So schummeln die Gläubiger
Griechenland bekommt neue Hilfskredite und die Hoffnung auf Schuldenerleichterungen. So weit die gute Nachricht aus Brüssel. Nun die schlechte: Die Gläubiger haben ihr Wort gebrochen, die Unsicherheit bleibt.
[dropcap]F[/dropcap]angen wir mit dem Wortbruch an: Die Eurogruppe hat vorsätzlich und massiv die Verträge gebeugt, die für den laufenden dritten Bailout im Juli 2015 geschlossen worden waren.
Die neue “automatische Schuldenbremse”, die in Wahrheit eine Ausgabenbremse ist, geht weit über die Abmachungen hinaus. De facto hat sich Athen sein Budgetrecht von Brüssel abkaufen lassen.
Und zwar für ein Linsengericht: Denn die Hilfskredite, die nun bewilligt wurden, sind wiederum an Auflagen gebunden. Zudem reichen sie gerade mal, um den Sommer zu überstehen, mehr nicht.
Gebrochen wurde auch das Versprechen, Athen bei Umsetzung der “Meilensteine” (Spar- und Reformauflagen) schnelle und großzügige Erleichterungen bei den Schulden zu gewähren.
Wegen des deutschen Widerstands wurde diese Entlastung auf 2018 vertagt, auf die Zeit nach der Bundestagswahl. Griechenland muss sich nach dem deutschen Wahlkalender richten, der IWF auch.
Der IWF wird damit wohl seinem Prinzip untreu, nur Länder zu stützen, die tragfähige Schulden haben. Und er entzieht Griechenland genau das, was es am meisten braucht: eine klare Perspektive.
Ein Schuldenschnitt ohne Konditionen sowie Hilfskredite ohne Hintergedanken: Das wäre eine gute Perspektive gewesen, auch für Investoren in Griechenland. Es hätte Wachstum gefördert.
Moody’s sieht hohe Risiken
Stattdessen geht die Zitterpartie weiter, bis zum Ende dieses Schummel-Programms. Ein Grexit ist in der Zwischenzeit weiter möglich, sogar die Ratingagentur Moody’s sieht noch hohe Risiken.
Die Amerikaner sorgen sich vor allem um die Umsetzung: die hauchdünnne Regierungsmehrheit in Athen, die schwachen Institutionen, die Gefahr von Aufständen gegen die automatische Austerität.
Aber auch die neuen Auflagen bergen große Unsicherheiten. So sind die Hilfskredite nun an Privatisierungen gebunden. 50 Mrd. Euro sollen sie bringen, dabei war dieses Ziel von Anfang an unrealistisch.
Egal, nun beginnt der große Ausverkauf. Sogar der Amtssitz von Premier Tsipras könnte verramscht werden. Nur die Akropolis steht noch nicht “for sale”. Noch nicht…
P.S. Eins haben die Gläubiger in ihrem Pflichtenheft für Griechenland übrigens vergessen: Den Kampf gegen Steuerflucht und für Steuergerechtigkeit. In Irland war das auch schon kein Thema…
Peter Nemschak
26. Mai 2016 @ 13:56
@ebo Falsch und irreführend: in die eigenen Taschen der Gläubiger fließt nichts, da es sich zum größten Teil um Umschuldungen handelt (technisch: haben/soll-Buchungen am Kreditkonto mit gleicher Valuta).
Reinard
26. Mai 2016 @ 13:23
Herr Nemschak, immer zu Scherzen aufgelegt? »Ohne Privatisierungen wird sich an der tief verwurzelten Klientelpolitik nichts ändern.« Privatisierung als öffentlich kontrollierte Sanierung?
Michael
26. Mai 2016 @ 09:51
Austritt oder Rausschmiss aus dem Euro waere der erforderliche Schuldenschnitt. Pleite ist und bleibt pleite. Die Griechen und auch andere kommen mit dem Eurosystem nicht klar. Der euro ist fuer alle zur Bremse geworden. Das Ding gehoert in die Muelltonne der Geschichte.
