Juncker spielt mit gezinkten Karten
Welches Spiel spielt der Chef der EU-Kommission, Juncker? Bis zum Referendum in Griechenland war er in seiner Rolle, suchte Lösungen im Schuldenstreit. Nun wird es grenzwertig.
Juncker weigert sich nicht nur, seine angeblich “detaillierten Pläne” für den Grexit vorzulegen – womöglich gibt es sie gar nicht, und der Mann der Luxemburger “tax rulings” hat nur geblufft?
Er weigert sich nun auch, das Thema Schuldenschnitt bzw. Umschuldung anzusprechen, wie es der IWF gerade wieder gefordert hat. Das soll irgendwann im Herbst kommen, so sein Sprecher.
Völlig dubios: Heute und morgen trifft Juncker griechische Oppositionspolitiker in Brüssel treffen. Plant er schon den “Regime change” – oder will er sie auf den Grexit vorbereiten?
“Game over”, hatte EU-Ratspräsisdent Tusk schon vor zwei Wochen befohlen. Doch die EU spielt weiter – nun auch noch mit gezinkten Karten… – Mehr zu Junckers Grexit-Kurs hier
Andres Müller
10. Juli 2015 @ 03:33
Bis vor Kurzem habe ich mich gefragt warum Varoufakis nach den Wahlen in GR so schnell zurückgetreten ist. Inzwischen kann ich es mir vorstellen. Offenbar entpuppt sich Tsipras nun doch noch als trojanisches Pferd der Gläubiger. Varoufakis wollte vielleicht dem Verrat an den Wählern entkommen, um später nochmals in die Politik zurückkehren zu können. Sollte der “neue” Vorschlag von Tsipras nun von der Eurogruppe angenommen werden, so hätte sich die letzten Monate eine Art Theater abgespielt, deren Zweck es gewesen sein könnte ein Umfeld zu schaffen in welchem das griechische Volk glauben soll das Umfeld zur eigenen Strangulation selbst geschaffen zu haben. Genial wenn es so geplant war -und ein altes “Marxistenblättchen” welches seit Monaten vor Tsipras warnte nun doch noch Recht behalten würde?
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 16:25
@ebo habe ich auch studiert, zusätzlich Volkswirtschaft. Die Zeit der 50-iger und 60-iger Jahre wird in der Literatur von vielen als Fordismus bezeichnet. Heute leben wir im Postfordismus. Dass es unterschiedliche gesellschaftliche Diskurse gibt, ist Ihnen sicher auch noch in Erinnerung geblieben. Das macht das Wesen einen pluralistischen Demokratie.
ebo
9. Juli 2015 @ 16:32
Schön, endlich finden wir Gemeinsamkeiten! Natürlich soll und muss es unterschiedliche Diskurse geben. Die EU hat damit allerdings zunehmend Schwierigkeiten; sie beansprucht ein Deutungs- und Herrschaftsmonopol und begibt sich – mehr oder weniger freiwillig – unter deutsche Hegemonie. In diesem Blog geht es u.a. darum, wieder andere, demokratische und soziale Diskurse möglich zu machen. Mit Sozialismus hat das übrigens nichts zu tun… 🙂
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 15:52
@Der Dicke Nichts gegen eine vernünftige Nachfragepolitik im Keynesianischen Sinn. Nur: Keynes hat von einem über den Konjunkturzyklus ausgeglichenen Budget gesprochen, über Wirtschaftswachstum ist wenig von ihm bekannt. Eine effektive Wirtschaftspolitik muss sowohl auf die Angebotsseite wie die Nachfrageseite achten. Die Nachfrageseite ist politisch leichter, da niemand dagegen etwas hat, mit fremdem Geld die Nachfrage anzukurbeln. Auf der Angebotsseite gibt es natürliche Widerstände von Partikularinteressen (egal ob Unternehmen, Arbeitnehmer oder föderale Machtträger ), die ihre Privilegien beeinträchtigt sehen, auch wenn Maßnahmen dem Gesamtstaat dienen. Mehr Konkurrenz bei den Apotheken, um ein Beispiel zu nennen, würde die Kosten für die Patienten senken, allerdings zu Lasten der Apotheker. Eine Föderalismusreform würde Doppelgeleisigkeiten bei den Staatsausgaben verringern und Budgetmittel für Bildung, Infrastruktur etc, frei machen, allerdings zu Lasten des Einflusses lokaler Politiker…….
