Merkels Autobombe

Die alte Bundesregierung setzt ihre aggressive Industriepolitik fort. Nachdem sie neue, härtere CO2-Grenzwerte für Neuwagen blockiert hatte, will sie die neuen Klimaschutzregeln nun um vier Jahre verschieben. Ein so rücksichtsloses Vorgehen habe man noch nie erlebt, heißt es in Brüssel. 

Europa hat keine Industriepolitik. Oder haben Sie schon einmal etwas von einem gewissen Herrn Tajani gehört, dem Industriekommissar? Kann jemand sagen, was er macht?

Eben. Umso deutlicher steht allen EU-Politikern vor Augen, was für eine Industriepolitik Deutschland verfolgt. Wenn es um Exporte und vor allem um Autos geht, kennt man in Berlin keinen Spaß.

Der Streit um EU-Sanktionen gegen China hat dies allen Europäern unmissverständlich gezeigt. Merkel und ihr endlich scheidender Wirtschaftsminister Rösler scheuten sich nicht, sich auf die Seite Chinas zu schlagen und gegen Brüssel Front zu machen.

Etwas Ähnliches wiederholt sich nun – allerdings auf eine noch ungewöhnlichere Weise. Merkel versucht, einen EU-Beschluss zur Klimapolitik zu kippen, und härtere CO2-Grenzwerte für Neuwagen um vier Jahre nach hinten zu verschieben.

Das machen “die anderen” doch auch, hört man oft, auch in diesem Blog. Doch diesmal ist vieles anders. Ein derart aggressives Vorgehen habe man noch nie erlebt, heißt es in Brüssel.

  • Erst versuchte Merkel,  eine Sperrminorität gegen den missliebigen EU-Beschluß zu erreichen. Dafür wurden Irland, das damals den EU-Vorsitz hatte, und Portugal massiv unter Druck gesetzt.
  • Damit es sich auf die deutsche Seite schlägt, soll Merkel sogar damit gedroht haben, deutsche Industriekapazitäten aus dem – ohnehin schon krisengeschüttelten – Portugal abzuziehen.
  • Nun versucht die Kanzlerin, die unerwünschten neuen Regeln um vier Jahre nach hinten zu verschieben. Dabei folgt sie den Wünschen von BMW und Daimler. Andere Produzenten wie VW, die mit den neuen Regeln leben konnten, wurden übergangen.
  • Um im Rat eine Mehrheit zu bekommen, wird nun Frankreich unter Druck gesetzt. In Brüssel vermuten viele, dass sich Merkel dabei die schwierige Lage der französischen Autohersteller zunutze macht.

Sollte das Lobby-Manöver gelingen, wären die üblichen und vertraglich festgelegten Spielregeln der EU-Gesetzgebung außer Kraft gesetzt. Für ein paar sündhaft teure Stinker und Spritschlucker hätte Merkel die EU manipuliert.

Das hätte den Effekt einer Bombe. Schließlich wäre es die erste EU-Entscheidung nach der deutschen Wahl. Wenn Merkel dieser Coup gelingt, dürften bald weitere folgen.

Ob dies SPD und Grüne in ihren Sondierungsgesprächen mit der “eisernen Kanzlerin” bedenken – und einen Riegel vorschieben? Ich habe meine Zweifel…

Siehe zu diesem Thema auch den exzellenten Hintergrund auf “Zeit online”
photo credit: puthoOr photOgraphy via photopin cc