Im Zickzack nach Afrika
Nach dem Minigipfel in Paris verspricht Kanzlerin Merkel eine weitere Wende in der Flüchtlingspolitik. Diesmal sollen Kontingente für legale Einwanderung aus Afrika geschaffen werden. Was soll man davon halten?
In Wahrheit liegt der Akzent weiter auf Abschottung. Nach der Türkei und Libyen soll nun auch noch Zentralafrika als Türsteher dienen. Merkel schwenkt damit auf die französische Linie.
Denn Frankreich versucht schon seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, Nord- und Zentralafrika zum Vorhof seiner Interessen auszubauen. Altkanzler Kohl wollte das nie, Merkel macht mit.
Ihre gesamte Migrations-und Flüchtlingspolitik ist eine einzige Geschichte der Irrungen und Wirrungen. Hier ein paar Stichworte, die den prinzipienlosen Zickzack-Kurs markieren:
- Merkels Amtsbeginn: Deutschland ignoriert Flüchtlings-Probleme in Südeuropa, verweist auf Dublin
- 2008: Deutschland blockiert die von Frankreich geforderte Mittelmeerunion, konzentriert sich auf Osteuropa
- 2015: Deutschland zwingt Griechenland in neuen Bailout – und das mitten in der neuen Flüchtlingskrise
- Herbst 2015: Deutschland öffnet seine Grenzen für Flüchtlinge – und das ohne Absprache mit der EU
- Anfang 2016: Deutschland dealt mit der Türkei – um die Flüchtlingsbewegung wieder zu stoppen
- 2017: Deutschland will Dublin wieder haben – und Flüchtlinge nach Griechenland zurückschieben
- Heute: Deutschland schmiedet mit Frankreich und anderen Mittelmeerländern Pläne für Afrika
Bleibt die Frage: Was kommt als Nächstes? Hat sich Merkel in irgendeiner Weise festgelegt? Wissen wir wirklich, was sie nach der Wahl anders – oder sogar besser – machen wird?
Kleopatra
30. August 2017 @ 01:00
Mich persönlich erinnert Merkels Regierungstechnik immer mehr an linientreue Ostblock-Regierungschefs. Die hatten auch drauf, wie sie einerseits in der Praxis schrankenlos opportunistisch und brutal auf ihre eigene Macht als einziges Ziel fixiert beim Regieren oben geblieben sind, und andererseits haben sie diesen prinzipienlosen Opportunismus mit harten ideologischen Bandagen bemäntelt, so dass niemand sie kritisieren konnte, ohne ein Reaktionär zu sein.
Peter Nemschak
30. August 2017 @ 10:25
Politiker sind auf die Qualität des Materials (=Gesellschaft, Wähler) angewiesen, das sie zur Verfügung haben. Deutschlands Führungsrolle in der EU wird, um ein Beispiel zu nennen, dadurch begrenzt, dass die Mehrheit der Deutschen diese nur sehr widerwillig bereit ist zu übernehmen. Wer mehr Wandel betreibt, als die Gesellschaft bereit ist zu akzeptieren, stürzt politisch ab. Nachdem die Mehrheit für Beibehaltung des status quo ist, sind die Handlungsmöglichkeiten sehr zum Leidwesen jener, die sich eine andere Gesellschaft wünschen, beschränkt. Was hätten Sie sich zum Beispiel von einer deutschen Bundeskanzlerin oder Bundeskanzler in den letzten Jahren erwartet?
Peter Nemschak
29. August 2017 @ 20:45
@ebo Sarkozy war ein Flop. Da kann man schwer dagegen argumentieren. Mir sind Politiker lieber, die, wenn notwendig, ihren Kurs korrigieren, als stur an etwas festzuhalten, was nicht haltbar ist. Letztlich setzt der Wille der Wähler den Politikern Grenzen. Wenn die Mehrheit für den Erhalt des status quo ist, ist auch der Spielraum für Veränderungen beschränkt. Die Nachfrage nach Gesellschaftsveränderern ist derzeit in Deutschland eher beschränkt.
