Merkels Mea Culpa – und was fehlt
Zum Jahrestag ihrer “Wir schaffen das”-Ansage hat Kanzlerin Merkel Fehler in der Flüchtlingspolitik eingeräumt. Ihr Interview mit der “SZ” enthält einige gute Einsichten – aber das Entscheidende fehlt.
Man habe Spanien und andere Südländer zu lange mit den Flüchtlings-Problem allein gelassen, räumt Merkel ein. Auch habe sich Deutschland zu lange gegen gemeinsamen Grenzschutz gesträubt.
Wohl wahr! Noch Anfang 2015 vertrat Merkel die Auffassung, die Krise im Mittelmeer ginge sie nichts an, Deutschland sichere seine Grenzen an den Flughäfen, die anderen sollten ihre “Hausaufgaben” machen.
Doch auch nach der Öffnung der Grenzen im Herbst 2015 war Deutschland nicht so vorbildlich, wie nun gerne behauptet wird. Schweden war schon viel weiter – dort wurde die Willkommenskultur erfunden, nicht in Deutschland.
In Schweden hätte Merkel auch sehen können, dass sich offene Grenzen auf Dauer nicht halten lassen. Stattdessen setzte sie im Alleingang die Schengen- und Dublin-Abkommen außer Kraft.
Dublin sei “de facto” tot, hieß es damals, Europa brauche sichere Grenzen und einen legalen Zugang für Flüchtlinge. Weder das eine noch das andere wurde erreicht. Stattdessen wurde Dublin restauriert.
Im Grunde stehen wir in der Flüchtlingspolitik jetzt wieder da, wo wir vor einem Jahr waren: Die Migranten kommen weiter, nur über gefährlichere Routen, und am Brenner ist Schluß.
Merkel hat zwar ein Mea Culpa abgelegt, doch in Europa hinterlässt sie einen Scherbenhaufen. Die Briten sind nicht zuletzt wegen ihrer Politik ausgetreten. Und nun sind wir auch noch von der Türkei abhängig…
GS
2. September 2016 @ 12:09
Was fehlt ist Merkels Rücktritt.
Ute Plass
2. September 2016 @ 16:03
@GS: “Was fehlt ist Merkels Rücktritt.”
Es dürfte zu kurz gesprungen sein, davon auszugehen, dass mit Merkels Rücktritt
die zu beklagenden Probleme aus der Welt geschafft wären. Die Personalisierung von gesellschaftspolitischen Verhältnissen lenkt eher von systemischen Verwerfungen ab, hinter denen nicht alleine eine Frau Merkel steht. Die Macht/Herrschaftsfrage ist mit Frau Merkels Abgang nicht beantwortet.
Skyjumper
2. September 2016 @ 21:27
Da stimme ich Ihnen grundsätzlich zu. Allerdings verkörpert Frau Merkel den Politikstil der zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Verhältnissen geführt nicht nur auf’s allerfeinste, sie hat die Veränderungen wesentlich forciert. Ein möglichst unangehmer Sturz von Frau Merkel KÖNNTE daher ein 1. Schritt in die richtige Richtung sein.
Illoinen
1. September 2016 @ 16:56
Solange Deutschland und der Westen mit seinen insgesamt 10% der Weltbevölkerung, aber 40 % der weltweiten Ressourcen verbraucht, an den Lebenslügen festhält, wird der Westen die 7 Milliarden Menschen nicht aufhalten, wenn sie weiterhin eine Kolonialpolitik betreibt. Der Westen soll nicht so tun, als wenn das Elend der Welt nichts mit dem Drohnen Bomben und Wirtschaftsterror zu tun hätte. Der Westen ist verantwortlich für Völkerrechtswidrige Kriege auf Grund von Lügen, die Destabilisierung von vielen Ländern, Ausbeutung und Kolonialismus gehörten schon immer dazu. Wie schrieb doch Jean Ziegler in seinem Buch treffend: “Der Westen ein Imperium der Schande”. NS Deutschland tötete 56 Mio. in 6 Jahren, das schafft der westliche Neoliberalismus locker in einem Jahr.
Peter Nemschak
1. September 2016 @ 17:48
Sie vergessen, dass in den letzten Jahren hunderte Millionen von Menschen in der Dritten Welt bitterster Armut entkommen sind. Man darf auch die positiven Seiten der Globalisierung nicht übersehen. Sie neigen dazu, die Welt ein wenig einseitig durch die neomarxistische Brille zu sehen.
