Kommerz oder Krise

Unter großer Geheimhaltung und mit hohem Zeitdruck planen die EU und USA ein umfassendes Freihandelsabkommen. Schon im Juni sollen die Gespräche begonnen. Jetzt haben Globalisierungskritiker das vertrauliche Verhandlungsmandat der EU-Kommission enthüllt. Es enthält einige Überraschungen.

Fünf Seiten, drei große Kapitel: Auf den ersten Blick ist das Mandat kein Wort-Ungetüm. Es beginnt mit den üblichen Floskeln der überzeugten Freihändler um Handelskommissar Karel de Gucht in Brüssel:

Die EU und die USA werden als die größten, offensten und wichtigsten Märkte weltweit gelobt, der bilaterale Handel wird rundum positiv dargestellt.

Auf die massiven Probleme von Datenschutz über unterschiedliche Umweltstandards bis zu genetisch manipulierten Lebensmitteln geht der Text mit keinem Wort ein.

Statt dessen wird die Behauptung aufgestellt, eine umfassende Liberalisierung des transatlantischen Handels sei „die vielversprechendste Option für Europa, was Wachstum, Exporte, Beschäftigung und Löhne“ betrifft.

Kommerz ist das beste Rezept gegen die Krise, lautet die Devise der EU-Kommission. Beweise für diese Behauptung enthält der Entwurf, der noch von den 27 EU-Staaten angenommen werden muss, nicht.

Aber da die Autoren so von den Vorteilen überzeugt sind, proklamieren sie, dass das geplante Abkommen „sehr ambitioniert“ sein werde und die Welthandelsorganisation WTO hinter sich lassen soll.

Geplant ist eine Liberalisierung auf (fast) allen Ebenen – denn die hochsubventionierte Landwirtschaft wird in dem Entwurf ausgenommen. Alle anderen Sektoren sollen jedoch geöffnet werden.

Die EU hofft dabei, nicht nur die bisher weitgehend geschützten US-Märkte für Rüstung und Luftfahrt zu knacken (Stichwort Airbus-Boeing-Streit). Sie möchte auch die „Buy American“-Klauseln und die damit verbundenen Handelsbarrieren kippen.

Im Gegenzug macht sie allerdings schon jetzt weit reichende Angebote, die viele Befürchtungen der Freihandelsgegner zu bestätigen scheinen.

Denn fast alle sensiblen Bereiche der europäischen Wirtschaft sollen für US-Kommerz geöffnet werden – von den audiovisuellen Medien über Bildung, Gesundheit, Wasserversorgung bis hin zu Energie und Transport.

Zwar beteuert die EU-Kommission, die Umwelt-, Sozial- und Gesundheitsstandards stünden nicht zur Disposition. Doch die Kritiker vom „Brussels to Seattle“ Netzwerk sehen das völlig anders.

Das Abkommen diene einzig und allein den großen Konzernen und der Finanzindustrie. „Sozial-, Arbeits- und Umweltrechte auf beiden Seiten des Atlantiks geraten unter Beschuss“, heißt ihr pessimistisches Fazit.

Ich würde es nicht ganz so dramatisch sehen. Mir bereitet eher die Grundphilosophie Bauchschmerzen. Wer im ungehinderten Kommerz das beste Rezept gegen die Krise sieht, räumt ja nicht nur ein, dass er glühender Freihändler ist.

Er gibt auch zu verstehen, dass die Eurokrise mit eigenen Mitteln nicht mehr zu lösen ist. Offenbar glaubt auch in Brüssel niemand mehr, dass die EU allein zu Wachstum und Beschäftigung zurück findet.

Und das ist eine verdammt schlechte Nachricht…

Siehe zu diesem Thema auch “Freihandel über alles” und  “Das Ende aktiver Wirtschaftspolitik”