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 15:20
Wenn Griechenland einen einklagbaren Anspruch seit 2014 gegen die EZB hatte, warum wurde der Anspruch nicht geltend gemacht bzw. eingeklagt? Offenbar bestand kein rechtlicher Anspruch auf die Auszahlung der Kredite. Mit welcher Begründung wurde die Auszahlung seit 2014 verweigert?
ebo
9. Juli 2015 @ 15:39
Von einem Rechtsanspruch habe ich nicht gesprochen. Die Kredite werden freigegeben, wenn die konditionalität erfüllt ist. Das prüft die Troika. Sie hat sich schon unter Samaras quergestellt und damit sein Schicksal besiegelt. So weit, so schlecht. Das Dumme ist, dass die frischen Kredite vor allem dazu benötigt werden, alte Kredite abzulösen. Das hat Tsipras noch bis Juni gemacht, danach ging es nicht mehr. Die Gläubiger schießen sich selbst ins Bein.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 17:57
Ganz so ist es nicht. Solange Kredite geflossen sind, haben sich alle griechischen Regierungen um Reformen herumdrücken können. Jetzt heißt es hopp oder tropp.
ebo
9. Juli 2015 @ 18:06
Damit widersprechen Sie aber der offiziellen Darstellung. Bis Samaras hieß es in Brüssel immer, Kredite seien nur nach geleisteter Arbeit freigegeben worden. Schäuble sah Griechenland auf einem “guten Weg”…bis er Samaras höchstpersönlich abgeschossen hat.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 15:12
@ebo Seien Sie ehrlich: die Ursache für den Mangel ist in ihren Augen der sogenannte Neoliberalismus. Dass er erst jene materiellen Güter hervorbringt, die Sie gerne anders verteilt sähen, übersehen Sie geflissentlich. Weltweit ist die Armut zurückgegangen, auch wenn innerhalb der Staaten die Verteilung ungleicher geworden ist. Von Massenarmut ist Deutschland weit entfernt, auch wenn Sie Gegenteiliges unterstellen wollen. Sie können nicht gleichzeitig glaubwürdig gegen den Rechtspopulismus anschreiben, wenn Sie für den Linkspopulismus eintreten, den wir derzeit in Griechenland erleben.
ebo
9. Juli 2015 @ 15:26
Wir leben nicht im Mangel, sondern im Überfluss. Warum er ungleich verteilt ist, überlasse ich Ihrer neoklassischen Einschätzung.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 15:33
Es gibt keine Zauberformel für Gleichheit. Die richtige Frage lautet: wie viel Ungleichheit ist für die Dynamik einer Gesellschaft erforderlich, wie viel Gleichheit für den sozialen Frieden notwendig? Unterschiedliche Gesellschaften finden unterschiedliche Antworten auf diese Frage, um die in der Politik gestritten wird.
Marc
9. Juli 2015 @ 15:27
@Peter Nemschak
Der Neoliberalismus vermag jedoch weder ein stabiles Wachstum noch den daraus folgenden steigenden Wohlstand zu gewährleisten. Dass dies zweifelsohne möglich ist, zeigt die Zeit vor seinem Siegeszug.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 15:58
Vergessen Sie nicht, dass der Fordismus der 50-iger und 60-iger Jahre das Ergebnis des Wiederaufbaus nach dem 2.Weltkrieg war, nicht als Segnung vom Himmel fiel. Einen Weltkrieg als Motor des Wirtschaftswachstums wünschen sich hoffentlich nur wenige Menschen. Hohe reale Wachstumsraten von einem sehr niederen Niveau werden von den Menschen positiver empfunden als geringe Wachstumsraten von einem hohen Niveau oder überhaupt ein stagnierendes Niveau.
