Merkels heimliche Agenda
Eine neue „Agenda von Bratislava“ soll die EU vor dem Zerfall retten, sagt Kanzlerin Merkel nach einem Blitzbesuch in Paris. Doch die Agenda ist nicht neu. In Wahrheit verfolgt Merkel ganz andere Ziele.
[dropcap]S[/dropcap]icherheit nach innen und außen, Arbeit und Wohlstand – das sind die Kernpunkte von Merkels „Agenda“. Fast wortgleich hat es am Mittwoch schon Kommissionschef Juncker formuliert.
Dass damit Renationalisierung und Spaltung der EU aufgehalten werden, ist unwahrscheinlich. Sicherheit und Wachstum lassen sich nicht herbeizaubern. Versprechen wurden schon zu viele gemacht.
Natürlich weiß das auch Merkel. Sie weiß auch, dass diese Agenda so gut wie nichts mit dem Brexit zu tun hat, da ging es viel mehr um Migranten und Merkels Grenzöffnung im Herbst 2015.
In Wahrheit verfolgt die Kanzlerin denn auch ganz andere Ziele. Wenn man ihren EU-Trip im Sommer und die danach durchgesickerten Infos analysiert, kommt man auf folgende Agenda:
- Der Brexit soll so spät wie möglich kommen, und wenn, dann so, dass er keinem weh tut. Der Merkantilismus braucht den „englischen Freund“ – London ist im Zweifel wichtiger als Brüssel.
- Balten, Nordeuropäer und Niederländer sollen die Rolle der Briten übernehmen. Merkel möchte ihre neoliberale Agenda weiterverfolgen und die EU ausbremsen, wie es früher Cameron tat.
- Ein Politikwechsel durch Frankreich, Italien oder den „Club Med“ soll verhindert werden. Das war das unausgesprochene Ziel der Merkel-Reise nach Neapel und des Kurztrips nach Paris.
Merkel umarmt die Südländer, um sie von „Unsinn“ abzuhalten, wie es ein ihr nahestehender EU-Experte ausdrückte. Und sie hätschelt die Nordlichter, damit die die britische Bremser-Rolle übernehmen.
Letztlich geht es darum, die Vorherrschaft im deutschen EUropa zu konservieren – zur Not auch gegen Brüssel oder Bratislava. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl, da darf nichts mehr anbrennen…
Andreas M.
6. Oktober 2016 @ 16:29
@Peter Nemschak Die Aussage, Griechenland sei mental ein unterentwickeltes Schwellenland, ist schon ein wenig dummdreist.
Aber nehmen wir einmal an, das träfe zu, dann wäre es bemerkenswert, dass diese wichtige Information auch bei Ihnen schon eingetroffen ist.
Wenn Sie über diese „Schlüsselinformation“ verfügen, dann verfügen natürlich auch seit langem die Deutschen und Französischen Finanzinstitute (und die Bundesregierung) über solch ungemein wichtige Informationen (tatsächlich, in einer kleinen Encyclopedie von 1995 steht unter Griechenland: Strukturprobleme, schwache Wirtschaft, Korruption, etc.).
Nun müssen Sie mir aber erklären, wieso dann Deutsche und Französische Banken 87 Milliarden Euro in dem Land „investiert“ haben, obwohl ein zehnjähriger bei einem Blick in die kleine Encyclopedie sieht, wie gefährlich das ist!
Auch im Hinblick auf das nach 2008 vielbeschworene „systemische“ Risiko dieser Exposures: das können nur die Französischen und Deutschen Bankenaufsichten überwachen (und die Banken selbst), NICHT aber der griechische Kreditnehmer (Endkunde, gr. Banken, gr. Staat). Natürlich war die Verschuldung für Konsum nicht sinnvoll – aber dass muss der Kreditgeber ja prüfen – für das Risiko erhält er ja Zinsen. Und der hatte ja bekannterweise entschieden, dass das mit dem Konsum schon ok sei – bei super Renditen bis 2008 zumindest :- ). Immobilien wurden auch häufig finanziert, und das ist normal und sehr sinnvoll. Aber auch Olympia 2004, Panzer, Hubschrauber, usw.
