Last exit Brussels? (Update)

Er heizt das Fegefeuer der Eitelkeiten rücksichtslos an – der flämische Nationalist Bart De Wever

In Belgien werden Neuwahlen immer wahrscheinlicher. Mehr als ein Jahr nach den letzten Parlamentswahlen ist auch der letzte Kompromissvorschlag zur Bildung einer neuen Regierung gescheitert. Obwohl der vom König ernannte Verhandlungsführer, der wallonische Sozialist Di Rupo, in seinem Regierungsprojekt die Kernforderungen des flämischen Wahlsiegers De Wever aufgegriffen hatte, wies De Wever das Angebot brüsk zurück. 

De Wever strebt eine Unabhängigkeit Flanderns an. Seine Partei N-VA war aus der vergangenen Parlamentswahl am 13. Juni 2010 als Siegerin in Flandern hervorgegangen. Im französischsprachigen Teil Belgiens siegte dagegen Di Rupos sozialistische Partei PS, die wie die meisten Frankophonen stärker zum Föderalstaat steht. Landesweite Parteien gibt es in Belgien seit Jahrzehnten nicht mehr, was die Regierungsbildung massiv erschwert.

Die aktuelle Lage ist bedenklich, da sie sowohl den König als auch die Chefs der größten Parteien diskreditiert. Schon jetzt hält Belgiens Staatskrise mit 13 Monaten einen traurigen Weltrekord – selbst der Irak brachte schneller eine Regierung zustande. Hinzu kommt, dass hinter den politischen Konflikten wirtschaftliche und soziale Spannungen zwischen dem neureichen Flandern und dem strukturschwachen Wallonien stehen. Sollten diese Spannungen eskalieren, könnte das Land in den Sog der europäischen Schuldenkrise geraten – und noch tiefer in die Krise rutschen.

Schon jetzt ist vom nahenden “Ende Belgiens” die RedeIm Grunde halten das Land nur noch zwei Anker zusammen: die Hauptstadt Brüssel und die Europäische Union. Auf Brüssel erheben sowohl Flamen als auch Wallonen Anspruch (historisch und geographisch gehört Brüssel zu Flandern, die Stadt spricht jedoch überwiegend französisch und bildet eine eigene politische Einheit). Und in der EU sehen beide Seiten ihr Heil – allein auf sich gestellt könnten sie nicht überleben.

Eine mögliche Lösung der Krise könnte daher in der einvernehmlichen Trennung von Flamen und Wallonen und der Ausrufung einer unabhägigen EU-Kapitale Brüssel bestehen – nach dem Vorbild von Washington DC. In Gesprächen mit Belgiern wird dies immer wieder als beste Option bezeichnet. Möglich wäre dies allerdings nur, wenn sich sowohl Belgien als auch die EU zu echten Föderationen entwickeln würden. Davon kann bisher jedoch keine Rede sein.

Im Gegenteil: In der EU ist die Renationalisierung voll im Gange. Und in Belgien versuchen die Flamen, das Land nicht nur politisch und administrativ, sondern auch wirtschaftlich und sozial zu spalten. Eine EU-Region Brüssel wird es also in absehbarer Zeit nicht geben, „Last exit Brussels“ ist angesichts des belgischen Fegefeuers der Eitelkeiten wohl nicht mehr als ein schöner Traum… 

 

Nachtrag 10.7.11

Belgiens designierter Premierminister Di Ripo hat mittlerweile das Handtuch geworfen. König Albert II. verordnete seinen Untertanen eine Denkpause. Derweil sorgt sich die Republik Frankreich um einen möglichen Zerfall des Königreichs; zwei Abgeordnete der Nationalversammlung arbeiten bereits an einem Bericht über die Lage beim kleinen Nachbarn…


 

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