Keine Pole Position
Nach dem Bruch mit den USA in der Klimapolitik soll die EU mutig vorangehen und die „Führung des Westens“ übernehmen. Das fordern viele Leitartikler – doch es führt in die Irre: Die westliche Ordnung ist passé, Europa ist nicht in der „pole position“.
„Der Westen ist tot – hoch lebe der Westen!“ Nach diesem Motto hat Ex-Außenminister Fischer schon im Herbst 2016 versucht, US-Präsident Trump klein- und Kanzlerin Merkel großzuschreiben.
Merkel müsse nun die „Führung“ übernehmen und die „westlichen Werte“ hochhalten, heißt es seitdem immer wieder. Vor allem China biete sich als Partner an, hoffte man in Berlin und Brüssel.
Doch diese Hoffnung wurde bitter enttäuscht. Beim EU-China-Gipfel spielte Premier Li die Klimapolitik knallhart gegen die Handelspolitik aus; der erhoffte Schulterschluss kam nicht zustande.
Es wird einsam um EUropa
Seitdem sieht es ziemlich einsam aus um EUropa. Auf die USA kann man nicht mehr zählen, China spielt nicht mit, Russland wird zur Bedrohung hochstilisiert, die Türkei schießt ständig quer.
Von deutscher „Führung“ ist nicht viel zu sehen, von einer Neuordnung des Westens auch nicht. Wie auch? Der Brexit trägt zur Spaltung bei; westliche Institutionen wie Nato und IWF kämpfen ums Überleben.
Überraschend kommt das alles nicht. Schon seit den 90ern ist die alte westliche Ordnung in eine neue multipolare Unordnung übergegangen; schon unter Obama haben sich die USA zurückgezogen.
Deutschland ist von den USA abhängig
Doch Deutschland und vor allem Merkel wollten und wollen das nicht wahrhaben. Denn kein anderes westliches Land ist so abhängig von den USA und ihrem Schutz für Europa und die „freien Märkte“.
Kein anderes Land in Europa hat von der Fiktion des wertorientierten und einigen Westens so sehr profitiert wie Deutschland. Sich davon zu verabschieden, würde dreierlei bedeuten:
- Die neue alte Spaltung des Westens in zwei Pole (USA und EU ohne UK) anzuerkennen;
- Die Bildung eines russischen Pols zu akzeptieren (incl. russischer Interessen an der Ukraine und Osteuropa)
- Die Bildung eines EU-Pols voranzutreiben; das würde Deutschland aber viel teurer kommen als der Status quo.
Nur Frankreich macht eine Ausnahme
Zu all dem ist Deutschland und die Mehrheit der EU nicht bereit. Nur Frankreich macht eine Ausnahme; doch die französische Vision einer multipolaren Welt konnte sich bisher nicht durchsetzen.
Ohne einen neuen Realismus, der auch die multipolare Realität anerkennt, wird Europa bzw. Deutschland jedoch nicht „führen“ können. Im Gegenteil: Die EU droht zum Spielball für andere zu werden.
Der Flop beim EU-China-Gipfel war nur ein Warnschuss…
Art Vanderley
13. Juni 2017 @ 20:36
Als der russische Pol noch akzeptiert wurde und als die EU ihren eigenen noch vorantrieb (durch Förderung europäischer Zusammenarbeit) hat auch die Verbindung zu den USA besser funktioniert.
Trump ist ein Warnschuß zur rechten Zeit, es kann nicht mehr so weitergehen, die EU neoliberalen Interessen zum Fraß vorzuwerfen. Eine Erneuerung kann allerdings nur aus der Bevölkerung kommen, die wirtschaftlichen und medialen „Eliten“ sind am Ende, z.T. auch die politischen.
Daran wird sich auch entscheiden, ob der Westen noch die innere Kraft hat, in einer multipolaren Welt eine Rolle zu spielen, oder ob er innerlich so verbraucht ist, daß Niedergang die Folge ist, längerfristig vielleicht sogar ein neues, etwas moderneres Mittelalter.
Winston
5. Juni 2017 @ 22:39
Was die Holländische Regierung über den Euro denkt.
https://www.rijksoverheid.nl/onderwerpen/geldzaken/vraag-en-antwoord/waarom-keert-nederland-niet-terug-naar-de-gulden
Peter Nemschak
5. Juni 2017 @ 21:45
Die westlichen Werte sind nur eine Schicht vielschichtiger Interessen. Trump wird daran nichts ändern. Nachdem er alles andere als ein Stratege ist, stellt sich die Frage, ob er die langfristigen Interessen der USA überhaupt kennt. Im Grunde sind sie ihm egal wie auch seine Wähler ihm gleichgültig sind. Noch zieht der Narrativ: “Euch geht es schlecht, weil die Welt so schlecht mit den USA umgeht” . Wie lange noch? Warum soll sich die EU wegen Trump ändern? Ihre Struktur und ihre Governance sind dieselbe wie vor Trump. Das nationale Interesse sticht das supranationale wie eh und je. Nicht nur Merkel sondern auch Macron gehören hinsichtlich ihrer hidden agenda hinterfragt.
hintermbusch
6. Juni 2017 @ 08:43
“Ihre Struktur und ihre Governance”
Irgendwo habe ich gelesen, “Governance” sei ein Euphemismus für Diktatur.
Das macht Ihre Kommentare so verstörend, Herr Nemschak, dass Sie solche Begriffe immer positiv bringen wollen.
Peter Nemschak
6. Juni 2017 @ 09:53
Wie kommen Sie auf Diktatur? Eine Diktatur funktioniert technisch viel effektiver. Sonst wäre der Atlantikwall während des Zweiten Weltkriegs in nicht so kurzer Zeit gebaut worden. Jeder demokratische Nationalstaat hat ein einfacheres Governancesystem als die EU mit ihrem aufwendigen Mehrebenensystem.
paul7rear
6. Juni 2017 @ 16:07
@Nemschak
Ihnen ist bekannt dass der Atlantikwall von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen erstellt wurde. Vielleicht sollten Sie zukünftig am Jahrestag von Oradour einen kleinen Frankreich Aufenthalt einplanen, Ihre krude Thesen erfahren dort sicher eine akzeptable Resonanz. .
GS
5. Juni 2017 @ 19:15
Es fehlt bei diesen ganzen Forderungen irgendwie auch immer die Einsicht, dass Deutschland im globalen Kontext ein kleines Ländchen ist, mit Tendenz rasch kleiner zu werden. Wenn man sich jetzt die Forderung, Deutschland solle die westliche Welt anführen, zueigen macht, dann wird sich Deutschland einfach massiv verheben.
hintermbusch
5. Juni 2017 @ 19:46
@ GS
Danke für ihre klaren Worte.
Ich bin einigermaßen fassungslos, dass eine Kanzlerin, die über jedes gesunde Maß hinaus eine fromme Transatlantikerin war, Deutschland jetzt „wegen Trump“ zum Gegenspieler der USA machen soll. Das ist entweder völlig unglaubwürdiges Getue oder aber gefährlicher Größenwahn.
Ich weiß tatsächlich nicht, welche der beiden Möglichkeiten ich schlimmer finden soll.
Oudejans
5. Juni 2017 @ 20:14
Nur hier in Berlin kann alles gerettet werden.