Was die Militärausgaben angeht, so hat die Audit-Komission hierin den höchsten Anteil an der Verschuldung seit 1990 ausgemacht. Aber auch das war allen bestens bekannt. Noch 2012 hatte Merkel persönlich in Athen darauf gedrängt, dass die Griechen die 200 veralteten Leopard Panzer auch schön bezahlen! Drehte sich um und sprach weiter von Solidarität und „wir lassen Griechenland nicht allein“.
2015 passte es dann gut: die EU-Kommission baut die „zu hohen“ Miltärausgaben der Griechen in ihre Medienkampagne ein („die wollen die Militärausgaben nicht senken“, Anja Breidthard 14.06.2015). Wie es gerade passt.
Im übrigen haben sich Fachleute mit dieser Frage beschäftigt (ich verweise zum Beipiel auf den vorläufigen Bericht der griechischen Audit-Kommission) – und ja – Korruption spielte eine besondere Rolle (Siements, HDW, Thyssen-Krupp, etc.).
Aber Griechenland hatte nach 2001 auch ein sehr hohes Wachstum und konnte sich bis zur Krise problemlos refinanzieren (wie alle Länder der Eurozone). Griechenland war aus den bekannten Gründen das schwächste Glied und wurde das erste Opfer der Bankenkrise. Alle strukturschwachen Länder der Eurozone wurden Opfer der Finanzkrise (die im übrigen noch lange nicht zuende ist)
Was nun? Wer ist mental (und natürlich vor allem moralisch) wirklich „unterentwickelt“? Tickt es so langsam? Wer steht moralisch höher? Ein Landwirt auf der Insel Amorgos (dort finden sie die herzlichsten und arbeitssamsten Bewohner Europas), Merkel (die zwar auch viel Arbeitet, aber vorwiegend nationale Interessen durchsetzt), oder ein deutscher Industrieboss von Siemens, HDW, etc.?
Was den Hinweis auf die „mentalen“ Eigenschaften angeht, neben dem Hinweis, dass ein wenig Demut gut täte, lade ich Sie ein, Griechenland einmal kennenzulernen, denn Autoren wie z.B. Nikos Dimou (der klingt in dem was er schreibt fast schon wie Sie) beschreiben in Wirklichkeit nur einen kleinen Teil des Landes. Ich will nicht alles vom Tisch wischen …
Und glauben Sie nicht alles, was die Leitmedien über Griechenland von sich geben…
Beate
18. September 2016 @ 09:01
Ich fasse die Kritik an den Maastrichtkriterien einmal zusammen:
Die Eurokrise ist keine Haushalts- sondern eine Leistungsbilanzdefizitkrise.
Für das Jahr 2017 plant die Bundesregierung ein Importdefizitziel von 317 Milliarden Euro.
Importdefizitziele lassen sich nur dadurch erreichen, dass die Bürger ständig dazu aufgefordert werden ihre Gürtel enger zu schnallen.
Ende der siebziger Jahre lagen die Nettoreallöhne höher als jetzt.
Durch Importdefizite entstehen zusätzliche Geldvermögen im Inland die sehr ungleich verteilt sind.
Die die den Gürtel enger geschnallt haben werden niemals einen Nutzen aus dem Importdefizit ziehen können.
Denn die derzeit gültigen Maastrichtkriterien lassen höhere Staatsschulden nicht zu.
Ein Verzicht auf Infrastrukturinvestionen, … senkt die Nettolohnzuwachsraten der Zukunft weiter.
Bleibt also nur die Spitzensteuersätze zu erhöhen.
Also eine Vorsorge der Bundeskanzlerin hinsichtlich der demografischen Entwicklung zu treffen, damit die entstandenen Geldvermögen z.B. für höhere Rentenzahlungen an Armutsrentner genutzt werden können. Dazu gibt es keine Überlegungen noch Forderungen aus den Bundestag.