ebo
29. August 2017 @ 20:48
Merkel ist die größte Gesellschaftsveränderin der letzten Jahrzehnte. Sie hat die deutsche Gesellschaft seit 2015 grundlegend verändert – und sich sich dessen offenbar nicht einmal bewußt… Sie macht linke SPD-Politik und wirbt um rechte AfD-Wähler. Auf Dauer kann das nicht gutgehen; sie hat Glück, dass die deutschen Massenmedien handzahm geworden sind. Einem Kohl hätte man das nicht durchgehen lassen, Schröder ist schon über Hartz gestürzt…
Kleopatra
29. August 2017 @ 22:56
Eine Vermutung: Um Merkel zu kritisieren, müssten viele das Gegenteil von dem sagen, was sie lange Zeit vertreten haben. Wer jahrelang Großzügigkeit gegenüber einzelnen Asylbewerbern gefordert hat, wird zum Beispiel Schwierigkeiten haben, zunächst zu denken, und dann öffentlich zu argumentieren, dass und weshalb Merkel sich ab September 2015 falsch verhalten hat.
Interessante Einzelfälle, die als Ausnahmen die Regel bestätigen, gab es. Z.B. wurde noch im Herbst 2015 in der taz in Kommentaren die Meinung vertreten, dass eine Verteilung von Asylbewerbern in der EU nur durchgesetzt werden könne, wenn das deutsche Asylrecht abgeschafft würde; oder dass eine jährliche Höchstgrenze bewirken könne, dass man auch noch in einigen Jahren bei Bedarf Flüchtlinge aufnehmen könne.
GS
29. August 2017 @ 23:02
Aber warum lasst Ihr Medienmacher ihr das durchgehen? Du bist doch bestimmt mit vielen Kollegen bekannt, ebo. Was ist da nur los? Mich würde wirklich brennend interessieren, warum die deutschen Medien, ob öffentlich oder privat, Merkel so vollkommen undistanziert und kritiklos gegenüber stehen.
ebo
29. August 2017 @ 23:11
Gute Frage. Obwohl ich viele Journalisten kenne, kann ich es mir auch nicht erklären. Der Merkel Hype wird vor allem in Berlin genährt, und da herrscht offenbar großer Gruppendruck. Früher haben Hamburg (Spiegel) und Köln (WDR) dagegen gehalten, doch heute fallen sie weitgehend aus. Bezeichnend ist, dass BILD zum Leitmedium werden konnte. Sogar Juncker & Co. verbreiten dort ihre PR Botschaften…
GS
29. August 2017 @ 16:26
ebo, das kann man auch anders betrachten, z.B. wie ich: Noch mehr Leute aus Afrika nach Deutschland, Wahnsinn.
Peter Nemschak
29. August 2017 @ 14:13
Ohne aktive Afrikapolitik wird die EU der Migrationsströme nach Norden nicht Herr werden. Es ist ein trial and error – Prozess. Abschottung wird nur einigermaßen funktionieren, wenn den potentiellen Migranten eine Perspektive zu Hause geboten wird. Für eine aktive Afrikapolitik bietet sich Frankreich als natürlicher Partner an. Die politische Konkurrenz zu Merkel hat in Bezug auf Migrationspolitik bisher nichts Überzeugendes geliefert. Die von den Wählern den Politikern vorgegebene Hausaufgabe heißt: “wir wollen keine zusätzlichen Migranten bei uns aufnehmen”.
ebo
29. August 2017 @ 17:12
Es ist ein Zickzackkurs ohne Plan und Prinzip. Wenn Merkel sich auf Sarkozys Mittelmeerunion eingelassen hätte, wäre ihr (und uns) viel erspart worden. Nun wird sie auch noch zur „Afrikanerin“, wie man in Frankreich sagt…
Peter Nemschak
29. August 2017 @ 18:55
Wer weiß? War der Migrantenstrom aus Afrika damals absehbar? Außerdem war Sarkozy überhaupt ein ernst zu nehmender Partner? Die Entfernung von Gaddafi, ein von den Franzosen, insbesondere auch deren Intellektuellen, mit Begeisterung verfolgtes Projekt, war eine Fehlentscheidung. Seit damals haben die Russen gegen westliche Initiativen im Sicherheitsrat gestimmt. Kommentatoren überschätzen den Informationsstand der Politiker im Tagesgeschäft. Die Sichtweite ist geringer, die Sachzwänge größer als manche glauben wollen.
ebo
29. August 2017 @ 19:19
Schon damals kamen viele Migranten aus Afrika, vor allem nach Spanien. Schon vergessen? Spanien hat sich dann relativ erfolgreich abgeschottet. Doch Merkels Wende 2015 hat Deutschland zu einem neuen El Dorado für viele Afrikaner gemacht. Deshalb, und nur deshalb, ist Merkel jetzt so aktiv.