Hartz IV für alle?

Der neue EU-Sozialbericht offenbart den Niedergang des Modells Europa. Im Süden wächst die Armut, im Norden die Ungleichheit, Besserung ist nicht in Sicht. Dennoch freuen sich die Arbeitgeber über den Report – und behaupten, Brüssel stelle Deutschland „ein gutes Zeugnis“ aus. Kommt nun Hartz für alle?

Jetzt ist es amtlich: die Eurokrise spaltet Europa. In der EU habe sich eine „neue Kluft“ zwischen armen Krisenstaaten im Süden und reichen Geberländern im Norden aufgetan, sagte EU-Sozialkommissar Andor am Dienstag in Brüssel bei der Vorlage des ersten umfassenden Sozialberichts seit Beginn der Krise.

Zugleich hätten zwei von drei Euroländern Wohlstand verloren. Nur in Deutschland und – allen Unkenrufen zum Trotz – auch in Frankreich sei das Einkommen trotz allem gewachsen. Doch auch hier nimmt die Ungleichheit zu, die Armut ist sogar in ganz Europa auf dem Vormarsch.

Um den Negativ-Trend zu stoppen, sind nach Ansicht des unorthodoxen ungarischen Ökonomen zwei Dinge nötig: einerseits müssten die Krisenstaaten Arbeitsmarktreformen nach dem Vorbild der deutschen Hartz-Gesetze einleiten. Andererseits müssten die EU-Staaten mehr Solidarität üben.

Unsere Arbeitgeber haben leider nur die erste Lektion aufgegriffen. Sie sehen die Hartz-Reformen von Ex-Kanzler Schröder geadelt, schließlich werden sie im EU-Sozialbericht gleich vier Mal als Grund für die gute Lage in Deutschland genannt.

Doch bei näherer Betrachtung fordert Andor keineswegs „Hartz für alle“. Er lobt lediglich die „aktivierenden“ Hartz-Reformen, wie Mini- und ein-Euro-Jobs. Sie könnten Langzeitarbeitslosen helfen, zurück in den Arbeitsmarkt zu kommen.

Die Hartz-Gesetze werden jedoch nicht als einzige Möglichkeit gegen die Jobmisere angepriesen, sondern in den Kontext ähnlicher Strategien etwa in Belgien oder Österreich gestellt. Deutschland ist bei weitem nicht das einzige Vorbild, wie es die deutschen Arbeitgeber behaupten.

Hier die entsprechende Passage (S. 97 des Sozialreports):

Allowing unemployment benefits to be received while undertaking part-time work or self-employment has proved to be a useful policy to address long-term unemployment, enabling beneficiaries to retain close links with the labour market. Some countries, including Belgium, Germany and Austria, have strengthened in-work benefit schemes as a way of incentivising the unemployed to take up employment. As noted in the European Commission (2012a), a strand of the Hartz labour market reforms in Germany addressed this by promoting ‘mini and midi jobs,’ and the so-called ‘one-euro jobs‘ which are inwork benefit schemes.

Unbequem ist auch Andors zweite Empfehlung: mehr Solidarität. Es sei „dringend notwendig“, die Reformvorschläge für die Eurozone aufzugreifen, die Kommissionspräsident Barroso im Dezember vorgelegt hatte, fordert er.

Sie sehen unter anderem Eurobonds, ein eigenes Budget für die Währungsunion und mehr soziale Leistungen etwa aus dem EU-Globalisierungsfonds vor. Auch Mindestlöhne stehen auf dem Wunschzettel der Kommission.

Die Bundesregierung hat sich jedoch gegen diese Vorschläge gestellt. Beim letzten EU-Gipfel im Dezember blockte Kanzlerin Merkel alle Ideen ab; die Reformdebatte wurde auf Juni verschoben.

Wenn es nach Merkel geht, soll dann vor allem über Arbeitsmarktreformen und Wettbewerbsfähigkeit geredet werden – und nicht über mehr Solidarität. Und den fatalen Sparkurs will sie bisher auch nicht ändern.

Zu Ende gedacht, bedeutet Merkels Kurs dann doch wieder „Hartz für alle“ – und Hartz IV für den Süden. Es sei denn, die (qualifizierten) Arbeitskräfte wandern nach Deutschland ab. In der Tat, die Eurokrise spaltet Europa…