Grenze überschritten

Nun rückt auch EU-Kommissionschef Barosso vom deutschen Sparkurs ab. Die Austeritätspolitik habe ihre Grenzen erreicht, sagte der Portugiese. Die Bundesregierung reagierte mit den üblichen Beschimpfungen. Dabei sind Merkel und Schäuble isoliert – Barroso vertritt (wie immer) den Mainstream.

Was ist passiert? Auf den ersten Blick nicht viel. Bei einer Konferenz europäischer Denkfabriken hatte Barroso gesagt, die Austeritätspolitik habe „ihre Grenzen“ erreicht und müsse gelockert werden.

Sparen sei zwar „grundsätzlich richtig“, so der Brüsseler Behördenchef, doch dazu brauche man auch „ein Minimum an politischer und gesellschaftlicher Unterstützung“.

Eigentlich eine Binsenweisheit. Nicht nur in Barrosos Heimat Portugal findet der Sparkurs keinen Rückhalt mehr. Auch in Griechenland, Spanien und Zypern gehen die Menschen gegen die Spardiktate aus Brüssel und Berlin auf die Barrikaden.

In Italien hat sogar die übergroße Mehrheit der Wähler gegen den Kandidaten der EU-Kommission, Noch-Premier Monti, gestimmt.

Kleine Sensation

Doch bisher hat die EU-Kommission den Sparkurs, der im wesentlichen im Berliner Bundeskanzleramt formuliert wurde, loyal mitgetragen. Vor allem der für Sanktionen zuständige Währungskommissar Rehn, ein Finne, wehrte Kritik ab.

Deshalb ist es eine kleine Sensation, wenn sich nun sein Chef Barroso vom offiziellen Kurs distanziert. In Brüssel sehen darin viele ein Zeichen für eine längst überfällige Wende.

Barroso ist nämlich nur der letzte in einer ganzen Reihe von Politikern und Experten, die eine Abkehr vom Sparkurs fordern. Zuletzt war sogar Eurogruppenchef Dijsselbloem vom deutschen Dogma abgefallen (siehe „Auf Sand gebaut“).

Bleibt die Frage, warum Barroso ausgerechnet jetzt die Häresie wagt. Folgt er einfach der Mehrheit seiner portugiesischen Landsleute, die keine Hoffnung auf Besserung mehr haben?

Dafür spricht sein Hinweis, der Sparkurs brauche politische und gesellschaftliche Unterstützung. Die gibt es in Portugal schon lange nicht mehr, sogar das Verfassungsgericht lehnt sich neuerdings auf.

Keine falschen Rücksichten mehr

Oder hängt er sich an die wissenschaftliche Debatte an, die neuerdings sogar den Zusammenhang zwischen Verschuldung und Wachstum anzweifelt?

Ich vermute etwas anderes: Barroso hat die Hoffnung auf seine Wiederwahl aufgegeben. In Berlin möchte man ihn offenbar durch den polnischen Premier Tusk ersetzen, wie ich schon gestern in diesem Blog geschrieben habe.

Der Mann muss also keine falschen Rücksichten mehr nehmen – und kann endlich sagen, was in Brüssel (fast) alle denken…

Siehe zu diesem Thema auch meine aktuelle Umfrage