Luxemburg Leaks, Junckers Legacy?
Das könnte heiß werden. Ausgerechnet in seiner ersten Arbeitswoche wird Kommissionschef Juncker mit einem dunklen Kapitel seiner Geschichte als Premier in Luxemburg konfrontiert.
Die heute veröffentlichten „Luxemburg Leaks“ dokumentieren, wie das Großherzogtum unzähligen Großkonzernen Steuervergünstigungen gewährte – über geheime so genannte „comfort letters“.
Zu den Profiteuren gehören offenbar Pepsi, IKEA, FedEx und viele andere Konzerne. Die Vergünstigungen sollen während Junckers Amtszeit als Premierminister eingeführt worden sein.
Nun darf man gespannt sein, wie der sich verteidigt. Geht es um Junckers legacy – oder tragen andere die Verantwortung? Klar ist schon jetzt, dass dieser Scoop geeignet ist, das Vertrauen in Juncker zu erschüttern…
Die Luxemburg Leaks finden sich hier, mehr zu Juncker hier
Michael
7. November 2014 @ 09:34
Das einzig wirklich Erstaunliche ist nach meiner Meinung, dass Menschen jetzt so tun, als hätten sie das alles nicht gewusst oder als sei das ein Geheimnis gewesen. Um zu wissen, dass Firmen in Luxemburg mehr auf dem Papier als in der Realität bestehende Sitze gegründet und dadurch viel weniger Steuern gezahlt haben, oder dass sie sich von Unternehmensberatungen haben beraten lassen, wie das geht, braucht man keine vertraulichen Briefe von PwC zu klauen und mit großer Geste öffentlich zugänglich zu machen, denn der Umstand an sich ist bekannt. Und da die Beteiligten sich sorgfältig bemüht haben, formell gegen keine Gesetze zu verstoßen, wird man auch nach hektischen Untersuchungen niemanden ins Gefängnis werfen können.
Dass Juncker bis letzten Herbst Regierungschef einer Steueroase war, hat auch schon früher jeder gewusst, der diesen Umstand nicht bewusst ignoriert hat (ich meine, bei der Diskussion, ob er Kommissionspräsident werden sollte, war das durchaus schon Thema). Also weshalb jetzt so tun, als sei es eine neue Sau, die durchs Dorf gejagt wird?
Tim
6. November 2014 @ 15:03
Immer wieder erstaunlich:
Steuertricks führen zu einem unglaublichen Aufschrei.
Steuerverschwendung interessiert niemanden. Obwohl das Schadensvolumen viel größer ist.
Peter Nemschak
6. November 2014 @ 20:09
Auch erstaunlich: dass sich die Proteste gegen die staatliche „kalte“ Lohnsteuerprogression in Grenzen halten. Von Lohnerhöhungen profitiert derzeit nicht der Arbeitnehmer sondern die öffentliche Hand.
Peter Nemschak
6. November 2014 @ 14:06
Dass Juncker ein von Luxemburg nicht erfundenes, unbefriedigendes Konzernsteuersystem für sein Land bestmöglich ausgenützt hat, kann man ihm nicht vorwerfen, im Gegenteil. Ob im einen oder anderen Fall EU-Wettbewerbsrecht verletzt wurde, muss die Kommission prüfen und entsprechende Maßnahmen ergreifen. Es ist sicher nicht das erste Mal, dass Mitgliedsstaaten Wettbewerbsrecht verletzen und dafür die Rechtsfolgen tragen müssen. Viel bedeutender ist der Umstand, dass die Notwendigkeit, das internationale Konzernsteuersystem zu ändern, wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt ist. Ziel muss es sein, ein System zu schaffen, das Konzernsteuern verursachergerecht auf die Staaten aufteilt. Je größer der Umsatz eines Unternehmens in einem bestimmten Staat ist, desto größer sollte steuertechnisch der Anteil am Konzerngewinn sein, der in diesem Land zu versteuern ist; kein einfaches Unterfangen in unserer digital vernetzten Welt. Immerhin verwenden internationale Konzerne die Infrastruktur eines Landes (Rechtssystem, Verkehrsinfrastruktur, IT-Infrastruktur etc.) zur Gewinnerzielung und sollten dafür einen entsprechenden Beitrag leisten. Abgesehen davon, dass aus Gründen der Steuergerechtigkeit Konzerne heimischen Unternehmen, die keine Möglichkeit zur Gewinnverschiebung haben, gleichgestellt sein sollen. Nachdem die großen Industriestaaten ähnliche Haushaltsprobleme haben, sollte eine Konzernsteuerreform in absehbarer Zeit möglich sein. Die aufgeregte Behandlung des Themas durch die Medien zeigt, dass angesichts von Informationsflut und Abgestumpftheit der Öffentlichkeit ohne Skandalisierung keine Aufmerksamkeit für ein zentrales Steuerthema geweckt werden kann.