S.B.
26. Mai 2016 @ 10:13
@Michael: So kann man es auch sagen. 😉
Peter Nemschak
26. Mai 2016 @ 08:28
Mit einem Schuldenschnitt ohne Konditionen würde Griechenland so weiter machen wie in den letzten 40 Jahren und mental und real ein zurückgebliebenes Entwicklungsland innerhalb der EU bleiben und ewig auf Zuschüsse der reicheren Staaten angewiesen sein. Wenn die Mehrheit der Griechen diesen Weg gehen will, wäre ein Grexit das Richtige. Wenn das Land allerdings den Weg “nach Norden” wählt, bleibt ihm eine fundamentale und sehr schmerzhafte Verhaltens- und Mentalitätsänderung nicht erspart. Bisher hat sich die Mehrheit der Griechen für den Euro entschieden und ist bereit nachhaltige Belastungen auf sich zu nehmen. Es soll niemand behaupten, dass die jetzige Situation alternativenlos sei. Ein schmerzfreier und sozialparadiesischer Weg in die Moderne wird allerdings Utopie bleiben. Sozialistische Rezepte aus den 1970-iger Jahren werden die Bürger aus anderen EU-Staaten nicht bereit sein, aus ihren Steuern zu finanzieren, warum auch?
ebo
26. Mai 2016 @ 08:59
Haben Sie eigentlich die IWF-Berichte gelesen?
Peter Nemschak
26. Mai 2016 @ 09:46
Keine Sorge, der (massive) Schuldenschnitt wird kommen. Ohne Privatisierungen wird sich an der tief verwurzelten Klientelpolitik nichts ändern. Die staatlichen Unternehmen sind großteils nicht wirtschaftlich geführt. Es gibt massiv versteckte Arbeitslosigkeit. Klar, Investoren benötigen Sicherheit im Sinne einer voraussagbaren und unternehmerfreundlichen Wirtschaftspolitik. Ob die Investoren Vertrauen in die Syriza- Regierung mit ihrem Zick-Zackkurs haben werden, wage ich zu bezweifeln. Zu tief sitzt dass Misstrauen, dass, sobald sich die Lage nur etwas gebessert hat, die jetzige Regierung nur allzu gerne die privaten Unternehmen belasten wird, um großzügig Sozial- und Klientelpolitik alten Stils zu betreiben. Warum zögert das private griechische Fluchtkapital nach Griechenland zurückzukehren? Die reichen Griechen sollten am besten die politischen Rahmenbedingungen in ihrem Land beurteilen können, besser als der IWF.
S.B.
26. Mai 2016 @ 09:52
@Peter Nemschak: “Es soll niemand behaupten, dass die jetzige Situation alternativenlos sei.”
Da haben Sie völlig Recht. Die Alternative wäre, dass die Griechen ihr Glück im Alleingang ohne Euro und EU versuchen. Ich verstehe gar nicht, warum den Griechen ihr Glück von außen aufgezwungen werden muss. Es geht überhaupt niemanden etwas an, schon gar keine anderen Staaten, wie die Griechen IHREN Staat und IHR Leben gestalten. Was soll also die Fremdbestimmung?
Skyjumper
26. Mai 2016 @ 10:06
@ ebo
Nun ja: Die Prognosen des IWF und die Aussage von @Peter Nemschak müssen sich nicht ausschliessen. Ein überaus wichtiges Kriterium ist der Zeitpunkt. Soll man den Schuldenschnitt jetzt vornehmen? Oder erst dann, wenn er tatsächlich real erforderlich ist, nämlich dann wenn die Rückzahlungen auch tatsächlich anstehen?
Hier muss man 2 Dinge gegeneinander abwägen: a) Die verlässliche Zukunftsperspektive die potenielle Investoren gerne hätten gegen b) die verlässliche Unverlässlichkeit die Griechenland bis in die jüngere Vergangenheit bewiesen hat.
