Merkels Lob, Lindners Schatten
WATCHLIST 29.09.17 – Überraschung! In Tallin hat sich Kanzlerin Merkel zu den Visionen von Frankreichs Macron bekannt und auch die Reformpläne von Kommissionschef Junker begrüßt.
Zwar hat sie sich nicht festgelegt, wie üblich bei der Dame. Dennoch dürfte interessant sein, zu sehen, wie nun FDP-Chef Lindner und die Grünen auf ihren ersten EU-Auftritt nach der Wahl reagieren.
Lindners Europa-Botschafter Graf Lambsdorff hatte sich zuletzt für eine bessere Abstimmung mit Macron ausgesprochen. Andererseits will die FDP nun ja das Finanzministerium übernehmen.
Wie passt das alles zusammen? Täuscht Merkel nur Zustimmung vor, um in der EU nicht als Spielverderberin dazustehen? Kann es sein, dass sie einen Finanzminister ernennt, der Macrons Pläne dann wieder durchkreuzt?
Fragen über Fragen, die nun auch Brüssel umtreiben. Fest steht nur, dass man hier Noch-Finanzminister Schäuble kaum eine Träne nachweint – und versucht, Deutschland auf EU-Reformkurs zu halten!
Mehr zum Druck auf Deutschland hier, zu Schäuble hier, zu den verschiedenen Reformideen hier.
Erste Weichen für die nächsten vier Jahre werden auch beim Digitalgipfel gestellt, den die EU am Freitag in Tallin abhält. Dabei geht es unter anderem um den Ausbau des schnellen Internets und die Sicherheit vor Cyberangriffen.
Für Streit dürfte ein Vorstoß Frankreichs, Deutschlands und anderer Länder zur Besteuerung globaler Internetfirmen wie Apple, Google oder Amazon sorgen.
Der Vorschlag, künftig den Umsatz statt den Gewinn der Unternehmen zur Steuerberechnung heranzuziehen, trifft bei einigen EU-Ländern auf Widerstand.
Vor allem Apple-Sitz Irland mauert, auch die Steuerparadiese Luxemburg und Holland haben Bedenken. Immerhin hat sich FDP-Lindner nicht auch hier schon quer gestellt – aber das kann ja noch kommen!?
Denn in Tallin soll es keine Beschlüsse geben – Lindners Start-up-Partei kann sich also noch einschalten…
Peter Nemschak
29. September 2017 @ 11:34
Am Ende wird es einen Kompromiss geben und das Projekt EU wird wieder ein Schrittchen voran machen. Dass die Grünen und FDP bereits die Ministerien in der zukünftigen deutschen Regierung unter sich aufteilen, ist putzig aber doch etwas verfrüht. Merkel wäre dumm, sich bereits jetzt durch Festlegungen mögliche Optionen nehmen zu lassen. Die Vertreter der Kommission dürfen sich nicht der Illusion hingeben, zu viele neue Kompetenzen zu bekommen. Dafür weht der nationalstaatliche Wind quer durch die EU zu stark. Im großen Stil mehr Schulden, um Reformen zu vermeiden, wird es angesichts der Kräfteverhältnisse wohl nicht geben, ebenso wenig den Euro für alle. Ökonomen, die Zentral- und Osteuropa beforschen, haben festgestellt, dass nicht für alle mittel- und osteuropäischen Staaten die Einführung des Euro wirtschaftlich vorteilhaft wäre. Der Euro als politisches Einheitsprojekt wäre wider die ökonomische Vernunft.