ebo
9. Juli 2015 @ 16:03
Meine letzte Anmerkung für heute: Der Fordismus geht auf Mr. Ford zurück, also auf die 20er Jahre. Heute sind wir mindestens im Post-Fordismus; genau weiß es aber keiner, da es keine Gramsci mehr gibt. Das habe ich zufällig studiert…
Marc
9. Juli 2015 @ 17:01
@Peter Nemschak
Ihre Schlussfolgerung ist also, wir zerstören unseren Lebensstandard und begeben uns auf ein niedrigeres Niveau, damit wir mehr Spaß am Wachstum haben? Ist das ihr Ernst?
Ich persönlich bin genügsam, mir reicht ein stabiles Wachstum auch auf geringem Niveau. Ihren “Spaß” teile ich nicht.
DerDicke
9. Juli 2015 @ 13:17
Was hier an Zeit und Energie verbraten wird. Schafft den Euro endlich komplett ab. Dann kann es uns endlich wieder egal sein, ob in Italien ein Berlusconi oder in Frankreich eine Le Pen an der Macht ist. Gut, Leute wie Juncker oder Schulz wären dann arbeitslos – aber im Ernst, der Schaden den sie anrichten können würde dadurch minimiert.
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 13:16
Verständlich, dass die EU die Syriza-Regierung, zu der sie kein Vertrauen hat, los werden will und sich entsprechend verhält.
ebo
9. Juli 2015 @ 13:22
Sie haben wohl auch ein ziemlich gebrochenes Verhältnis zur Demokratie, lieber Herr Nemschak. Wie sagte Brecht so schön: Dann sollen sie doch ein neues Volk wählen, an dem sie ihre Austeritäts-Experimente “erfolgreich” durchführen können!
Peter Nemschak
9. Juli 2015 @ 14:09
Ich bin angesichts des volatilen Volkswillens grundsätzlich (eine Ausnahme wie die Schweiz bestätigt diesen Grundsatz) für die repräsentative Demokratie mit Institutionen, welche stabile checks and balances darstellen und die liberale Demokratie absichern helfen. Austerität und Neoliberalismus sind leere Kampfbegriffe. Trotz der sogenannten Austerität sind die Staatsausgaben in den letzten Jahren stark gewachsen. Über realsozialistische Wirtschaftsformen hat das 20.Jhdt. bereits gerichtet. Aber es gibt Leute, die nach wie vor von Mangelwirtschaften träumen, Hauptsache der Mangel ist möglichst gleichmäßig verteilt.
ebo
9. Juli 2015 @ 14:17
Es gibt auch Leute, die von Mangel schreiben, während wir gerade mit einer Geldschwemme ohnegleichen überzogen werden – von der EZB. In Griechenland wurde der Mangel übrigens von derselben EZB fabriziert – und von den “Geldgebern”, die seit Sommer 2014 keinen einzigen Cent mehr an Krediten gewährt haben, während sie viele Milliarden Tilgung einkassierten. Der Mangel hat System, es ist das Eurosystem…
DerDicke
9. Juli 2015 @ 15:02
Schon mal auf die Idee gekommen, dass die Ausgaben WEGEN der Austerität gewachsen sind? Immerhin sägt man bei der Austerität den Ast ab auf dem man sitzt, wenn man in der Rezession den Staat zum sparen zwingt. Schätzungen besagen, dass für jeden vom Staat “gesparten” Euro mehr als zwei Euro an BIP (und damit auch Steuereinnahmen) flöten gegangen sind.
Sollte schon klar sein dass die Einnahmen sinken wenn täglich Betriebe schließen müssen und Mitarbeiter arbeitslos werden. Und die daraus resultierenden Mindereinnahmen übersteigen bei weitem das, was man bei den Ausgaben einsparen kann.
ebo
9. Juli 2015 @ 15:18
YES diese Idee habe ich schon x-mal auf diesem Blog ausgeführt. Bin hier schon seit 2012 dabei, schau einfach ins Archiv 🙂