Ich persönlich möchte diese Abwägung nicht vornehmen müssen, neige aber auch dazu b) stärker zu gewichten.
Bisher hat es Veränderungen in Griechenland nur unter der brutalen Peitsche gegeben. Und die Veränderungen sind bisher auch nicht die Veränderungen die wirklich nötig wären. @Peter Nemschak schrieb von “……bleibt ihm eine fundamentale und sehr schmerzhafte Verhaltens- und Mentalitätsänderung nicht erspart………”.
Steuererhöhungen und Sozialstreichungen sind bestenfalls ein Teil der Medizin. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen (kapitalistische Marktwirtschaft) in Europa und der Welt müssen die Griechen weitaus innovativer, effektiver und leistungsbereiter werden als sie es jetzt sind. Und daran hat sich im großen und ganzen noch wenig geändert.
Weder bin ich bereit den Griechen Sozialschmarotzertum zu unterstellen, noch bin ich bereit ihnen diesen Weg durch bedingungslose und permanente Zuschüsse theoretisch zu ermöglichen. Und eines stimmt ja nun: Die Alternative ist der Grexit. Da geht dann wieder vieles was die Griechen gewohnt sind, anderes geht dafür dann nicht mehr.
ebo
26. Mai 2016 @ 10:17
Der IWF hat schon im vergangenen Jahr einen Schuldenschnitt gefordert. Das war auch ein Hauptanliegen von Syriza. Derzeit bürden die Gläubiger Griechenland immer neue Schulden auf – über Hilfskredite, die direkt wieder zurück in ihre eigenen Taschen fließen (Tilgung). wo soll da der Anreiz für Athen liegen? Im Staatsbudget bleibt nichts hängen, bei den Griechen auch nicht. Das laufende Programm ist eher ein Anreiz, nichts umzusetzen – und nicht zu investieren!
Skyjumper
26. Mai 2016 @ 11:23
@ebo
Ich meine Sie hauen da unterschiedliche Punkte in einen Topf. Auch der IWF möchte mitnichten die Schulden streichen die dieses oder nächstes Jahr zur Tilgung anstehen. Hier besteht nämlich auch der IWF auf Tilgung, sprich Umschuldung. Nur dafür wurde das derzeit laufende 3. “Rettungs”paket schließlich geschnürt.
Was der IWF möchte ist “nur” die bereits heute verbindliche Streichung der ab 2018 zur Tilgung anstehenden Kredite.
Nebenbei erwähnt: Niemand bürdet Griechenland neue (im Sinne von zusätzlich) Schulden auf. Was man Griechenland aufbürdet ist die Revoltierung alter Schulden nebst darauf fälliger Zinsen. Neue Schulden macht Griechenland ganz alleine über den Verkauf neuer Anleihen an griechische Banken und griechische Versicherungsinstitute die dann via ELA bei der griechischen Zentralbank, bzw. letztlich der EZB, landen. Griechenland zahlt faktisch aus den eigenen Staatseinnahmen derzeit nicht einen Cent an Zinsen oder Tilgung. 2015 hat Griechenland (ohne Zinsen und Tilgung) jeden Cent seiner Staatseinnahmen auch für landesinterne Ausgaben verwendet. 2014 hat Griechenland (ohne Zinsen und Tilgung) etwa 16 Mrd. € mehr für landesinterne Ausgaben verwendet als es eingenommen hat (durch die umstrittenen ELA-Kredite).
Ausserdem sollte nicht unerwähnt bleiben dass der IWF erwiesenermaßen die Weisheit auch nicht gerade mit der Suppenkelle gefressen hat. Nur weil der IWF etwas sagt oder fordert muss das noch lange nicht richtig sein. Es wird am Ende nicht ohne einen drastischen Schuldenschnitt gehen, das bestreiten aber wohl auch die wenigsten. Strittig ist der Zeitpunkt.
ebo
26. Mai 2016 @ 11:28
Nein, der IWF hat bereits 2015 einen Schuldenschnitt gefordert. Und bis gestern hieß es “sofort”, nicht erst 2018. Das Datum 2018 ist willkürlich von Schäuble gewählt, damit er bis zur Bundestagswahl seine Ruhe hat.