Stattdessen werden die Rentenerwartungen der Arbeitnehmer ständig weiter gekürzt.
Das ist ein politischer Riesenskandal.
Gruppenbezogene Menschenfeindlich und die Verachtung der Armen,
wie sie regelmäßig von Politikern und in den Medien geäußert werden
nützen denen ungemein, die vom Importverzicht durch enorme Geldvermögenzuwächse profitieren.
Nicht nur mit den Griechen die angeblich deutsches Steuergeld verprassen wird von den tatsächlichen Zusammenhängen abgelenkt.
Dazu gehört auch das Gerede vom Staat der das Geld zum Fenster rausschmeißt.
Man kann nicht von jedem erwarten, dass er in der Schule so grundlegende Dinge wie den Wirtschaftskreislauf verstanden hat.
Alle Ausgaben des Staates werden wieder zu Einnahmen seiner Bürger.
Diese Einnahmen aufgrund von Staatsausgaben werden wieder zu Ausgaben usw.
Investionsverweigerung des Staates führt zu geringeren Einkommenszuwächsen. seiner Bürger.
Wenn Juncker ein Investitionsprogramm von 630 Milliarden Euro ankündigt, vergessen die Medien regelmäßig darüber zu berichten. Das private Investitionen ein bißchen Quersubventioniert werden sollen. Das soll bei einer gleich bleibenden gesamtwirtschaftlichen Nachfrage dann die Unternehmen dazu bringen 630 Milliarden Euro zusätzlich zu investieren.
Das ist leeres Gerede.
Die Freihandelsabkommen TTIP und Ceta geben den Unternehmen mehr Macht.
Die diese dafür ausnutzen sollen niedrigere Löhne zu zahlen.
Das ist der Zusammenhang zu 85% der deutschen Ökonomen die behaupten Lohnsenkungen schaffen neue Arbeitsplätze.
Durch Lohnsenkungen entstehen keine neuen Arbeitsplätze, sondern es fallen Arbeitsplätze weg weil durch die Lohnsenkungen die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sinkt.
Seit 1991 sind 4,7 Millionen sozialversicherungpflichtige Vollzeitarbeitsplätze in Deutschland und weitere Millionen Arbeitsplätze in unseren Währungspartnerländern in Folge der Austeritätspolitik abgebaut worden.
Was die zunehmende gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland und den jüngsten Wahlerfolg der extremistischen Parteien erklären dürfte.
Peter Nemschak
18. September 2016 @ 10:26
Offenbar ist Ihre Analyse bei den Wählern in Europa nicht angekommen. Der massive Linksrutsch ist bisher ausgeblieben. Warum zieht es die Menschen politisch eher nach rechts als nach links?
Winston
18. September 2016 @ 22:36
Die Euro-Krise fasst m.E. Roberto Frenkel, ein argentinische Ökonom am besten zusammen.
1. Durch den Euro beitritt, wird der Kapitalfluss liberalisiert.
2. Da kein Währungsrisiko mehr besteht, fliesst viel Ausländisches Kapital in Länder wie Griechenland, Portugal, Spanien und Irland.
3. Durch den ausländischen Kapitalfluss erhöhen sich Konsum und Investitionen. BIP und Beschäftigung steigen.
4. Blasen entstehen (Immobilien), die Privat und Auslandsverschuldung nimmt zu.
5. Ein Externer Shock erzeugt Panik bei den Kreditgeber, der Kapitalfluss wird sofort eingestellt.
(Soviel ich weiss, flossen über 1 Billion € in obigen 4 Länder. Das kann man nur noch als völlig verrückt bezeichnen).
6. Die Krise beginnt. Die Spirale nach unten nimmt ihren Lauf. BIP nimmt ab, die Staatsverschuldung nimmt zu. Kürzungen beim Sozialem und bei den Löhnen und Erhöhung von Steuern verschlimmern die Krise zusätzlich.
