Ich will Europa?

Mitten in der Eurokrise starten zwei namhafte deutsche Stiftungen eine proeuropäische Kampagne. Die Initiative “Ich will Europa” verfolgt das Ziel, den “Blick auf die Vorteile und Errungenschaften Europas für Deutschland zu lenken”, schreiben die Initiatoren. Dummerweise verwechseln sie Europa mit der EU, außerdem stellen sie die in vielen Teilen Europas angefeindete Krisenkanzlerin Merkel in den Vordergrund. Will ich Merkels Europa, will ich ein deutsches Europa? Nein, danke!

Gut gemeint, gut gemacht, aber dennoch daneben: das ist der erste spontane Eindruck von der Good-Will-Kampagne. Gut ist natürlich, dass sich da engagierte Bürger der grassierenden Euroskepsis entgegenstemmen (ähnlich wie die Avanti-Initiative, die ich in diesem Blog schon vorgestellt habe). Gut ist auch, dass sie sich ausdrücklich für ein starkes und solidarisches Europa aussprechen. Gut gemacht ist der Online-Auftritt, auch wenn man interaktive Funktionen (Kommentare) ebenso vermisst wie einen Twitter-Account… 

Daneben ist vor allem das Merkel-Video, das einen beim ersten Klick auf die Homepage anfällt (siehe oben). Daneben ist auch der Spruch, denn die EU ist nicht Europa, und die Eurozone schon gar nicht. Daneben ist schließlich das Timing: Die Initiative legt genau an dem Tag los, da Merkels Regierung die Weichen für einen Rausschmiss Griechenlands stellt (auch wenn die Kanzlerin das Gegenteil behauptet).

Das Bundesfinanzinisterium hat sogar schon eine Arbeitsgruppe “Grexit” eingerichtet, wie die FTD heute meldet. Bis zum Exitus werden zwar sicher noch einige Wochen oder Monate vergehen, wie ich gestern in diesem Blog schrieb (“Der Grexit muss warten”). Vielleicht wird er auch auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben, wie die “Zeit” mutmaßt. Fest steht, dass es Merkel in Sachen Griechenland weniger um Europa, als um deutsche Innenpolitik geht.

Sie interessiert sich nicht für die Wiege der europäischen Kultur, sondern für die Wähler der CSU, die an Griechenland ein “Exempel” statuieren wollen. Wäre es anders, hätte sie Söder & Co. in die Schranken weisen müssen. Doch sie lässt die Dampfplauderer und Chauvinisten in ihrer Koalition gewähren – schließlich läuft sich Berlin für die Bundestagswahl warm, und da kommt es auf jede Stimme an, auch auf die der EU- und Eurogegner in den eigenen Reihen…

Die Innenpolitik ist es auch, die die ganze Kampagne vergiftet. Ursprünglich war geplant, Ex-Außenminister Fischer einzubeziehen; sein Nachfolger Westerwelle wollte ihn sogar für einen gemeinsamen Fototermin mit allen noch lebenden deutschen Chefdiplomaten gewinnen. Doch Fischer winkte ab: aus der durchaus begrüßenswerten  Kampagne für Europa sei eine “Kampagne für Westerwelle” geworden; dafür stehe er nicht zur Verfügung. 

So wie die ganze Sache nun läuft, besteht sogar die Gefahr, dass sie zu einer “Kampagne für Merkel” und ihre verfehlte Europapolitik wird. Wer den Slogan “Ich will Europa” mit einem Merkel-Video verkauft, muss sich nicht wundern, wenn dies als “Ich will Merkel” bzw. “Merkels Europa” mißverstanden wird – und Abwehr hervorruft. Auf Twitter machen sich die Leute schon über die Kampagne lustig, auf YouTube entpuppen sich die aufwändig gedrehten Videos als Ladenhüter.

Was mich betrifft, so kann ich nur sagen, dass ich dieses Europa nicht will, denn es hat sich meilenweit von den europäischen Idealen entfernt. Auch ich will eine starke EU – aber keine, in der Wettbewerb wichtiger ist als Wohlstand, in der eine ganze Generation auf dem Altar der Austeritätspolitik geopfert wird, in der Solidarität und Demokratie Fremdworte sind. Nein, Merkels Europa will ich nicht, sorry…