Skyjumper
26. Mai 2016 @ 12:37
Entweder wir reden aneinander vorbei, oder wir haben unterschiedliche Veröffentlichungen des IWF. Ich beziehe mich auf die Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF aus Juni 2015.
Selbstverständlich wird da der Schuldenschnitt gefordert. Und selbstverständlich soll er sofort vereinbart werden. Das hat aber doch nichts damit zu tun welche Schulden da gestrichen oder reduziert werden sollen und wann diese Schulden ohne Streichung rückzahlbar gewesen wären. Der IWF hält einen Umfang von 51 Mrd. € für erforderlich, hat aber offen gelassen wie die Summe zustande kommen soll.
Und ob ich einen Kredit der im Jahr 2050 zurückgezahlt werden soll und bis dahin quasi zinslos ist nun heute, morgen oder am 30.12.2050 für gestrichen erkläre ……….. das hat weder für den Schuldner noch für den Gläubiger eine praktische Relevanz. Der IWF möchte es gerne sofort erklären, die Politik erst möglichst spät. Für Griechenland ändert sich dadurch im Cashflow nichts.
Auch der Datumsbereich 2018 ist nicht SO willkürlich wie Sie es in den Raum zu stellen versuchen. Der engere Betrachtungszeitraum aus der Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF läuft von 2015 bis Ende 2018. Bis dahin braucht der IWF gem. Statuten einen theoretischen Tragfähigkeitsnachweis. 2018 ist also der letzte mögliche Zeitrahmen aus Sicht des IWF. Der maximal mögliche Kuhhandel.
Aber es ist wohl nicht sinnvoll dies weiter auszutauschen.
ebo
26. Mai 2016 @ 12:45
Ich beziehe mich auf IWF-Quellen der letzten Tage. Von 2018 war da nicht die Rede. http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2016/cr16130.pdf
Winston
26. Mai 2016 @ 15:22
°Unter den gegebenen Rahmenbedingungen (kapitalistische Marktwirtschaft) in Europa und der Welt müssen die Griechen weitaus innovativer, effektiver und leistungsbereiter werden als sie es jetzt sind. Und daran hat sich im großen und ganzen noch wenig geändert.°
Und daran wird sich auch in Zukunft rein gar nix ändern.
a) Griechenland lebt vom Binnenmarkt. Nicht jedes Land kann oder will “Exportweltmeister” werden, wenn das der Fall wäre, würde der Welthandel Kollabieren und zwar nullakomaplötzlich.
b) Griechenland hat eine 40% überteuerte Wahrung, da kann man noch so innovativ, effektiv und leistungsbereit sein. Die Produkte werden keinen Markt finden sei es im Inland oder Ausland, da zu teuer. Haben sie ne Ahnung was in Deutschland los wäre, hätte Deutschland eine 40% überbewertete Währung ? Richtig die Handelsbilanz würde schlagartig auf +- 0 runterfallen wenn nicht negativ werden.
c) Ein Land das hauptsächlich vom Binnenmarkt lebt, wird man sicher nicht mit brachialen Deflation und Austerität Maßnahmen zu Wachstum bringen, ganz im gegenteil, das hat mittlerweile auch der IWF verstanden. Ohne Wachstum keine Innovation, Effizienz und Leistung.
Es gibt immer 2 Seiten der Medaille. a) der böse Schuldner, b) der gute oder Dumme Gläubiger der das Geld zur Verfügung stellt ohne eine Länderkreditsfähigkeitskontrolle durch zu führen.
Die Sache mit dem Euro wird böse enden, für ALLE !