Wer führt denn hier?
US-Präsident Obama verabschiedet sich von Europa – doch was kommt danach? Der “Spiegel” beklagt das Ende des amerikanischen Zeitalters, die “New York Times” krönt Kanzlerin Merkel zum neuen “leader of the free world”. Beides ist falsch.
[dropcap]S[/dropcap]chließlich war schon Obama nicht mehr der klassische “Führer” der freien Welt. Unter seiner Ägide hat sich die USA mehr um Asien als um Europa gekümmert und die Verbündeten ziemlich allein gelassen – zuletzt in Syrien.
Zudem ist Obamas Nachfolger Trump nicht der erste Radikale im öffentlichen Dienst. Es gab schon Bush jr. und Reagan, mit beiden haben sich Europa und Deutschland arrangiert. Merkel hat sogar Bushs fatalen Irakkrieg befürwortet.
Nun empfängt sie Obama zu seinem Abschiedsbesuch – und lässt sich als neue Führerin der freien Welt feiern. Dabei führt sie nicht mal mehr EUropa. Seit dem Brexit ist ihr der wichtigste Partner abhanden gekommen.
Und seit dem Sondergipfel von Bratislava im September wissen wir, dass auch Merkel keinen Plan hat, wie es in der EU weitergehen soll. Geschweige denn in der “freien Welt” und den Verzweifelten Staaten von Amerika.
Klar, sie redet von Werten und tut so, als könne sie Trump Bedingungen stellen. Gut gebrüllt, Löwin! Doch in Wahrheit versucht Merkel nur, den Status Quo zu retten, der für Deutschland und seine Wirtschaft so vorteilhaft war.
Wäre es anders, müsste Merkel jetzt versuchen, Trump wirklich etwas entgegenzusetzen. Sie müsste versuchen, der EU eine neue Richtung zu geben und die liberalen Werte zu verteidigen, vor allem natürlich vor ihrer Haustür.
Was Führen wirklich hieße
Stattdessen übt sie sich in Appeasement mit der Türkei, bremst EU-Sanktionen gegen Polen und übernimmt den Abschottungskurs Ungarns – und fördert so den Verfall genau jener Werte, die sie angeblich schützt.
Führen hieße auch, die Briten in die Schranken zu weisen, und nicht länger zuzulassen, dass die Brexiteers dem Kontinent ihren Stempel aufdrücken. Zum Beispiel bei der Verteidigung, wo London bremst.
Doch auch das wagt Merkel nicht, im Gegenteil: Sie tut alles, um den Brexit hinauszuzögern und genau die neoliberale Politik fortzusetzen, die in UK zum EU-Austritt geführt hat. Damit schadet sie Europa.
Liberale Pose, neoliberale Politik
Hinter ihren politisch korrekten Worten stecken ganz andere, politisch schädliche Taten. Hinter der liberalen Pose verbirgt sich eine neoliberale Politik, der es vor allem darum geht, die Märkte offen zu halten.
Daher ist es nur konsequent, wenn Merkel zum Abschied von Obama vor allem eins verteidigt: die Globalisierung. Sie will sogar an TTIP festhalten – und fällt dabei noch hinter die EU-Kommission zurück.
Die hat TTIP nämlich gerade auf Eis gelegt. – wg. Trump. Bisher stand übrigens Obama auf der Bremse – der letzte “leader of the free world”?!
Siehe auch “Merkels EU soll die Welt retten – really”?
alex
18. November 2016 @ 06:31
@ebo
Bezüglich Syrien liegst du falsch.
Es war ein von Anfang von der US-Administration geplantes US-Regime-Change-Programm, gepaart mit einer wg. einer (neo)liberalen Reform für Syrien unvorteilhaften Wirtschaftsentwicklung (insbesonderer gegenüber der Türkei) und einer Trokenperiode, die diesen Staat destabilisierte.
