Kalter Krieg 2.0

Die EU hat die umstrittene Freihandels-Runde mit den USA eröffnet. Die Verhandlungen genießen „höchste Priorität“, sagten US-Präsident Obama und Kanzlerin Merkel. Sie finden im Klima eines Kalten Krieges gegen die eigenen Bürger und den Rest der Welt statt – Big Brother lässt grüßen.

Auf diesen Tag haben die Atlantiker aller Lager seit Jahren gewartet: Am Montag haben in Washington die Gespräche über ein transatlantisches Freihandelsabkommen begonnen.

Es soll eine neue goldene Ära von Frieden, Wachstum und Wohlstand einleiten. Gleichzeitig soll es die Feinde des Westens eindämmen – die neue „Wirtschafts-Nato“ werde Chinesen und Russen das Fürchten lernen, frohlocken die Marktliberalen.

Wenn sie sich da mal nicht gewaltig täuschen. Fürchten müssen sich zuallererst die Bürger Amerikas und Europas, denn die neue Partnerschaft startet mit einer Attacke gegen ihre bürgerlichen Grundfreiheiten.

Das Vertrauen ist futsch

Big brother is watching you – dies ist die Hintergrundmelodie für die Verhandlungen, die von Anfang an von der NSA-Spionage und dem Verdacht europäischer Komplizenschaft überschattet werden.

Sie hat schon jetzt das Vertrauen unterwandert. Vor allem in Europa ist das deutlich spürbar. Die EU-Bürger haben das Vertrauen in „George W. Obama“ verloren, aber auch in ihre eigene Führung.

Denn die Politiker in Brüssel und Berlin führen uns hinters Licht. Sie sagen nicht die Wahrheit zur Internet-Überwachung, und sie verschweigen, worum es in der Freihandelsrunde wirklich geht. Selbst das EU-Mandat bleibt geheim.

Da sprechen nicht etwa zwei Partner auf Augenhöhe. Da redet vielmehr eine schwächelnde Weltmacht im permanenten Ausnahmezustand mit einem Krisenkontinent, der es nicht einmal wagt, seine eigenen Interessen zu vertreten.

Wertegemeinschaft adé

Da kommt auch keine „Wertegemeinschaft“ zusammen. Im NSA-Skandal haben beide Seiten fast alle Grundwerte des Westens mit Füssen getreten. Bürgerrechte, Datenschutz, Rechtsstaat zählen plötzlich nicht mehr.

Menschenjagd statt Menschenrechte – dies beherrscht die Nachrichten, seit die USA zur Hatz auf den Whistleblower Snowden bliesen, und die Europäer sich als willfährige Gehilfen erwiesen, die – wie im Fall Morales – nicht mal die Grundregeln der Diplomatie beachten.

Freihandel statt fairer Welthandel – das ist die Parole für die nächsten Wochen und Monate. Denn die Entwicklungsrunde von Doha, die die USA systematisch torpediert haben, haben auch die Europäer längst abgeschrieben.

All dies lässt nichts Gutes ahnen. Der Tag, der Amerikaner und Europäer in eine neue Ära der Gemeinsamkeit führen soll, könnte als Schwarzer Tag in die Geschichte des Westens eingehen.

Denn die Verhandlungen beginnen in einer Atmosphäre des Kalten Krieges. Diesmal geht es nicht gegen die Russen oder die Kommunisten, sondern gegen die eigenen Bürger und deren bürgerliche Freiheiten.

Der Citoyen hat ausgedient

Und natürlich geht es gegen all die sozialen Standards, Normen und Schutzmechanismen, die die Europäer in der EU aufgebaut und bisher mehr schlecht als recht verteidigt haben.

Der Citoyen hat ausgedient – jetzt geht es nur noch um den Bourgeois, der seine Haut – und seine Daten – zu Markte trägt.

Der Freihandel habe „höchste Priorität“, sagen Obama und Merkel. Es klingt wie „höchste Gefahr“…

Mehr zum Thema in „Freihandel über alles“ und „Echelon reloaded“. Dank an Amaretto und G. Brozek für sachdienliche Hinweise…

photo credit: ALDEADLE Alliance of Liberals and Democrats for EU via photopin cc