Michael
9. November 2014 @ 08:16
Das Problem ist freilich, eine saubere und begründbare Abgrenzung durchzuführen. Die wichtigsten Modelle funktionieren offensichtlich so, dass ein Konzern rechtlich selbständige Tochtergesellschaften hat, die einander Güter und Dienstleistungen verkaufen oder in Rechnung stellen; somit kann ein Teil des in Land A erzielten Gewinnes in Land B als Gewinn anfallen (weil dort die betreffende Tochtergesellschaft sitzt). Also z.B.: ein Kaufhauskonzern hat Tochterfirmen, die die Kaufhäuser selbst betreiben, und andere, denen die Gebäude gehören und die sie an die Kaufhausgesellschaften vermieten. Oder eine Firma hält sich eine Tochtergesellschaft, der die Entwürfe für die Waren gehören, und die von anderen Tochtergesellschaften des Konzerns für ihre Nutzung Gebühren einfordert. Solche Gesellschaften können benutzt werden, um den versteuerbaren Gewinn in bestimmten Ländern zu drücken. Allerdings können solche Modelle auch nicht prinzipiell verboten werden, denn öffentliche Einrichtungen benutzen sie auch (z.B. wird bei den Bahnunternehmen der Betrieb der Gleise und der Züge rechtlich getrennt, oder es tritt eine Immobiliengesellschaft als Eigentümerin der meisten staatlichen Gebäude auf und berechnet den Behörden, Schulen, Universitäten etc. Miete); solange Unternehmen mit dem gleichen – oder mit weitgehend den gleichen – Eigentümern rechtlich selbständig sein können, kann das nicht verboten werden, und solange der Staat dasselbe Modell anwendet, erst recht nicht.
Die Idee, „Konzerne heimischen Unternehmen, die keine Möglichkeit zur Gewinnverschiebung haben, [gleichzustellen]“, ist deshalb zwar einleuchtend, aber extrem schwer zu realisieren. Der Aufwand, um zum Beispiel die Lizenzgebühren, die an ausländische Konzernschwestern gezahlt werden, daraufhin zu untersuchen, ob sie überhöht sind, wäre ungeheuer: man müsste z.B. einen Wert für Dinge festsetzen, die nicht an einem Markt gehandelt werden (denn die Konzerne handeln hier ja nur unter sich und bieten Dienstleistungen und Waren keinen Fremden an; da es keinen Markt gibt, gibt es keinen Marktpreis, den man als Anhaltspunkt nehmen könnte. Allenfalls könnte man den Anreiz vermindern, indem man überall einen gleich hohen Steuersatz nimmt. Ist es denkbar, dass alle Staaten der Welt sich darauf einigen? Nein. Schon eher, dass die USA allen Staaten ihr eigenes Steuersystem aufzwingen.
Nebenbei bemerkt: Innerhalb der EU besteht für restriktive Regelungen die zusätzliche Schwierigkeit, dass alles, was die Freizügigkeit von Waren, Kapital, Dienstleistungen und Arbeitskraft im Binnenmarkt behindert, ausdrücklich illegal ist. Wäre dem nicht so, könnte zum Beispiel Deutschland ein Gesetz erlassen, nach dem Ausgaben für von Luxemburger Unternehmen bezogene Waren oder Dienstleistungen den steuerlichen Gewinn nicht vermindern.
Andres Müller
6. November 2014 @ 12:58
Sowas konnte man schon im Voraus ahnen .bzw. förmlich riechen.
Aber hier könnte Juncker der Umstand helfen, dass in der EU-Politik Vertrauen noch nie sonderlich ernst genommen wurde, und man in der EU an deren Schaltzentralen vom Volk fast unbehelligt im Hinterzimmer seine Macht auszuüben vermag.
Marcel
6. November 2014 @ 11:59
Das ist wohl ein neuer Rekord für einen frisch gewählten Kommissionschef das Vertrauen zu verlieren.