Dazu Roland Dumas (ex franz. Aussenminister):
https://www.youtube.com/watch?v=jeyRwFHR8WY
Planung und Finanzierung des Umsturzes:
> http://www.truth-out.org/progressivepicks/item/33180-wikileaks-reveals-how-the-us-aggressively-pursued-regime-change-in-syria-igniting-a-bloodbath
> http://www.cbc.ca/news/world/u-s-admits-funding-syrian-opposition-1.987112
> http://content.time.com/time/world/article/0,8599,1571751,00.html
> http://www.newyorker.com/magazine/2007/03/05/the-redirection
> https://www.youtube.com/watch?v=jeyRwFHR8WY
> http://theduran.com/wikileaks-bombshell-hillarys-8-point-plan-to-destroy-isis-and-syria-qatar-and-saudi-arabia-providing-financial-support-to-isil/
Anstiftung zum Aufruhr:
> http://www.guardian.co.uk/world/2011/jul/08/syria-condemns-us-ambassador-visit-hama
> http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2011/07/2011780473138345.html
Ausbildung in der Türkei, u. a. in Incirlik:
> http://www.boilingfrogspost.com/2011/11/21/bfp-exclusive-syria-secret-us-nato-training-support-camp-to-oust-current-syrian-president/
> http://www.radikal.com.tr/turkiye/yabanci-gazeteciler-hatayda-gozaltina-alindi-1070623/
> http://www.jpost.com/Middle-East/Report-Syrian-rebel-forces-trained-by-West-are-moving-towards-Damascus-324033
> http://www.emptywheel.net/2013/09/12/cia-joins-obamas-dissembling-on-date-death-squads-sent-into-syria/
> http://www.versobooks.com/blogs/2219-decoding-the-current-war-in-syria-the-wikileaks-files
Waffen und Organisation von Waffenlieferungen:
> http://www.janes.com/article/59374/us-arms-shipment-to-syrian-rebels-detailed
> http://www.nytimes.com/2016/06/27/world/middleeast/cia-arms-for-syrian-rebels-supplied-black-market-officials-say.html
> https://twitter.com/JeremyBinnie/status/718456819128131585/photo/1?ref_src=twsrc%5Etfw
> https://syria.liveuamap.com/en/2016/8-april-us-shipped-3000-tonnes-of-weapons-from-bulgaria
Was sind das eigentlich für Waffen, wer bildet heute aus?
> https://www.theguardian.com/world/2016/jul/27/weapons-flowing-eastern-europe-middle-east-revealed-arms-trade-syria
> https://www.salon.com/2016/10/11/leaked-hillary-clinton-emails-show-u-s-allies-saudi-arabia-and-qatar-supported-isis/
> http://www.pbs.org/wgbh/frontline/article/syrian-rebels-describe-u-s-backed-training-in-qatar/
ebo
18. November 2016 @ 09:30
Wow, das ist ja eine richtige Dokumentation, danke! Mir geht es aber nicht um die sog. Rebellen in Syrien, die zweifelsfrei von den USA unterstützt wurden, sondern um den IS, der ebenso zweifelsfrei im Irak seinen Anfang nahm und sich erst dann nach Syrien ausbreitete.
kaush
17. November 2016 @ 13:40
Boah, was für ein Artikel. Unwahrheiten, Verdrehungen. Entsprechend wird da ein Zerrbild der Realität gezeichnet, dass so schon gut in BILD oder SPIEGEL passen würde.
“Schließlich war schon Obama nicht mehr der klassische “Führer” der freien Welt. Unter seiner Ägide hat sich die USA mehr um Asien als um Europa gekümmert und die Verbündeten ziemlich allein gelassen – zuletzt in Syrien.”
Die USA haben weit über 1.000 Einsätze gegen Syrien geflogen. Zig Tonnen Waffen und Munition nach Syrien an ihre Terroristen geliefert.
Und Obama persönlich gibt Dienstags seine Zustimmung, wenn es darum geht, wer von der Kill-List als nächster “abgearbeitet” wird. Super.
Hätte er doch bloß mal die Welt alleine gelassen. Viele, viele Unschuldig getötete Menschen wären noch am Leben!
In Syrien, Libyen, Irak, Afghanistan, Pakistan, Ukraine.
Und Merkel führt nicht. Hat sie nie. Sie führt höchstens das aus, was ihr die Thinktanks vorlegen. Die ganze EU übrigens (Stichwort: ert http://www.ert.eu/, Lissabon).
Merkel und Löwin, da kommt wohl nicht mal mehr der Postillion mit…
ebo
17. November 2016 @ 13:54
@Kaush Das ist doch eine Kernthese des Artikels, dass Merkel nicht führt. Dazu gab’s auch schon einen weiteren Blogpost: Deutschland führt nicht mehr. Was Syrien betrifft: Wieso konnte sich der IS denn, von Irak kommend, ausbreiten? Weil Obama und Clinton geschlafen haben, sich komplett zurückziehen wollten. Das war übrigens mit ein Grund für Clintons Niederlage! Wenn die USA in Syrien wirklich so stark wären, dann würden wohl jetzt nicht Russland und die Türkei ganz vorn mitmischen…
kaush
17. November 2016 @ 14:35
Ich helf Dir mal ein bisschen.
“Wieso konnte sich der IS denn, von Irak kommend, ausbreiten?”
Weil er von den USA massiv militärisch aufgerüstet , ausgebildet und unterstützt wurde:
“…Am 28. September 2012 haben die USA die finanzielle Unterstützung für die unbewaffnete syrische Oppositionsbewegung von 30 auf 45 Millionen US-Dollar aufgestockt. Zudem kündigte Außenministerin Hillary Clinton eine Erhöhung der humanitären Hilfe für die Menschen um 30 Millionen US-Dollar auf insgesamt 130 Millionen US-Dollar an….
…Ende März 2013 wurde bekannt, dass der amerikanische Geheimdienst CIA die Beschaffung von Waffen, ihren Transport und die Verteilung an die Rebellen durch Saudi-Arabien, Katar und Jordanien seit November 2012 massiv unterstützt. Das Stockholm International Peace Research Institute schätzte aufgrund der Kapazitäten der verwendeten Transportflugzeuge und der Anzahl der beobachteten Flüge die Menge an gelieferten Waffen und Ausrüstungsgegenständen auf mindestens 3500 Tonnen….