7. Die Krisenländer sind gezwungen den Euro zu verlassen damit ihre Währung abwerten kann.
Wir sind nun bei Punkt 6. angelangt, der allerdings schon ziemlich lange dauert, viel lange. Je länger dieser Zustand andauert, desto grösser wird am Schluss der Schaden sein.
Das gleiche geschah in den Asiatischen Tigerstaaten in Argentinien und in Brasilien, ende der 90er Jahre.
In Brasilien haben sich übrigens gerade kürzlich die genau gleichen Neoliberalen Idioten an die Macht geputscht die für das desaster der 90er Jahre verantwortlich waren. Ein Schelm der böses denkt.
Peter Nemschak
19. September 2016 @ 14:04
Was Sie erzählen, hat mit Neoliberalismus nichts zu tun sondern der Fehlkonstruktion des Euro, welche die Zinsen für Staatsschulden egalisiert hat. In Griechenland, um ein Beispiel zu nennen, ist das billige Geld vom Staat (Militär)und den Privaten (dauerhafte Konsumgüter, insbesondere PKW) verkonsumiert statt klug in tiefgreifende institutionelle Reformen investiert worden. Griechenland ist mental ein unterentwickeltes Schwellenland. Die selbsternannten „Weltverbesserer“ müssen zur Kenntnis nehmen, dass die historisch gewachsene, schwer veränderbare Mentalität einer Gesellschaft und ihre nicht funktionierenden Institutionen das größte Hindernis für ihren Wohlstand sind. Acemoglu/Robinson haben dies in ihrem Buch „Why Nations Fail“ anschaulich beschrieben. Venezuela ist in Südamerika das anschaulichste Beispiel, warum sie mit ihrer Argumentation unrecht haben.
Ein Europäer
17. September 2016 @ 13:27
Der EU-Gipfel in Bratislava war ein Fiasko. Mateo Renzi hat es auf dem Punkt gebracht, „man sollte jetzt nicht so tun als wären wir alle einig“. Was man so hört, kann man davon ausgehen, dass Merkel so weiter macht, wie bisher. Keine neue Ideen, keine neue Ansätze Europa aus der Krise zu holen keine initiativen fuer mehr wachstum kein plan fuer investionon
smukster
16. September 2016 @ 23:33
Natürlich soll der ‚Brexit‘ nach Möglichkeit keinem weh tun. Das bedeutet, dass UK im Binnenmarkt bleibt, dafür bezahlt und seine Regeln übernehmen muss – ohne freilich Stimmrecht zu haben bei anstehenden Entscheidungen. Ein verdammt schlechter Deal, aber die Alternative wäre die Abwanderung des Finanzsektors.
Dass Merkel persönlich eine neoliberale Agenda verfolgt sehe ich nicht. Sie ist vor allem bemüht, D und EU (oder noch mehr) zusammenzuhalten, fast egal wie.
Und: Beim ‚Brexit‘-Referendum ging es doch nicht um Migration & Grenzöffnung – sondern um soziale Ungleichheit und Perspektivlosigkeit. Die BritInnen sahen eine Chance, den eigenen Eliten und ‚ihrer‘ EU ‚eins auszuwischen‘.
Winston
16. September 2016 @ 23:33
NOBELPREISTRÄGER FRIEDRICH AUGUST HAYEK: ANTIDEMOKRAT UND PINOCHET-UNTERSTÜTZER
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/boeser-hayek/
Peter Nemschak
16. September 2016 @ 11:59
@ebo Sie weichen mir aus. Wenn die Regierung Tsipras nicht an die Sinnhaftigkeit des „Diktats“ glaubt, hätte sie längst zurücktreten und Neuwahlen Platz machen müssen. Auch ein Austritt aus dem Euro hätte die Eurozone nicht umgebracht. Seine für Griechenland unangenehmen Verwerfungen hätten allerdings das Ende der Syriza-Regierung bedeutet. Schade? Ich finde nicht.
