die Dinge nicht laufen und sehen zu, welcher gesellschaftspolitische Ansatz sich letztlich durchsetzen wird? Warum wollen Sie den Euro zur heiligen Kuh hochstilisieren?
ebo
19. April 2017 @ 16:47
Unteilbar liberales Prinzip…na klar, deshalb werden auch schon Schulkinder dem Wettbewerb mit ihren chinesischen Mitbewerbern unterworfen, und deshalb konkurrieren DE und FR um die besten Austern oder was? – Ein letztes Mal: Es geht um Wettbewerb zwischen Unternehmen, nicht zwischen Staaten. Und es geht um ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht, dass sogar im deutschen Grundgesetz verankert ist.
Pingo2000
19. April 2017 @ 15:50
Herr Nemschak, das zur lästigen Zahl herabgewürdigte ’sonstige Humankapital‘ hat solche Ängste vor der Mobilitätskraft des Kapitals entwickelt, dass es scharenweise in die Arme derjenigen läuft, die Stärke, Bewahrung und Immobilität versprechen. Das merken Sie aber schon noch, so ein bisschen wenigstens, wohin sich das gerade so bewegt. Freude wird Ihnen das auf Dauer nicht bringen, ganz bestimmt nicht.
Ute
19. April 2017 @ 15:06
„….für das mobile Humankapital attraktiv…“
Die daraus entstehenden Ängste, Instabilitäten und Verunsicherungen hat der
US-amerikanische Soziologe Richard Sennett bereits vor zwei Jahrzehnten
in seinem Werk: „Der flexible Mensch“ thematisiert. Zu ‚besichtigen‘ heute in
einer vorherrschenden Ellbogengesellschaft, das Größerwerden der Schere zwischen Arm und Reich, das Ausdünnen von Mittelschichten, die Polarisierung zwischen
einer kleinen Gruppe von Profiteuren und einer großen Anzahl von Verlierern eines ausbeutenden Profitsystems, welches Sie, @Nemschak, mit „mobilem Humankapital“
verkleistern.
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 14:54
@ebo Sie argumentieren in meine Richtung des komparativen Vorteils, der allerdings im Fall Frankreichs durch ein überteuertes Sozialsystem mehr als wettgemacht wird. Wahrscheinlich wäre Fillon unter den gegebenen Umständen trotz all seiner Schwächen für Frankreich die beste Medizin, Le Pen und Melanchon die schlechtere Wahl.
ebo
19. April 2017 @ 14:57
Nein, ich argumentiere gegen den Begriff der „Wettbewerbsfähigkeit“, der – pauschal auf ein ganzes Land angewendet – sinnlos wird. Ähnliches gilt für Ihre Kritik am französischen Sozialstaat – der Luxusgüter-Branche scheinen die Sozialkosten nicht zu schaden. Auch günstige Kleinwagen kommen aus Frankreich – trotz angeblich überhöhter Löhne. Die Erklärung? Eine höhere Produktivität als in Deutschland!
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 15:30
Wettbewerbsfähigkeit lässt sich pauschal sehr wohl auf die Wirtschaft von Staaten anwenden, wenn man wie Sie das Prinzip Wettbewerb nicht grundsätzlich ablehnt. Offenbar haben Sie ein gespaltenes Verhältnis dazu: Parteienwettbewerb ja, wirtschaftlicher Wettbewerb nein. Wettbewerb ist ein fundamentales Bauprinzip der Evolution und hat sich als wirtschaftliches Ordnungsprinzip, wenn auch von all jenen, die ihm ausgesetzt sind, Unternehmern wie Arbeitnehmern, stets bekämpft, gegenüber planwirtschaftlichen Ansätzen weltweit sowohl in demokratischen wie autoritären Systemen durchgesetzt.
ebo
19. April 2017 @ 15:41
Die EU wurde nicht gegründet, um den wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen Staaten zu organisieren, im Gegenteil.
Oudejans
21. April 2017 @ 08:24
>>“Wettbewerb ist ein fundamentales Bauprinzip der Evolution…“
Im Namen der Menschheit geht diese Ideologie über Menschenleichen.
