„Merkel zeigt Tsipras die kalte Schulter“
In den deutschen Medien stand irgendwas von Flüchtlingen und Freundschaft. In den griechischen Medien wird das Treffen zwischen Premier Tsipras und Kanzlerin Merkel ganz anders bewertet – es lässt Schlimmes ahnen.
„Berlin zeigt Tsipras die kalte Schulter“, titelt „Kathimerini“ nach dem Treffen im Kanzleramt. Merkel habe Tsipras im Streit um die Einmalzahlung für bedürftige Rentner allein im Regen gelassen.
Sauer stößt den Griechen vor allem auf, dass die Kanzlerin es vermeidet, ihren Finanzminister Schäuble zurechtzuweisen, der gegen Tsipras vorgeprescht war – und dabei sogar die EU-Kommission übergangen hat.
Aber wer wäre Merkel, wenn sie Schäuble rüffeln würde? Ohne den CDU-Hardliner könnte sie nicht erneut Kanzlerin werden. Schäuble treibt sein eigenes Spiel, und es könnte immer noch im „Grexit“ enden.
Für die Bundestagswahl wäre das aus CDU-Sicht sicherlich eine attraktive Vision. Aber zunächst geht es erstmal darum, wer sich im Showdown zwischen Schäuble und dem Syriza-Politiker durchsetzt.
Tsipras kann immerhin noch auf Frankreich setzen. Derweil laufen ihm seine eigenen Bürger davon. Trotz des „Weihnachtsgeschenks“ an die Rentner findet er in Umfragen kaum noch Zustimmung…
Peter Nemschak
18. Dezember 2016 @ 18:25
@Reinard Ich gebe ihnen voll recht. Es gibt meines Wissens seitens der EU die so genannte „technische“ Hilfe beim Auf bau der notwendigen Institutionen, angefangen von der staatlichen Verwaltung und dem Justizsystem und andere Bereiche. Inwieweit diese „technische“ Hilfe angenommen wird und Wirkung zeigt, weiß ich nicht. Nur ohne grundlegende Änderungen im griechischen Verhalten werden die anderen EU-Mitglieder nicht bereit sein, auf Dauer Geld nach Griechenland zu überweisen. Daher sollte eine Austrittsmöglichkeit aus dem EURO überlegt werden, nachdem der Druck der knappen Kassen (Austerität) nichts oder zu wenig bewirkt hat. Ich bin skeptisch, ob eine andere griechische Regierung angesichts der griechischen Mentalität und gesellschaftlichen Gewohnheiten es besser machen würde.
Reinard
18. Dezember 2016 @ 12:10
http://www.ekathimerini.com/214673/opinion/ekathimerini/comment/losing-the-countrys-lifeblood
Das trifft die Situation sehr gut, glaube ich.
Athanasios Papapostolou
17. Dezember 2016 @ 14:44
Anstatt plumpe Wahlgeschenke zu verteilen, so wie es griechische Politiker immer schon taten, sollte Tsipras endlich anfangen Griechenland ernsthaft zu reformieren. Wieso gibt es kein modernes Sozialsystem (selbst der IWF schlägt das vor)? Wieso wird die Korruption nicht ernsthaft bekämpft? Der Nepotismus (auch in der Syriza) ist nach wie vor ein grosses ärgerliches Problem. Es ist eigentlich zum verzweifeln. Wenn die Regierung doch ernsthaft und seriös seine Arbeit machen würde, würde auch Schäuble jedes Argument fehlen. So aber wird der Grexit nur noch zum letzten Sargnagel.
ebo
17. Dezember 2016 @ 14:52
@A.P. Pardon, wird Griechenland nicht bereits seit 2010 „ernsthaft reformiert“? Die Gläubiger und ihre Troika haben Dutzende „Meilenstein“ und „prior actions“ formuliert und die Hilfskredite immer erst freigegeben, wenn die damit verbundenen Refromen ihrer Ansicht nach umgesetzt waren. Haben sich Schäubles Helfer etwa getäuscht?
Peter Nemschak
17. Dezember 2016 @ 15:24
Haben die Gläubiger Tsipras daran gehindert, die von Papapostolou erwähnten Reformen umzusetzen?
Reinard
18. Dezember 2016 @ 11:54
@ebo und @Nemschak: das was die EU als Reformen fordert und die, welche @Athanasios wohl meint, sind nach meiner Kenntnis der Lage in Griechenland zwei paar Stiefel. Die Reformen, die wirklich notwendig sind, längst überfällig sind, berühren zutiefst die griechische Mentalität. Das ist ein Generationen- und Erziehungsprojekt. Dazu braucht es Lehrer, eine funktionierende Polizei, einen Beamtenapparat, der Arbeiten darf und kann. Und die kann man sich nicht einfach mal schnell backen. Mit politisch erzwungener Austerität rennen alle Beteiligten gegen die Wand.
Gruß aus dem derzeit kalten aber sonnigen Griechenland.