ebo
16. September 2016 @ 12:43
Sie wichen MIR aus. In meinem Post ging es nicht um Griechenland, sondern um Merkels Agenda. Warum geben Sie nicht offen zu, dass sie diese Agenda toll finden? Sie ist ja durchaus legitim, auch wenn sie kein Problem löst und alles auf die lange Bank schiebt (in typischer Kohl-Manier)…
mister-ede
16. September 2016 @ 11:39
Ich will, dass die Länder Europas bei der Lösung von Problemen zusammenarbeiten, bei der Sicherung des Friedens oder auch um Wohlstand zu schaffen. Gut fände ich deshalb, wenn GB die EU nicht verlässt.
Peter Nemschak
16. September 2016 @ 09:28
Merkel und Gleichgesinnte schützen die EU vor wirtschaftlichem Unsinn. Sozialismus hat noch nie ein Land reich gemacht. Ich zumindest kenne keines auf der Welt. Der „sozialistische Mensch“, den früher manche herbeisehnten, ist so wie der sogenannte „neoliberale Mensch“, den die linken Weltverbesserer verachten und manche an ihm verzweifeln, eine Kunstfigur. Menschen sind und bleiben Menschen mit allen Widersprüchen. Machen wir uns nichts vor, Europa verdankt seinen Wohlstand der liberalen Ordnung, welche bisher durch die Macht der USA, die sich geopolitisch zurückzuziehen beginnen, garantiert wurde. Es ist höchst an der Zeit, dass Europa machtpolitisch stärker wird und sich nicht durch neo-sozialistische Experimente ablenken lässt. Bei einem Staatsanteil von 50% und darüber von neoliberal zu sprechen ist schlicht lächerlich. Für die USA mag das Wort neoliberal zutreffen, nicht jedoch für Europa. Das Europa, das die Linken erträumen, ist für die Mehrheit der Bürger, welche sich vom Staat nicht gängeln lassen wollen, nicht erstrebenswert. Die Mehrheit im europäischen Parlament spricht eine deutliche Sprache. Sie ist gegen Experimente von rechts oder links.
ebo
16. September 2016 @ 09:39
Ach so, Tsipras & Co. wollen den Sozialismus einführen? Und davor hat uns Merkel bewahrt, indem sie Athen zwingt, alle lukrativen Regionalflughäfen an Fraport zu verkaufen und die Wasserversorgung zu privatisieren? Ihrer Meinung nach vertritt Merkel wahrscheinlich auch bei VW und Bayer die „Marktwirtschaft“ gegen den Sozialismus. Ehrlich gesagt, dachte ich, dass dieses simple Schwarz-Weiß-Denken seit Franz-Josef Strauss überwunden ist…
Peter Nemschak
16. September 2016 @ 10:50
Eine demokratisch gesinnte Regierung, die mit dem Programm ihrer Geldgeber, auf die sie angewiesen ist, nicht einverstanden ist, sollte zurücktreten. Eine solche Regierung schafft bei Investoren nicht das nötige Vertrauen. Macht macht süchtig. Davon ist auch Syriza nicht gefeit. Irgendwann werden die Griechen Syrizas überdrüssig sein und abwählen. Was haben Sie grundsätzlich gegen die Marktwirtschaft, gegen das Leistungsdenken generell? Wettbewerb scheint für Sie ein Reizwort zu sein, das Wort „durchsetzen“ Ihnen physische Schmerzen zu bereiten. Wenn Privatinvestoren die Regionalflughäfen in Griechenland kaufen, dann wohl nicht in der Absicht mit diesen Verluste zu machen. Der jahrzehntelange, in Griechenland besonders ausgeprägte in die öffentliche Wirtschaft hineinreichende politische Klientelismus hat das Land nicht weiter gebracht, im Gegenteil versteckte Arbeitslosigkeit perpetuiert. Unsere reale Welt, in der wir leben, ist nicht die Philosophenrepublik des Jürgen Habermas, die Ihnen vielleicht vorschwebt.
ebo
16. September 2016 @ 11:32
Sie belieben zu scherzen? Griechenland hatte und hat keine Wahl, es gilt das deutsche Diktat. Warum sagen Sie nicht, dass Sie den Rauswurf aus dem Euro fordern- und damit die nächste Mega-Krise? Nur zu!
