“Konfus und unverständlich”
EU-Kommission und -Parlament wollen die LuxLeaks-Affäre abhaken. Selbst ein Misstrauensantrag der Rechtspopulisten dürfte daran nichts ändern. Dabei ist noch viel zu tun – sagt Steuerparadies-Kritiker G. Zucman.
Herr Zucman, Sie gelten als einer der schärfsten Kritiker der Steueroasen. Was halten Sie von den Luxemburg Leaks?
Gabriel Zucman: Sie zeigen, welches Ausmass das Geschäft mit der Souveränität angenommen hat, dem sich die luxemburgische Regierung hingegeben hat. Luxemburg hat diese Logik auf die Spitze getrieben, aber es ist nicht allein. Alle kleinen Länder unterliegen dieser Versuchung.
Waren Sie überrascht vom Ausmaß des Skandals?
Nein, denn in Luxemburg konnte man die Dimension schon an den makroökonomischen Daten erkennen. Luxemburg wurde von Konzernen aus der ganzen Welt für Steuersparmodelle genutzt. Das hat dazu geführt, dass ein Drittel der Wirtschaftsleistung einzig und allein dazu dient, die ausländischen Eigner von Holdings und anderen leeren Hüllen zu bezahlen. Das ist enorm. Kein anderes Land auf der ganzen Welt ist so weit gegangen.
Wie bewerten Sie die Rolle von EU-Kommissionschef Juncker in dieser Affäre?
Ich weiß nicht, wieweit er persönlich beteiligt war. Ich weiß nur, dass er die politische Verantwortung getragen hat. Er hat es ja selbst vor der Presse in Brüssel gesagt: „Ich bin politisch verantwortlich“. Aber seine Aussagen sind sehr konfus: verantwortlich, aber nicht schuldig; für Steuer-Wettbewerb, aber auch für Harmonisierung… Seine Rede wird so unverständlich. Ich hoffe, dass die Presse und die Europaabgeordneten noch einmal nachhaken.
Nur ein Tropfen auf den heißen Stein
Juncker hat die Flucht nach vorn angetreten und angekündigt, dass die EU-Kommission einen automatischen Informationsaustausch zu den umstrittenen tax rulings vorschlagen will. Ist das ein nützlicher Vorschlag?
Das geht in die richtige Richtung, es kann nicht schaden. Aber es ist doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein…
Was müsste denn noch getan werden?
Man muss damit aufhören, die Konzerne ihre Steuern in den nationalen Filialen bezahlen zu lassen. Es wäre besser, sie nach ihren konsolidierten Überschüssen zu besteuern. Und wie könnte man dann die Steuerlast der verschiedenen Länder berechnen? Zum Beispiel, indem man den Umsatz als Basis nimmt: Wenn ein großer Multi 10 Prozent seines Umsatzes in Deutschland macht, dann müsste er auch zehn Prozent seines weltweiten Jahresüberschusses in Deutschland versteuern. Da die Konzerne den Standort ihrer Kunden nicht manipulieren können, würde dieses System das Ende der steuerlichen Optimierung und der damit verbundenen Industrie bedeuten!
TTIP gegen Steueroptimierung nutzen
Das hat ja nicht einmal die G-20 in Brisbane geschafft…
Die G-20 ist aber auch nicht unbedingt das richtige Gremium dafür. Sie bringt Industrie- und Entwicklungsländer zusammen, die unterschiedliche Lösungen für das Problem der Steuerflucht brauchen. Es wäre daher besser, eine Einigung zwischen Europa und den USA zu suchen, etwa im Rahmen der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP.
Können denn die 28 EU-Staaten nichts allein gegen die Steuerflucht unternehmen?
Aber ja doch! Sie müssten endlich den Vorschlag der EU-Kommission über eine Gemeinsame Steuerbemessungsgrundlage (GKKG) umsetzen, der ein gemeinsames System zur Bemessung der Steuergrundlage für Unternehmen vorsieht. Alle müssen diese Richtlinie umsetzen. In einem zweiten Schritt müssen Apple, Amazon und alle anderen Konzerne auf derselben Basis besteuert werden. Drittens muss die EU mit den USA eine entsprechende Vereinbarung treffen. Das wäre ein Riesen-Schritt.
Wer steht auf der Bremse?
Man weiß nicht, wer blockiert, die Intransparenz in der EU bei diesen Fragen ist ein echtes Drama. Aber wir wissen, dass Juncker seinen Einfluss gelten machen und sich persönlich für die GKKG einsetzen könnte. Er kann die Dinge in Bewegung bringen, wenn er es wirklich will.