Einen Darwinismus als _notwendiges Bauprinzip der Welt schlechthin als Rechtfertigung für den eigenen, höchstpersönlichen Hypertrophismus vorschützen.
Wir sind wieder so weit.
Pjotr56
19. April 2017 @ 14:26
Schäuble ist nur das Symptom, die Ursache der Krankheit heißt Merkel, wie uns Rob Savelberg, Berlin-Korrespondent der niederländischen Tageszeitung „De Telegraaf“ bereits 2009 erläuterte:
https://www.youtube.com/watch?v=XaWE8K2nRVs
Peter Nemschak
19. April 2017 @ 14:20
Aber, aber. Verglichen mit französischen und italienischen Autos verkaufen sich BMW, Mercedes und VW in China nach wie vor recht gut. Gleiches gilt für deutsche Industrieprodukte weltweit. Vielleicht liegt das Problem doch beim französischen Sozialsystem. Um den gleichen Aufwand bekommt man in Deutschland 3 in Frankreich jedoch nur 2 Arbeitskräfte. Die Idee des Ausgleichs der Handelsbilanz durch planwirtschaftliche Maßnahmen ist nicht auszurottender rechtspopulistischer und sozialistischer Unsinn. Trump ist dabei Arbeitsvisabeschränkungen für hochqualifizierte internationale Universitätsabsolventen zu erlassen, um amerikanische Jobs im Silicon Valley zu schützen. Die amerikanischen Technologiekonzerne wird das nicht wirklich beunruhigen. Sie werden Forschung schrittweise ins Ausland verlegen, vor allem in Länder, die für das mobile Humankapital attraktiv sind. Europa sollte seine Chance nützen. Protektionismus mag kurzfristig Popularitätsgewinne bringen, geht in unserer vernetzten Welt aber nach hinten los.
Pjotr56
19. April 2017 @ 14:31
@Nemschak
„Vielleicht liegt das Problem doch beim französischen Sozialsystem. Um den gleichen Aufwand bekommt man in Deutschland 3 in Frankreich jedoch nur 2 Arbeitskräfte. Die Idee des Ausgleichs der Handelsbilanz durch planwirtschaftliche Maßnahmen ist nicht auszurottender rechtspopulistischer und sozialistischer Unsinn.“
Sorry, aber diese Aussage ist neoliberaler Schwachsinn!
ebo
19. April 2017 @ 14:35
Ach, der arme Herr Nemschak hat nur vergessen, Chanel mit Hema und Moet & Chandon mit Aldi Sekt zu vergleichen. Sonst käme er wohl zu einem anderen Ergebnis 🙂
Peter Nemschak
20. April 2017 @ 22:02
Warum? Ich habe nichts vergessen zu vergleichen. Nur, die Art, wie Frankreich seinen Sozialstaat verwaltett, bringt der französischen Wirtschaft Nachteile, weltweit und gegenüber Deutschland. Sind die sozialpolitischen Vorstellungen der französischen Gewerkschaften heute noch zeitgemäß und finanzierbar?Das müssen die französischen Wähler am nächsten Wochenende entscheiden, in welcher geopolitischen Positio n sie Frankreich haben wollen. Die Sozialisten und ihre naiven Anhänger glauben nach wie vor, dass das Geld aus dem Bankomaten kommt. Leistungsdenken und Wettbewerb sind dem Sozialismus fremd. Das riecht nach Leben auf Kosten anderer…
Phil
21. April 2017 @ 04:38
@Nemschak
Natürlich ist das finanzierbar. Nur, wenn ein Mitspieler nicht die Regeln beachtet, nämlich Deutschland, das mit Lohndumping seine Nachbarn niederkonkurriert, weswegen auch diese enormen Überschüsse resultieren.
Ja, Deutschland lebt auf Kosten anderer Länder. Und würde Deutschland aus den Euro austreten, würden die Produkte deutlich teurer werden, da die neue Währung um ca 30% aufwerten würde.