S.B.
16. September 2016 @ 10:35
@Peter Nemschak: Sie verwechseln (ständig) Liberalismus mit Neoliberalismus. Das Merkel & Co. die EU nicht vor wirtschaftlichem Unsinn schützen, ist Unfug. Alles, was die EZB und sonstige EU-Institutionen, wie ESM etc. machen, ist wirtschaftlicher Unsinn, da es vehement marktwirtschaftlichen Grundsätzen widerspricht. Das ist die neoliberale (nicht: liberale!) Agenda von Merkel & Co., welche die internationalen Großkonzerne schützt und gegen den Wettbewerb abschottet (siehe einerseits steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten; siehe andererseits die „Rettungs“politik).
Das Sozialismus nicht funktioniert (da haben Sie Recht), sieht man aktuell in Venezuela, das richtig in der Krise steckt, obwohl es sogar eines der größten Ölförderländer der Erde ist.
In der EU ist der Sozialismus nur ein Teil-Phänomen, nämlich die gegenleistungslose Umverteilung von Nettozahlern zu Nettoempfängern, wovon Hollande & Co. nun noch mehr wollen. Das weitaus gewichtigere Anliegen der EU ist aber die Umverteilung an geschützte Großkonzerne per Neoliberalismus. Wahrscheinlich sind beide Phänomene zwei Seiten der gleichen Medaille: Bezahlen soll den Sozialismus ganz offensichtlich nur Otto-Normal-Bürger. Die Großkonzerne bleiben außen vor.
Skyjumper
16. September 2016 @ 20:53
„Merkel und Gleichgesinnte schützen die EU vor wirtschaftlichem Unsinn.“
Das sehe ich ganz anders. Merkel und Konsorten stehen geradezu für den größten wirtschaftlichen Unsinn den man in den letzten 70 Jahren gesehen hat (wenn man mal von den klassischen sozialistischen Staaten ala UdSSR absieht). Mein Problem mit Ihren Aussagen (was vielleicht auch Ihr eigenes ist) ist Ihre permanente Gleichsetzung von Liberalismus und Neo-Liberalismus. Liberalismus ist bzw. wäre, so ziemlich das Gegenteil von dem wofür der Neo-Liberalismus steht. Neo-Liberalismus, durch eine altmodische Brille betrachtet, ist nichts anderes als eine neue sozialistische Spielart. Statt des Staates als sozialistischen Akteur im Wirtschaftsgeschehen sehen wir im Neo-Liberalismus nunmehr die großen multinationalen Konzerne. Neu ist eigentlich nur, dass Konzerne und Staaten noch um die Deutungshoheit der Reglementierungen kämpfen. Beiden gemein ist dabei dass sie liberale Strukturen bekämpfen wo es nur geht. Die Konzerne um unliebsame Konkurrenz auszuschalten, die Staaten um weniger eigenwillige Akteure lenken und kontrollieren zu müssen welche ggf. ihr Gestaltungsprimat in Frage stellen könnten, bzw. sich dem entziehen wollen.
„Europa verdankt seinen Wohlstand der liberalen Ordnung,“
Das ist richtig. Aber eben liberal, nicht neoliberal. Für eine vollständigere Begründung des europäischen Wohlstandes müßte man zudem noch die von Ihnen so oft geschmähte Kleinstaaterei und die daraus entstandene wettbewerbliche Konkurrenz nennen, und, ja auch das gehört dazu: Die Ausbeutung der 3. Welt durch konsequente Ausnutzung der eigenen Vormachtstellung.
