Paris peitscht Arbeitsmarktreform durch
Irgendwie scheint Demokratie aus der Mode zu kommen. Vor allem, wenn es um „Strukturreformen“ geht, die die EU einfordert. Dies zeigt sich nun sogar im eigenwilligen Frankreich.
Dort hat die „sozialistische“ Regierung Valls beschlossen, das Parlament zu übergehen und die heftigst umstrittene Arbeitsmarkt-Reform per Notverordnung in Kraft zu setzen.
Den entsprechenden Artikel in der Verfassung hat Präsident Hollande vor seiner Wahl als „Brutalität“ und „Demokratie-Verweigerung“ denunziert. Nun lässt er ihn anwenden.
Das dürfte seinen Genossen Moscovici in der EU-Kommission freuen, aber auch SPD-Chef Gabriel. Schließlich ist die Reform von den deutschen Hartz-Gesetzen inspiriert.
Mit massiven Protesten ist hingegen auf der Straße zu rechnen. Aus Protest gegen die „loi travail“ ist die Bewegung „nuit debout“ entstanden; es kam schon zu schweren Krawallen…
bluecrystal7
11. Mai 2016 @ 01:54
Tja, in der EU sind eben „Strukturreformen“ und die Sparpolitik „alternativlos“… Die deutsche Agenda 2010 hat den größten Niedriglohnsektor in Europa geschaffen…
kaush
10. Mai 2016 @ 23:05
So generieren die Sozialisten weitere Wähler für Marine Le Pen, die National mit Sozial kombiniert.
Peter Nemschak
12. Mai 2016 @ 09:05
Deren „Geschäftsmodell“ ist aber nicht nachhaltig und selbsttragend. Es lässt sich nur so lange verwirklichen, als es gesellschaftliche Gruppen gibt, die man ausbeuten und danach eliminieren sowie durch Eroberungskriege zusätzliche sachliche und menschliche Ressourcen erschließen kann. Dass das auf Dauer nicht gut geht, hat die Geschichte hinlänglich gezeigt.
Peter Nemschak
10. Mai 2016 @ 23:00
@ebo Mit einer Französin seit über 40 Jahren verheiratet, kenne ich das demonstrationsfreudige Frankreich ein wenig. Die Jugenddemonstrationen von vorwiegend bürgerlichen Jugendlichen, welche es dank Beziehungen ihrer Eltern am Arbeitsmarkt leichter als soziale Aufsteiger und Immigranten haben, werden die Arbeitsmarktreform meines Erachtens nicht verhindern. Entscheidend ist, dass die Gewerkschaften einigermaßen ruhig gestellt sind. 1968 wurde es in Frankreich erst ernst, als die Studentenrevolte auf die Arbeiterschaft übergriff. Ab diesem Zeitpunkt zeigte das Regime von de Gaulle Flagge.
ebo
10. Mai 2016 @ 23:07
D’accord pardon ich nehme alles zurück. Ich habe allerdings miterlebt, wie Strassenproteste in Paris die Regierung Juppé gestürzt haben, und wie der Sozialist Jospin dann die bis dato größte Privatisierungswelle einleitete. Sie unterstützen Sarkozy, je suppose ?
Peter Nemschak
11. Mai 2016 @ 08:21
Certainement pas ! Pour le moment je ne vois pas un candidat convainquant.
ebo
11. Mai 2016 @ 09:29
Dennoch: Unser Desaccord zu den Straßenprotesten bleibt. Es sind nämlich nicht nur die Bobos aus Paris XVe, die protestieren. Die „nuits debout“ haben ganz Frankreich erfasst; sogar in Brüssel und Berlin gibt es schon Ableger!
Johannes
10. Mai 2016 @ 17:26
Finde ich gut.
Aber die Reformen reichen nicht. Frankreich muss zu 100% die deutsche Agenda 2010 umsetzen, mit all den asozialen Reformen, die uns SPD und Grüne eingebrockt haben.
Wenn wir Deutsche mit Hungerlöhnen beglückt werden für den Euro, dann bitte auch für die Franzosen und den Rest der Euro Zone.
Oder sind wir Deutsche Menschen zweiter Klasse und die Franzosen Menschen erster Klasse? Dann bräuchte Frankreich natürlich keine Reformen machen, das müssten wir Deutsche dann nur noch machen 😉
Andreas
10. Mai 2016 @ 16:54
Ein „Problem“ ist, dass die Gewerkschaften dem Gesetzesvorschlag weitestgehend zugestimmt haben. Dennoch ist die Anwendung des „article 49.3“ mehr als bedauerlich. Der „article 49.3“ erlaubt aber auch eine „motion de censure“ – auf diesem Weg könnte das Gesetz „Al Khomri“ letztendlich noch zu Fall gebracht werden.
http://www.gouvernement.fr/l-article-49-3-comment-ca-marche
ebo
10. Mai 2016 @ 17:02
Genau, die meisten Gewerkschaften haben zugestimmt, die Jugend geht trotzdem auf die Straße. Aber erklären Sie das mal dem Nemschak…
Peter Nemschak
10. Mai 2016 @ 17:09
Welche Jugend? Hauptsächlich jene aus bürgerlichen Kreisen, wenn die Medienberichte stimmen. Muss die Regierung stets auf die Straße hören? Nicht notwendigerweise in einer Demokratie.
ebo
10. Mai 2016 @ 17:21
Von Frankreich verstehen Sie auch nichts…
Peter Nemschak
10. Mai 2016 @ 16:34
Spät aber doch zeigt die französische Regierung Mut. Die ohnedies verwässerten Arbeitsmarktgesetze sollen die Verminderung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit, fördern. Dass viele grundsätzlich dagegen sind, ist aus Gesamtsicht unverständlich und nur durch die ideologisch getriebenen Status-quo-Interessen der Gewerkschaften zu erklären. Für die Gewerkschaften schützen nur Menschen in Beschäftigung, weil sie Mitgliedsbeiträge zahlen, nicht aber die Arbeitslosen. Sehr wohl lässt sich darüber diskutieren, ob die flankierenden Maßnahmen ausreichen.