Lasst uns in Frieden!

Der Friedensnobelpreis geht an… die Europäer. So präsentiert die EU-Kommission auf ihrer Website die vermeintlich wichtigste Nachricht des Tages. Doch wer alte und neue Medien liest, wird schnell feststellen, dass die Auszeichnung kaum jemand interessiert. „Lasst uns in Frieden“ denken offenbar die meisten Bürger. Erstaunlich ist dies nicht, denn die EU ist in denkbar schlechter Verfassung.

Es ist ein echtes Dreamteam, das heute in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennimmt. Kommissionschef Barroso, der Mann, der weder Finanz- noch Eurokrise kommen sah. Ratspräsident Van Rompuy, der Mann, der die Eurobonds wegzauberte und auch sonst jede Vision für Europa vermissen lässt. Parlamentspräsident Schulz, der Mann, der Berlusconi ans Bein pinkelte und seither seinen Platz an der Sonne sucht.

Drei Männer, keine Frau, ein Wort: „Die EU wird auch aus dieser Krise gestärkt hervorgehen“. Diesen Plastiksatz aus der Brüsseler PR-Maschine durfte Herman der Dichter passend zur Preisverleihung aufsagen. Glauben wird ihn so gut wie niemand außerhalb des Raumschiffs Brüssel. Denn unter der Ägide dieser Chefs, die (bis auf Schulz) von Kanzlerin Merkel handverlesen wurden, ist alles nur schlechter geworden.

  • Wettbewerb. Statt als wettbewerbsfähigster Wirtschaftsraum der Welt, wie 2000 in Lissabon beschlossen, steht Europa heute als größtes Risiko für die Weltwirtschaft da. Viele Länder sind vom Finanzmarkt abgeschnitten und müssen künstlich beatmet werden.
  • Jobs and Growth. Barroso redet Tag und Nacht davon, doch leider war die Arbeitslosigkeit nie höher als heute – auch in seinem eigenen Land, Portugal. Die Wachstumsausssichten werden ständig nach unten revidiert; wahrscheinlich wird 2013 im Zeichen der Rezession stehen.
  • Binnenmarkt. Der größte Binnenmarkt der Welt zerfällt zusehends. Vor allem im Finanz- und Bankenmarkt nimmt die Renationalisierung beängstigende Ausmaße an. Die Banken finanzieren fast nur noch Unternehmen ihrer Herkunftsländer, grenzüberschreitende Geschäfte werden zur Ausnahme.
  • Demokratie. Sie wird sicher auch heute wieder beschworen, doch in der Praxis ist sie längst abgeschafft. Nur noch Krisengewinner wie Deutschland dürfen sich noch halbwegs freie Wahlen und Parlamentsabstimmungen leisten. Die anderen müssen spuren – gerade heute wurde Italien zur Ordnung gerufen.
  • Politische Union. Weiter entfernt denn je. Die EU ist längst in drei Klassen zerfallen – die Gewinner der Eurokrise, die Verlierer der Eurokrise und die Länder ohne Euro. Der deutsch-französische Motor ist ausgefallen, Ersatz ist nicht in Sicht.

Gibt es auch Lichtblicke? Selbst das Nobelpreiskomitee scheint daran zu zweifeln. Es verweist auf „schwere wirtschaftliche Probleme“ und „soziale Unruhe“ in Europa – und versteht die Auszeichnung offenbar als Mahnung an Brüssel, den sozialen Frieden zu wahren (siehe auch „Friede war gestern“). Ähnlich äußerte isch auch der Leiter des Nobelkomitees, T. Jagland. Der Preis sei eine „Mahnung zu Solidarität“.

Ich bin mal gespannt, ob die Preisträger diesen Hinweis aufgreifen und sich zu Solidarität bekennen.Ansonsten kann man wirklich nur sagen: lasst uns endlich in Frieden!