Moral hazard?
Ohne Druck der Märkte gibt es keine Reformen. So heißt das Standard-Argument der Gegner von Eurobonds, Schuldentilgungsfonds oder neuen Finanztransfers in der Eurozone. Doch die letzten Wochen zeigen: es ist falsch. Wenn überhaupt, trifft der „Moral hazard“ die Geberländer.
Haben Sie schon die neueste Nachricht gelesen? Irland wird an den Anleihemärkten wieder günstiger bewertet als die USA. Kaum vier Wochen ist Dublin raus aus dem Rettungsschirm, schon fließt das Geld.
Das kann nicht richtig sein. Irland sitzt auf einem Schuldenberg, der größer ist als das BIP. Die Rückzahlung wird – wenn alles gut geht – bis 2040 dauern. Die Märkte übertreiben – genau wie in der Eurokrise.
Erst haben sie alle Euroländer gleich bewertet, also viele zu gut. Dann haben sie die Problemländer viel zu schlecht bewertet, und die Krise verschärft. Und dann kamen die Schlaumeier, die meinten, das sei gar nicht schlimm.
Vor allem Finanzminister Schäuble und seine Leute erklärten, der Druck der Märkte sei hilfreich, um überfällige Reformen voranzutreiben. Würde man den Druck rausnehmen, drohe „Moral hazard“, also Stillstand.
Doch das stimmt nicht, wie sich jetzt zeigt. Sowohl Irland als auch Spanien halten (leider) am neoliberalen Kurs fest, obwohl sie wieder von den Märkten versorgt werden und nicht mehr am Gängelband der Troika hängen.
Würden sie sich anders verhalten, wenn der nun fällige Schuldenabbau durch einen europäischen Schuldentilgungsfonds erleichtert und beschleunigt würde? Für dieses „moralische Risiko“ gibt es keinen Beweis.
Wenn überhaupt, dann wird umgekehrt ein Schuh draus: Nicht die Nehmer-, sondern die Geberländer unterliegen dem „Moral hazard“.
Denn kaum dass die Eurokrise sich ein wenig beruhigt hat, und die Geberländer ihre Schäflein (sprich: ihre Banken) ins Trockene gebracht haben, wollen sie nicht mehr helfen – und noch weniger reformieren.
Erst hat Kanzlerin Merkel alle Masterpläne für eine große Reform der Eurozone einkassiert. Dann hat sie Eurobonds und Schuldentilgungsfonds gestrichen – gegen den Rat der deutschen Wirtschaftsweisen.
Auch die Bankenunion, die mal als Erste Hilfe gegen die Bankenkrise gedacht war, wurde eingedampft. Doch das könnte sich noch bitter rächen, wie wir gerade am Beispiel „Deutsche Bank“ sehen.
Womöglich kommt die Bankenkrise viel schneller zurück, als uns lieb ist – und aus einer ganz anderen Ecke, als viele glauben. Schuld wäre dann der „Moral hazard“ von – Herrn Schäuble…
Siehe auch Countdown zur Bankenkrise 2.0 und mein E-Book „Wir retten die Falschen“, in dem ich erkläre, warum die Geberländer vor allem ihre eigenen Banken retten (Vorschau hier)
alex
21. Januar 2014 @ 23:17
Derzeit sinken Zinsen für Staatsanleihen in allen EU-Krisenstaaten, unterschiedlich stark zwar, jedoch in (nahezu) allen Fällen ohne realwirtschaftliche Grundlage, da hat Ebo genau recht. Auch für Irland sind die ökonomischen Kenndaten so schlecht, dass man z.B. auf bei „Querschuesse.de“ eine faktische Insolvenz aller 5 Sektoren der irischen Wirtschaft feststellt (http://www.querschuesse.de/irland-niip-bei-176503-mrd-euro/). So lauten die ökonomischen Daten: a) der NIIP (Net International Investment Position/ Nettoauslandsvermögen) beträgt -176,503 Mrd. € (zum 23.12.13, siehe CSO) aufgeteilt auf 4,2 Mio. Staatsbürger … (von denen jährlich ca. 40.000 abwandern). b) Irland hat weltweit den höchste Schuldenstand im Privatsektor ; c) Irland hat die niedrigste Rate von Privatinvestitionen in der EU; d) aggregierter MFI (Monetary Financial Institutions) ist seit der Krise negativ (siehe ECB). e) Exporte 2013 fallend (Daten für Q1-Q3, CSO); f) Industrieproduktion 2013 fallend (Daten für Q1-Q3, CSO); g) für 2014 erwartetes Staatsdefizit -7,5%, Staatsverschuldung steigt 2014 weiterhin (auf >130% BIP).