…Mitte Juli 2013 hatten Senat und Repräsentantenhaus der Regierung, trotz starker Bedenken mehrerer Abgeordneter, grünes Licht für die Waffenlieferungen an Rebellen erteilt…”
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%BCrgerkrieg_in_Syrien
Auch sehr aufschlussreich das Interview mit Seymour Hersh: http://www.alternet.org/world/exclusive-interview-seymour-hersh-dishes-saudi-oil-money-bribes-and-killing-osama-bin-laden
ebo
17. November 2016 @ 18:51
@kaush Für mich ist die syrische Oppositionsbewegung, zumindest am Anfang, nicht mit dem IS gleichzusetzen. Allerdings haben die USA, indem sie die Opposition stärkten und Assad schwächsten, indirekt den Vormarsch des IS befördert. Das haben die Russen nun wieder konterkariert.
Peter Nemschak
18. November 2016 @ 07:36
Deutschland kann bestenfalls eine Führungsrolle innerhalb der EU ausüben.. Wer glaubt, Deutschland hätte die materiellen und politischen Ressourcen, die USA als liberalen Prinzipien verpflichtete Weltmacht zu ersetzen, ist ein Illusionist. Die EU als Ganzes könnte diese Rolle einnehmen. Die materiellen Ressourcen wären vorhanden bzw. könnten mobilisiert werden, allerdings ist die EU für diese Aufgabe politisch zu zersplittert. Ohne die fortdauernde Unterstützung durch die USA wird es Merkel schwer fallen, die Union zusammenzuhalten. Wenn es hart auf hart geht, werden amerikanische und nicht deutsche Panzer Osteuropa vor den Russen schützen müssen. Die Polen und Balten sind diesbezüglich realistischer als so manche deutsche Wischi-Waschipazifisten und rechte Putinverehrer.. Kurios, dass manche Trump eine neoliberale Wirtschaftsgesinnung unterstellen. Die von ihm, zumindest im Wahlkampf, zum Schutz der amerikanischen Wirtschaft angekündigte Aufrichtung von Zollmauern ist das genaue Gegenteil von neoliberal. Ein Roll-back der Globalisierung und Roboterisierung ist illusorisch, außer man will den Lebenstandard im Westen dramatisch senken.
Peter Nemschak
17. November 2016 @ 10:30
In Ihrem blinden Hass auf den Neoliberalismus übersehen Sie, dass inzwischen die neonationale Wende erfolgt ist, abgesehen davon, dass die neoliberale Periode nicht nur negative Aspekte hatte. Wie immer in der Geschichte gab es Gewinner und Verlierer. Keine Sorge, das wird sich wieder ändern.
ebo
17. November 2016 @ 13:09
@Nemschak Was heißt denn hier Hass? Der Neoliberalismus hat abgewirtschaftet, in UK und in den USA haben ihn die Menschen abgewählt. Eine Mischung aus Nationalismus und Neoliberalismus, wie sie sich jetzt andeutet, wäre aber auch nicht besser. Ich bin immer noch Anhänger einer sozialliberalen Politik, wie es sie bis in die 70er Jahre gab – und eines wirklichen, politischen Liberalismus. Wenn die Amerikaner von “liberal” sprechen, meinen sie etwas ganz anderes…
Peter Nemschak
17. November 2016 @ 16:17
Nichts gegen die sozialliberale Politik der 1970-iger Jahre. Allerdings herrschten damals fundamental andere Rahmenbedingungen. War der politische Liberalismus damals ein anderer als heute? Er herrschte zeitgleich mit einer zunehmenden Internationalisierung der europäischen Wirtschaften. Die Sehnsucht nach den 1970-iger Jahren ist verständlich, erscheint mir aber als normatives Wunschdenken. Der nicht zu übersehende Trend zum wirtschaftlichen Protektionismus ist mit einem politischen, weltoffenen Liberalismus nicht vereinbar und geht Hand in Hand mit dem stärker werdenden Neonationalismus.
S.B.
17. November 2016 @ 09:51
“Klar, sie redet von Werten und tut so, als könne sie Trump Bedingungen stellen. Gut gebrüllt, Löwin!”
Da hätte aber ein “Ironie aus!” dahinter gehört. Diese Äußerung war ja wohl an Lächerlichkeit kaum zu überbieten.
“Sie müsste versuchen, der EU eine neue Richtung zu geben und die liberalen Werte zu verteidigen,…”
Mir sind keine liberalen EU-Werte bekannt. Die “Eliten” haben ihrem Eliten-Projekt EU allein neoliberale Werte aufgedrückt, die ein Zielrichtung haben: die Globalisierung mit allem Pipapo für die Großkonzerne. Und diese verfolgt Merkel als Strohmann, ähm… Strohfrau der Eliten, aufs Genaueste.
Das einzige, was ich nicht erkennen kann, ist die “liberale Pose”.