Ein Staatsanteil von 40-50 % ist kein Widerspruch zum Neoliberalismus. Beide bedingen sich gegenseitig. Ohne den Neoliberalismus wäre ein Staatsanteil von 40-50 % kaum durchsetzbar (weshalb die Staaten ihn fördern), umgekehrt braucht der Neoliberalismus den starken Staat mit seinen Eingriffen um Wettbewerb und Konkurrenz, sowie Individualismus auf kleiner Flamme zu halten.
Multinationale Konzerne und Staaten (Politik) eint der gemeinsame Wunsch nach einem uniformen Bürger der eher einer Ameise oder Biene gleicht, als einem Menschen. Die einen wollen ihn als willigen und berechenbaren Arbeitnehmer und Konsumenten, die anderen als Melkkuh zur Finanzierung staatlicher Allmachtphantasien und eigener (Politiker) Lebensleichtigkeit.
ebo
16. September 2016 @ 21:02
@Skyjumper Eine interessante Analyse. Wobei vielleicht noch anzumerken wäre, dass Staaten und Konzerne heute miteinander rivalisieren. Viele Multis sind größer als manch kleiner EU-Staat. Viele Konzerne spielen die Staaten gezielt gegeneinander aus.
Skyjumper
16. September 2016 @ 21:05
@ ebo
Da pflichte ich Ihnen bei. Ich hatte versucht dass mit dem (vielleicht zu verkürzten) Satz: „Neu ist eigentlich nur, dass Konzerne und Staaten noch um die Deutungshoheit der Reglementierungen kämpfen.“ zum Ausdruck zu bringen.
S.B.
16. September 2016 @ 08:45
@ebo: Könnten Sie Merkels neoliberale Agenda bitte einmal stichpunktartige zusammenfassen. Und eine Frage dazu mit Blick auf die EU: Wurde hier im Blog nicht schon oft betont, dass diese selbst nur ein Werkzeug der neoliberalen Globalisten ist? Wenn dem so ist: Warum will bzw. muss Merkel dann die EU ausbremsen? … Besten Dank!
ebo
16. September 2016 @ 09:07
@S.B. Gute Fragen. Zu 1: Ein Blick nach Griechenland genügt. Renten-Kürzung, Wasser-Privatisierung, Ausverkauf an Fraport & Co. Dann TTIP und das Dogma des Freihandels mit speziellem Schutz für private Investoren. Dann die so genannte „Better Regulation“, die einzig und allein auf Sozialgesetze aus Brüssel zielt. Zu 2: Natürlich ist die EU vor allem eine Wirtschaftsunion. Doch nun versuchen Juncker & Schulz, auch die politische Union auszubauen (Sicherheit, Verteidigung, Euro-Budget etc.). Und Hollande & Co. wollen eine andere Wirtschafts- und Sozialpolitik. Da steht Merkel auf der Bremse. Nur zuhause, In Schland, gilt das natürlich alles nicht, da werden soziale Wohltaten verteilt – mit ein Grund, warum die Zustimmug zur EU noch so hoch ist.
S.B.
16. September 2016 @ 10:15
@ebo: Danke für die Stichpunkte zu Merkels neoliberaler Agenda. Da kann ich mitgehen. Zu 2: Juncker & Schulz mögen eine politische Union aufbauen wollen. Ich kann nur nicht sehen, dass die von diesen Leuten angedachte politische Union anderen als neoliberalen Zwecken dienen soll. Hollande & Co. geht es lediglich um noch mehr sozialistische Umverteilung, also noch mehr Kohle von D bzw. den Netto-Zahlern hin zum Club Med. Da bin ich allerdings auch schwer dagegen.
Zu Schland: Ich sehe nicht, dass hier soziale Wohltaten verteilt werden (versprochen werden sie hingegen vom Parteien-Establishment). Einzige Ausnahme sind die massenhaft neu Zuwandernden, die allerdings selbst noch nie in das System eingezahlt haben. Das ist dann wohl auch ein Teil der neoliberalen Agenda von Merkel: die Zerstörung der ohnehin an ihren Grenzen angekommenen Sozialsysteme.