Skyjumper
31. August 2016 @ 17:42
Wenn ……. wüchse …… weil…….. dann: Ist aber nicht, also auch derzeit keine Überlegung wert. Was die bisherigen Primärzielländer anbelangt haben Sie zwar recht, aber erstens kann sich das sehr schnell ändern, und zweitens wird das einem Briten wenig imponieren der jeden 2. Tag in Funk und Fernsehen etwas über die unhaltbaren Zustände in Calais erzählt bekam. Der sah die Migranten doch schon förmlich an seinem Frühstückstisch hocken. Richtig sind auch Ihre Hinweise betreffs gerade auch der handwerklichen Berufe in GB. Das betrifft übrigens auch Irland. Aber aus menschlich nachvollziehbaren Gründen wird der typische Brite aus eben diesen Schichten diesem Argument kaum zugänglich sein.
“Dieser Vorwurf betrifft aber auch die Vorgängerregierungen vor Merkel und alle jene Bürger, die den Kopf in den Sand gesteckt und geleugnet haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei.”
Das können Sie nur aus einer Perspektive so sagen. Nämlich mit der, die es zum Ziel hat Deutschland unter vernünftigen Bedingungen zu einem Einwanderungsland zu machen. ICH möchte keine Einwanderer in Deutschland. Ich leugne zwar nicht das aufgrund einer fragwürdigen Politik Menschen nach Deutschland ziehen (teils gelockt werden), aber deswegen ist es ja nicht meine Aufgabe dafür zu sorgen dass dafür auch noch Verbesserungen der gesetzliche Rahmenbedingungen (wie z.B. ein Einwanderungsgesetz) geschaffen werden. Im Gegenteil: Bei meiner Zielsetzung ist es eher meine Aufgabe alles zu verhindern was einem weiteren Zuzug Vorschub leistet.
Es handelt sich hier nicht um Vogel-Strauß-Verhalten, sondern um eine Frage des Ziels. Und das kann bekanntlich bei unterschiedlichen Menschen unterschiedlicher Natur sein.
Peter Nemschak
1. September 2016 @ 08:00
Was war aus Ihrer Sicht die fragwürdige Politik Österreichs, dass mittlerweile die größte Einwanderungsgruppe aus Deutschland kommt ? Österreich hat sie bisher (gut) überlebt.
Skyjumper
1. September 2016 @ 17:04
@ Peter Nemschak
Ich verfolge die Politik in Österreich nicht intensiv genug um Ihnen darauf eine qualifizierte Antwort geben zu können. VERMUTEN würde ich jetzt einfach mal dass die (relativ) große Gruppe deutscher Einwanderer nach Österreich mit aktiver Politik wenig zu tun hat, sondern seine Gründe in der gemeinsamen Grenze und der doch vergleichsweise sehr ähnlichen Kultur und Sprache hat.
Eine weitere Rolle dürfte auch der starke Größenunterschied in der Bevölkerungszahl spielen. Per Saldo hatte Österreich in den letzten Jahren ein Einwanderungsplus von rund 50.000 per anno? Was bei knapp 9 Mio. Einwohnern nicht wenig ist. Da wären 5-10.000 Deutsche schon eine sehr große Gruppe. Während umgekehrt 5-10 K Deutsche natürlich wenig sind bei 80 Mio. Gesamtbevölkerung.
Dunkel meine ich auch zu erinnern dass es in Österreich ein Einwanderungsgesetz gibt das sich speziell an Fachkräfte richtet. Da haben Deutsche natürlich auch recht gute Karten. Um es allerdings auf den Punkt zu bringen: Auch diese Wanderungsbewegung halte ich nicht für richtig, bzw. erstrebenswert. Da ich kein Österreicher bin interessiert sie mich aber weniger.
Peter Nemschak
31. August 2016 @ 16:06
@Skyjumper Wenn die Bevölkerung in der EU ohne Migranten in den nächsten Jahren wüchse, weil sich zum Beispiel die Polen überdurchschnittlich vermehren, wäre für das UK dasselbe Problem gegeben: mehr Bevölkerungswachstum in der EU könnte auch mehr Binnenwanderung in Richtung UK bedeuten. Nachdem die meisten Flüchtlinge aus dem Nahen Osten in Deutschland und Schweden bleiben wollen, wäre die Befürchtung des UK unbegründet. Das UK sollte sich fragen, warum es für osteuropäische Binnenwanderung attraktiv ist. Möglicherweise hat das UK zu wenig ausgebildete Arbeitskräfte, insbesondere in handwerklichen Berufen. Englische Handwerker haben bekanntermaßen einen schlechten Ruf was ihre Arbeitsqualität und Motivation betrifft. Was man Merkel vorwerfen kann ist, dass sie sich bis dato gegen eine jährliche Obergrenze für Zuwanderung gewehrt hat und dass Deutschland als demografisch bedingt natürliches Einwanderungsland bis jetzt keine intelligente Einwanderungspolitik umgesetzt hat. Dieser Vorwurf betrifft aber auch die Vorgängerregierungen vor Merkel und alle jene Bürger, die den Kopf in den Sand gesteckt und geleugnet haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei.
