Nichts gelernt

Europa fürchtet die Wahlen in Österreich und Italien. In Wien könnte ein Rechtsnationaler Präsident werden, in Rom könnte Premier Renzi stürzen. Doch die EU hat keinen Plan B, aus dem Brexit hat sie nichts gelernt.


[dropcap]J[/dropcap]ean-Claude Juncker wollte ein wenig Hoffnung verbreiten. „Nein, Marine Le Pen wird nicht die nächste Präsidentin Frankreichs“, sagte der Chef der EU-Kommission in einem Interview.

„Nein, die Wahlen in Italien, Frankreich und Deutschland bedrohen nicht die Zukunft Europas“, fügte er hinzu.

Nicht die Bürger seien das Problem, sondern die Populisten, die Stimmung gegen Europa machen, betonte der Luxemburger. Doch sein Interview verfehlte die erhoffte Wirkung.

Denn Juncker wandte sich auch gegen ein EU-Referendum, wie es nach einem Wahlsieg des Rechtspopulisten Norbert Hofer in Österreich denkbar wäre.

„Wir haben schon mehr als genug Kontroversen, das brauchen wir nicht auch noch“, warnte Juncker. Prompt fielen die europafeindlichen britischen Medien über ihn her.

Sogar das rechtsradikale Online-Magazin „Breitbart“ aus den USA schlachtete Junckers Warnung aus. „Nicht gewählter EU-Präse ordnet Verbot von EU-Referenden an“, titelte das Kampforgan der Donald-Trump-Fans.

Juncker kann es niemandm Recht machen

Was auch immer Juncker zum Vormarsch der Nationalisten und Populisten sagt – er kann es niemandem Recht machen. Wenn er vor einem Sieg der EU-Gegner warnt, heißt es, dass die EU-Kommission schon vor Angst zittert.

Wenn er von Volksabstimmungen abrät, heißt es, er sei ein Feind der Demokratie. Juncker hat daraus seine Schlüsse gezogen – und ist in der Versenkung verschwunden.

Auch die meisten anderen EU-Politiker sind auf Tauchstation gegangen. Kurz vor dem Wahlsonntag in Österreich und Italien, der ein doppeltes Debakel für die EU-Anhänger bringen könnte, herrscht in Brüssel ein viel sagendes Schweigen.

Keiner wagt sich aus der Deckung

Wie schon kurz vor dem Brexit-Votum der Briten im Juni wagt sich niemand aus der Deckung – aus Angst, am Ende Schuld am Scheitern zu sein.

Dabei wissen natürlich alle, dass die Lage ernst ist, sehr ernst sogar. Schon bei seiner Amtseinführung im Herbst 2014 sprach Juncker von seiner „Kommission der letzten Chance“.

Schon nach dem Brexit-Votum im Sommer schworen die EU-Politiker, es dürfe kein „Weiter so“ geben. Aber es ging weiter so, bis heute.

Merkel verhinderte einen Neustart

Vor allem Kanzlerin Merkel verhinderte einen Neustart. Sie bremste die Brexit-Verhandlungen aus und setzte durch, dass die verbleibenden 27 EU-Mitglieder keine weit reichenden Beschlüsse fassen, die der EU ein neues Gesicht geben.

Damit ist auch jetzt nicht zu rechnen – selbst wenn die Wahlen in Österreich und Italien schief gehen sollten.

Denn erst im März, bei einem Sondergipfel zum 60. Jahrestag der europäischen Gründungsverträge in Rom, will die EU erste Reformen einleiten.

Allerdings sind diese Reformen nur als Reaktion auf den Brexit gedacht – und nicht auf einen möglichen Vormarsch der FPÖ in Österreich oder der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien. Darauf sind die EU-Chefs nicht vorbereitet.

Der „Cordon Sanitaire“ hat nichts gebracht

Nicht einmal das Europaparlament hat einen Plan B. Zwar hatten die Europaabgeordneten nach dem Brexit-Votum einen Konvent gefordert, manche wollten die EU so schnell wie möglich neu gründen.

Doch daraus wurde nichts, Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs haben es verhindert. Parlamentspräsident Schulz (SPD) nahm es schweigend hin.

Auch sonst hat sich nicht viel geändert seit dem ersten Wahlschock. EU-Gegner wie der Brite N. Farage können das Parlament weiter als Plattform für ihre EU-feindlichen Parolen nutzen.

Der „Cordon sanitaire“, den die Große Koalition von Konservativen und Sozialdemokraten um die EU-Gegner gelegt hat, hat ihren Vormarsch nicht verhindern können, im Gegenteil.

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