Seit der Krise haben Irland >177.000 junge Personen (im Alter von 14-25 Jahren) verlassen, jährlich wandern etwa 40.000 Personen aus (Dunkelziffer ist weit höher), was der Auswanderungsrate der Jahrhundertkrise 1841-1844 entspricht. Tatsächlich kann die irische Regierung derzeit das Staatsdefizit nur durch Export von Arbeitslosen (d.h. Wegfall von staatl. Sozialausgaben) senken. Tolles Wirtschaftsmodell! Und das Steuervermeidungssystem „Doble Irish-Dutch-Sandwich“ wagt man nicht anzutasten, denn dann wandern noch die Großkonzerne (Google, Apple, Ikea, Facebook, MS) ab, die jährlich dank Irland nur 2-3% Steuern zahlen.
Das die Zinsen in Irland (und z.B.) und auch in Griechenland und Spanien fallen, wo die Lage m.E. noch schlechter ist), hat nichts, aber gar nichts mit realer Wirtschaft und entsprechenden zugrundeliegenden soliden Wirtschaftsdaten zu tun.
Trotzdem, die Deutschen sollten sich schon an ihre Brieftasche fassen, nicht wegen Irland oder Spanien, sondern z.B wegen der Deutschen Bank. Die handelt gerade mit Finanzderivaten mit einem Nominalvolumen von 60.000 Milliarden € (!!!) – und spätestens seit Warren Buffett sollte man wissen, das Finanzderivate Geld-Massenvernichtungswaffen sind … (zum Vergleich: für die EU-Bankenrettung wurden bisher ca. 4.500 Milliarden € aufgewendet, der Anteil für Deutschland liegt bei ca. 360 Mrd. €).
Abschliessend zu „Moral Hazard“ noch eine kleine Anekdote: der Gouverneur der slowenischen Bank Mitja Gaspari kontaktierte Ende 2006 die ECB in Frankfurt, mit der Ankündigung, bei der Kreditvergabe den Anteil von Eigenkapital zu erhöhen, weil der Immobilienmarkt zu schnell wachsen würde; die Antwort aus Frankfurt (EZB): sollten sie dies wagen, werden wir die Ratings der slowenischen Banken drastisch absenken … und der slowenische Gouverneur gab klein bei (siehe Fernsehinterview RTVslo.si).
Hannes
21. Januar 2014 @ 18:03
Himmel, Himmel! Beim Lesen dieses Textes bekomme ich schon wieder eboleptische Zuckungen…
Punkt 1: Ob die Märkte im Falle Irlands wieder übertreiben oder nicht, kannst weder Du noch ich oder irgend ein anderer beurteilen. Diese Beurteilung kann objektiv erst im Nachhinein erfolgen. Offensichtlich ist es allerdings derzeit so, dass die Investoren (Aggregat: der Finanzmarkt -> „böse Märkte“) die Rückzahlung ihrer überlassenen Geldmittel Irland zutrauen. Darüberhinaus kann man wohl kaum folgern, dass Investoren die „Krise verschärft“ hätten, nur weil sie nicht bereit gewesen sind Irland ihr Geld zu leihen. Diese Schlussfolgerung macht unter Einbeziehung des zugrunde liegenden Sachverhalts irgendwie überhaupt keinen Sinn. Es ist schließlich Aufgabe des Gläubigers Vertrauen aufzubauen.
Punkt 2: Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob Dir überhaupt klar ist, was mit dem Begriff des „moral hazard“ bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um einen Begriff der „Neue Institutionenökonomik“, der Anreize zu einem Fehlverhalten bezeichnet (z.B. Trennung von Handlung und Haftung).
Welchen Sinn macht denn in diesem Zusammenhang bitte der Satz „Denn kaum dass die Eurokrise sich ein wenig beruhigt hat, und die Geberländer ihre Schäflein (sprich: ihre Banken) ins Trockene gebracht haben, wollen sie nicht mehr helfen – und noch weniger reformieren.“? Was soll das denn für eine „moral hazard“ Situation bitte schön sein??? -Grober Unfug!