Peter Nemschak
31. August 2016 @ 10:25
Sichere Grenzen und legaler Zugang sind ein Wunschtraum angesichts der grundsätzlich unterschiedlichen Haltungen der Mitgliedsländer. So sind wir halt wieder dort angelangt, wo wir vor einem Jahr waren, allerdings nicht ganz. Der Flüchtlingsstrom nach Deutschland und Österreich hat stark nachgelassen. Immerhin ein nicht ganz so kleiner Fortschritt. Ich halte es für falsch Merkel für alles verantwortlich zu machen. Das jahrelange Zuschauen und Nichtstun der anderen großen Mitgliedsländer war gewichtig mitverantwortlich für die heutige Situation. Dass sich Deutschland bisher erfolgreich gegen einen finanziellen Einheitsbrei in der EU und damit Verantwortungslosigkeit der Mitgliedsstaaten gewehrt hat, kann wohl kein Grund für den BREXIT gewesen sein.
Skyjumper
31. August 2016 @ 11:55
“Dass sich Deutschland bisher erfolgreich gegen einen finanziellen Einheitsbrei in der EU und damit Verantwortungslosigkeit der Mitgliedsstaaten gewehrt hat, kann wohl kein Grund für den BREXIT gewesen sein.”
Nein, das bestimmt nicht. Aber @ebo sprach ja auch von der Migrationsproblematik, und nicht von finanziellen Aspekten. Und das GB der Meinung war/ist, bereits mit den europäischen Migranten (hauptsächlich Polen) und den Migranten aus dem Commenwealth (Inder, Pakistanis etc.) genügend zu tun zu haben, war sehr wohl ein Grund dafür Merkels Flüchtlingspolitik abzulehnen und lieber für “leave” zu stimmen.
Peter Nemschak
31. August 2016 @ 14:02
Der Großteil der Flüchtlinge war schon angekommen, bevor Merkel die Schleusen geöffnet hat. Die Weigerung vieler Staaten Flüchtlinge im Wege der Umverteilung aufzunehmen, spricht eher gegen diese Staaten als gegen Merkel. Der Knackpunkt beim BREXIT dürfte der Umstand gewesen sein, dass das UK die bedingungslose Personenfreizügigkeit innerhalb der EU ablehnt. In diesem Punkt darf die EU bei den kommenden Verhandlungen nicht nachgeben, um den gemeinsamen Wirtschaftsraum nicht zu gefährden.
Skyjumper
31. August 2016 @ 14:43
“Der Knackpunkt beim BREXIT dürfte der Umstand gewesen sein, dass das UK die bedingungslose Personenfreizügigkeit innerhalb der EU ablehnt.”
Genau. Deswegen mein expliziter Hinweis auf die relativ hohe Zahl von Polen die in GB, dank der Personenfreizügigkeit, ihr Glück suchen. Aber die Briten sind nicht blöd. Es reicht wenn 1 einziger Staat innerhalb der EU (z.B. Deutschland) unbegrenzt Migranten aufnimmt dann könnten diese nach einer gewissen Zeit dank genau derselben Personenfreizügigkeit überall in der EU landen, eben auch in GB. Nicht umsonst würde man Merkel in vielen EU-Mitgliedsländern am liebsten mit einem 100 kg Betongewicht am Fuss zum Baden einladen.
“Der Großteil der Flüchtlinge war schon angekommen, bevor Merkel die Schleusen geöffnet hat.”
Das ist (bezogen auf DE) definitiv falsch. Bis zu diesem folgenschweren 5. Sep. 2015 waren etwa 300-350.000 Migranten nach DE gekommen. Vom 05.09. bis Jahresende dann nochmal ca. 650-700.000. Das ist ja wohl eine mehr als deutliche Gewichtung. Bezogen auf die Überschreitung der europäischen Aussengrenzen mag das Verhältnis vorher vs. hinterher nicht mehr ganz so krass sein, da verfüge ich auf die Schnelle über keine Zahlen.
paul7rear
1. September 2016 @ 10:04
@Nemschak
Die sinnentleerte Floskel “Wir schaffen das” ist tatsächlich nur eine Adaption von Obamas “Yes, we can”, auch hier reicht es nur zum nachplappern, Kreativität Fehlanzeige.
Wird bilanziert was Kohls Mädchen bereits geschafft hat verbleibt bestenfalls ein übel stinkender Stallgeruch. Ich verstehe bis heute nicht, dass eine ehemalige Umweltministerin in deren Verantwortung der größte Umweltschaden (Endlager Asse) in der Geschichte der BRD fällt noch Fürsprecher erhält.
Was einige retrograde Amnesie nennen ist bei anderen selektive Wahrnehmung, vielleicht erklärt sich so der Fanclub von der lieben Angela.