Mit den Waffen der Wirtschaft
Wer sich mit der EU anlegt, bekommt es nicht nur mit Brüssel zu tun. Auch die Wirtschaft reagiert – und zwar immer schneller und immer heftiger. Schon drei EU-Länder mussten dies schmerzlich erfahren.
Der jüngste Fall spielt sich gerade in Katalonien ab. Seit dem Unabhängigkeits-Referendum haben schon 1700 Unternehmen ihren Sitz nach Spanien verlegt. Ein Sondergesetz der Regierung in Madrid macht’s möglich.
Zwei Jahre zuvor hatten wir ein ähnliches Phänomen in Griechenland. Damals drehte die EZB den griechischen Banken den Geldhahn zu, um die Syriza-Regierung auf Linie zu bringen. Auch das hatte den Effekt einer Bombe.
Nicht ganz so massiv, aber spürbar ist auch die Türkei unter wirtschaftlichen Druck geraten. Um Sultan Erdogan in die Schranken zu weisen, haben Berlin und Brüssel die Modernisierung der Zollunion aus Eis gelegt.
Gemeinsam ist diesen drei Beispielen, dass die EU-Politik auf die Waffen der Wirtschaft setzt. Wohlverhalten wird belohnt, unerwünschtes Verhalten massiv abgestraft – und zwar so, dass es an die Existenz geht.
Dabei greift man nicht auf Sanktionen zurück, was unter EU-Partnern auch kaum möglich wäre, sondern auf kleine, aber schmerzhafte Daumenschrauben, die oft nur Insidern bekannt sind.
Ist das legal? Bisher ja. Jedenfalls hat die EU-Kommission – die Hüterin der Verträge – bisher nichts gegen diese Art des Wirtschaftskriegs gesagt. Sie spielt sogar aktiv mit.
Ist es auch legitim? Das ist eine andere Frage. Denn damit kommen wir in den Bereich der Politik – während hier ja gerade mit scheinbar unpolitischen Waffen gekämpft wird!
Fest steht, dass diese neue Form der Kriegsführung sehr viel mit Globalisierung und neoliberaler Standort-Politik, jedoch sehr wenig mit Demokratie und liberaler Diskurspolitik zu tun hat.
Fest steht auch, dass die Katalanen einen hohen Preis für ihre Sezession zahlen. An ihnen wird ein Exempel statuiert, von dem sie sich nicht so schnell erholen werden. Honni soit qui mal y pense. …
der oekonomiker
1. November 2017 @ 18:27
Für alles, was gerade in Europa und/oder der Welt passiert, hat der Volksmund schon vor Jahrzehnten eine kurze, treffende Beschreibung gefunden: Geld regiert die Welt. Nichts anderes. Demokratie, Menschenrechte und die anderen netten Errungenschaften, sind nur ein schicker Mantel, unter dem sich zahllose menschenverachtende Schweinereien verbergen (lassen). Er gibt den 99% das trügerische Gefühl, mitbestimmen zu dürfen. Während das reiche und mächtige 1% sich die Welt nach seinen Vorstellungen herrichtet. Tatkräftig unterstützt von Politik und (Leit-)Medien. Unsere PolitikerInnen haben offensichtlich eine seltsame Vorstellung davon, das Volk zu vertreten. Und die Journalisten vergessen ihre Verpflichtung als „vierte Gewalt“.
Peter Nemschak
2. November 2017 @ 09:08
Ich fürchte, Sie tun sich mit dem Prozentrechnen schwer. Ihr 1% ist zumindest 50%, ziemlich sicher sogar mehr. Politikwissenschaftler haben festgestellt, dass die Identitätsthematik eindeutig Vorrang vor der sozialen hat. Das starke Abschneiden des Rechtspopulismus und umgekehrt die schwachen Ergebnisse der Linken sprechen für diesen Befund. Machen wir uns nichts vor, unsere Gesellschaft ist stark individualisiert. Warum soll sich das ändern? Unterschiedliche Weltanschauungen prallen aufeinander. Das wurde beim BREXIT deutlich und ist auch anderswo zu spüren. Wer mehr Solidarität will, muss die Kommunen und die Zivilgesellschaft stärken und sich in ihr engagieren.
Peter Nemschak
1. November 2017 @ 08:23
Die Vorteile aus der wirtschaftlichen Integration sind wahrscheinlich das stärkste Bindemittel der EU. Ähnliches gilt für die globale Vernetzung. Ohne diese wären viele als selbstverständlich erachtete Gegenstände unseres Alltags nicht leistbar. Dass die Auswirkungen von wirtschaftliche Maßnahmen auf die Türkei bisher nur relativ gering spürbar waren, hängt mit der Größe des dortigen Binnenmarkts zusammen, der vorübergehend als Puffer wirkt, aber eben nur vorübergehend.