Eigentlich ist noch einiges mehr zu schreiben (zu fast jedem Deiner Sätze). -Vielleicht später… Grüße
ebo
21. Januar 2014 @ 17:25
@Tim @Johannes
Sorry, Ihr rafft es immer noch nicht. Sobald eine DEUTSCHE oder meinetwegen auch französische Bank eine Träne rausdrückt, kommt Europa mit Hilfen. Sie gehen zwar formal in das Land, das gerade in der Krise steckt, fließen aber an Deutsche Bank, West LB, Allianz & Co. zurück. So sichern „wir“ die verunglückten Investitionen „unserer“ Banken im Süden ab. So lief das in Griechenland, Irland und Spanien. Doch wehe dem, der keine oder kaum deutsche Investitionen vorweisen kann. Dort wird nicht mehr geholfen, sondern knallhart abgewickelt – siehe Zypern. Schließlich ging es da ja nur um „russisches Schwarzgeld“ – auch so eine Lüge made in Germany (BND/SPON)
Hannes
21. Januar 2014 @ 18:08
„, fließen aber an Deutsche Bank, West LB, Allianz & Co. zurück. So sichern “wir” die verunglückten Investitionen “unserer” Banken im Süden ab.“
schon richtig. Wenn man allerdings davon ausgeht, dass die EWWU einen Zusammenschluss souveräner Staaten darstellt, die logischerweise ihre eignen nationalen Interessen verfolgen (sind halt Nationalstaaten), ist das Verhalten doch höchst rational, oder nicht?
ebo
21. Januar 2014 @ 18:24
Nö, es nennt sich WährungUNION, die Zentralbank ist FÖDERAL aufgebaut, deshalb wäre auch eine GEMEINSAME Haftung logisch. Das wäre der Schritt von der Wirtschafts- und Währungs- zur politischen und sozialen Union. War unter Delors und Tietmeyer noch selbstverständlich. Doch den wollten Merkel & Co. nicht mitgehen. Jetzt reden sie sich mit „Moral hazard“ raus. Sprich doch mal mit den Leuten aus dem Kanzleramt oder dem BMF…
GS
21. Januar 2014 @ 20:04
Stimmt nur zum Teil. Wenn ich mich recht entsinne, haben wir zusätzlich ziemlich viel Geld in die Hand genommen, um verschiedene deutsche Banken rauszuhauen (Commerzbank, Landesbanken etc.). Wo war da eigentlich die großzügige europäische Unterstützung?
Tim
21. Januar 2014 @ 21:54
Vollkommen richtig. Schön, daß wir in diesem Punkt übereinstimmen.
Johannes
21. Januar 2014 @ 16:36
Vielen lehnen Euro-Bonds ab, weil ALLE Versprechen und Gesetze beim Euro gebrochen wurden. Wer ist denn bereit, auf sein Leben zu schwören, dass Gesetze zu Euro-Bonds oder zur Transferunion plötzlich, ausnahmsweise EINGEHALTEN werden? Was passiert, wenn bei der Transferunion WIEDER betrogen wird, wird der Euro aufgelöst, wird es Krieg geben, was passiert dann??? Und Bankenunion ist der feuchte Diktaturtraum eines jeden Banksters. Hier wird Lobbyarbeit für Bankster gemacht.
Tim
21. Januar 2014 @ 16:56
@ Johannes
Ja, sehe ich auch so. Sobald eine Bank eine Träne rausdrückt, kommt Europa mit einem Taschentuch aus Gold. Die Eurozone, das Kasino mit Gewinngarantie. Banker, bedient Euch!
ebo
21. Januar 2014 @ 15:29
@GS
Nun ja, bei Irland leuchtet das noch einigermaßen ein. Aber was ist mit Frankreich? Es hat eine negative Leistungsbilanz, kommt aber trotzdem spielend an frische Kredite. Meiner Meinung nach spielen die Liquidität des Marktes und seine institutionelle Absicherung eine große Rolle, neben den neoliberalen Vorlieben, die Irland seit je bevorzugen (bei den irischen Körperschaftssteuern und Datenschutzgesetzen kein Wunder). Mehr Liquidität und mehr Sicherheit schafft man aber durch gemeinsame Anleihen und einen „Lender of last resort“…
Tim
21. Januar 2014 @ 16:09
Fight fire with fire! 🙂
ebo
21. Januar 2014 @ 16:14
No, stop the guys who set the house on fire (and are profitting)
mira
21. Januar 2014 @ 16:33
Interessant,
und wieder einmal gibst du eine Begründung, die dem was du da oben geschrieben hast, irgendwie komplett widerspricht.