Der französische Ökonom Gabriel Zucman, der an der London School of Economics lehrt, gilt als einer der besten internationalen Experten auf dem Gebiet der Steuerpolitik und Steuervermeidung. In seinem 2013 veröffentlichten Buch „La richesse cachée des nations“ (Seuil, dt. bei Suhrkamp) hat er sich bereits ausführlich mit dem „Steuerparadies“ Luxemburg befasst.
Peter Nemschak
24. November 2014 @ 15:35
@ebo was sollten sie realistischerweise konkret tun? Außer Umverteilen ist den Linken zum Thema Wachstum bisher nichts eingefallen. Das ist für die überwiegende Mehrheit kein attraktives Programm.
ebo
24. November 2014 @ 15:59
Steht doch alles in dem Interview. Gemeinsame Bemessungsgrundlage, Mindeststeuersätze, Transparenz. Es geht um Steuergerechtigkeit; Sie lassen es wohl lieber beim geschäftsmäßig organisierten Steuerbetrug?
Peter Nemschak
24. November 2014 @ 17:25
Es werden zwei Dinge unzulässigerweise vermischt: Regionen mit den höchsten Löhnen sind nicht notwendigerweise ident mit jenen der größten Dichte an Steuervermeidern. Hier wird Logik der Ideologik geopfert. Im übrigen ist legale Steuervermeidung nicht mit Steuerbetrug gleichzusetzen.
Peter Nemschak
21. November 2014 @ 08:53
Nachdem die Steuerpolitik ein wesentlicher Standortfaktor ist, stellt sich die Frage, an welchen verbliebenen Schrauben die Länder drehen werden, um für internationale Investoren interessant zu sein. Nachdem derzeit kein Land mit einiger Sicherheit ausrechnen kann, ob es bei einer Änderung der Besteuerungspraxis zu den Nettogewinnern oder -verlierern gehört, zieht sich der Prozess des Wandels in die Länge. Aus heutiger Sicht sehen sich die meisten als Nettoverlierer.
ebo
23. November 2014 @ 18:45
Sozial- und Tarifpolitik sind die Schrauben der Wahl, jedenfalls für die Neoliberalen und Angebots-Theoretiker
Peter Nemschak
24. November 2014 @ 10:07
Es gibt auch andere Standortfaktoren wie die von Ihnen genannten, z.B. eine unternehmerfreundliche Bürokratie, Nähe zu Universitäten, eine Politik, welche den Zuzug gebildeter und engagierter Immigranten begünstigt, eine gute IT-und Verkehrsinfrastruktur, ein erstklassiges Bildungssystem, in anderen Worten Faktoren, welche den Druck auf den Sozialstaat mildern. Solange ein starkes weltweites soziales Gefälle besteht, wird der Sozialstaat durch technologischen und globalen Wettbewerb unter Druck stehen. Offenbar haben die Sozialisten keine zukunftsorientierten und mehrheitsfähigen Konzepte, sonst wären sie schon längst der Öffentlichkeit präsentiert worden. Die Neoliberalen ohne vernünftige Alternativen zu kritisieren reicht nicht. Warum wandert die traditionelle Klientel der Sozialisten zunehmend zur radikalen Rechten ab?
ebo
24. November 2014 @ 10:13
Warum wandert die traditionelle Klientel der Sozialisten zunehmend zur radikalen Rechten ab? Tja, vermutlich, weil die so genannten Sozialisten – die in Wahrheit Sozialdemokraten sind – eine im besten Falle sozialliberale, oft aber neoliberale Politik machen.
Tim
24. November 2014 @ 17:00
Und wieder mal eine Bestätigung meiner alten These: Linke denken immer nur ans Geld – und sind sich dann nicht mal zu schade, genau diese unsinnige Fokussierung ihren neoliberalen Lieblingsfeinden vorzuwerfen. 🙂
Schau Dir mal an, wo in Europa die wettbewerbsfähigsten Unternehmen sitzen. Du wirst überrascht feststellen, daß dies zugleich auch die Regionen mit den höchsten Löhnen sind.
ebo
24. November 2014 @ 17:03
Hast du überhaupt das Interview mit Zucman gelesen? Da geht es zufällig um Geld – Steuergeld!
Tim
24. November 2014 @ 17:09
@ ebo
Mein Kommentar bezog sich auf Deine Aussage: “Sozial- und Tarifpolitik sind die Schrauben der Wahl, jedenfalls für die Neoliberalen und Angebots-Theoretiker”.