Andererseits:
„negative Leistungsbilanz“ „kommt spielend an frische Kredite“ „institutionelle Absicherung“, das ist ganz nach ebos Geschmack
GS
21. Januar 2014 @ 20:02
Liquidität des Marktes spielt sicher eine Rolle. Aber der Unterschied zwischen Frankreich und Irland sowie den anderen Krisenländern ist, dass in Frankreich die Leistungsbilanz nicht so aus dem Ruder gelaufen ist und Frankreich auch nicht einen derartig aufgeblähten Bankensektor hat. In Irland lag das Defizit zu Beginn der Krise bei über 5% des BIP, in Spanien, Portugal und Griechenland bei 10 % und mehr. In solche Dimensionen ist Frankreich bisher ja nicht einmal ansatzweise gekommen. In Frankreich zeichnet sich die Leistungsbilanz eher durch eine sehr langsame, aber dennoch stetige Verschlechterung des Saldos aus. Es ist aber erst auf dem Niveau Amerikas oder Großbritanniens. Es ist also noch Luft, bis die Bondhalter unruhig werden.
PS: Lender of last resort kann Irland ja gerne haben. Mit einer nationalen Währung. Ich weiß, dass das die EZB nicht interessiert, aber ich lehne jede Haftung für das Wirtschaftsgebahren anderer Länder strikt ab.
GS
21. Januar 2014 @ 14:27
ebo, da gibt es eine ganz gute Erklärung. Du brauchst Dir nur mal die Leistungsbilanz Irlands anschauen – zum Zeitpunkt, als Irland in die Krise rutschte und diese vergleichen mit heute. Danach noch die irische Leistungsbilanz von heute mit derjenigen der USA kontrastieren, und es dürfte relativ schnell klar sein, warum Irland heute wieder günstig an Geld kommt. Rein bezogen auf die Kreditwürdigkeit eines Landes hat die „neoliberale“ Strategie sehr wohl funktioniert, was nicht bedeutet, dass nicht auch riesige Probleme entstanden sind.
anders wählen
21. Januar 2014 @ 11:30
Herr Bonse,
was ich ihrerseits misse: wieso schauen Sie ständig auf die bereits stark gebeutelten deutschen Portemonnaies? Wieso fordern Sie nicht daß endlich mal die Superreichen in Griechenland, Italien, Spanien, und auch Frankreich zur Kasse gebeten werden? So übersteigen die Vermögen in Griechenland die dortige Staatsschuld bei weitem.
Frankreich hat weniger EInwohner als Deutschland und dennoch absolut mehr Vermögen. http://www.querschuesse.de/vermogensentwicklung-in-der-krise-teil-2-gewinner-und-verlierer-der-euro-krise-im-klub-der-reichsten-lander/.
Wenn Sie fordern daß Deutschland Transfers leisten soll, wissen Sie genau wer dieses Deutschland sein wird: wieder die Masse im bereits arg gebeutelten Mittelstand mit der Begründung, dieser hätte über seine Verhältnisse gelebt. Es reicht!
Der Euro ist zum großen Nachteil der Menschen in Deutschland. Profitiert haben Großkonzerne und Banken, und wenn man bedenkt daß die Mehrheit der Aktien der profitierenden DAX-Unternehmen in Auslandsbesitz ist, hat die Behauptung, Deutschland wäre großere Gewinner, kurze Beine. Man muss nur auf die Schweiz schauen und das Lebens- und Wohlstandsniveau vergleichen.
Der Euro an sich bedeutet schon einen gewaltigen Kaufkrafttransfer bezahlt durch die deutsche Bevölkerung. Die Deutschen zahlen viel zu viel für Importware, die PIIGSF viel zu wenig. Wer profitiert wirklich vom Euro in Europa?
Tim
21. Januar 2014 @ 11:30
Der Moral Hazard droht von anderer Seite. Die ganze Welt geht – nicht zu unrecht – davon aus, daß die Eurozone immer gern mit Steuergeldern einspringt, wenn es Probleme gibt. Ganz unabhängig davon, was nun gerade vereinbart ist oder nicht und wer unter einem Schutzschirm ist oder nicht.
Peter Nemschak
21. Januar 2014 @ 09:02
Möglicherweise werden Irland und Spanien deshalb von den Märkten wieder versorgt, weil sie am neoliberalen Kurs festhalten. Welchen Kurs würden sie bei einem Schuldentilgungsfonds verfolgen? Auch ein Schuldentilgungsfonds wäre keine bedingungslose Geldquelle.
Peter C
21. Januar 2014 @ 08:39
Schulden und Schuldenhaftung gehören zusammen, das gilt für private Schulden genauso, wie für Staatsschulden! Und natürlich entstehen moralische Verwerfungen, wenn andere für selbst verursachte Schulden haften müssen. Ich halte zwar überhaupt nichts von Schäuble aber da hat er recht.